30. Sep 2021 | Verband | von Deutscher Ruderverband

Siegfried Kaidel im Interview: Abschied nach 13 Jahren an der DRV-Spitze

Siegfried Kaidel tritt nach 13 Jahren als DRV-Vorsitzender nicht mehr zur Wahl an. Foto: DRV/Schwier

Vorsitzende sind beim Deutschen Ruderverband stets lange im Amt. Seit der Neugründung 1948 standen erst sechs Personen an der Spitze des DRV. Nur Walter Wülfing und Claus Heß kamen mit 17 Jahren auf eine längere Amtszeit als Siegfried Kaidel, der nach 13 Jahren als DRV-Vorsitzender beim Rudertag vom 15. bis 17. Oktober in seiner Heimatstadt Schweinfurt nicht mehr antreten wird. Bevor der 70-Jährige auf gut Fränkisch Ade sagen wird, haben wir uns mit ihm unterhalten. Einen Termin dafür zu finden, war wegen des engen Terminkalenders von Kaidel im Vorfeld des Rudertags gar nicht so einfach.

Siggi, 13 Jahre an der Spitze des Verbandes gehen zu Ende. Wie fällt deine Bilanz aus?

Siegfried Kaidel: Eine Bilanz zu ziehen, ist schwierig, weil es in einer so langen Periode Höhen und Tiefen gibt. Ich habe immer das Ziel verfolgt, das aus meiner Sicht Beste für den Deutschen Ruderverband zu bewirken. Ob es immer das Beste war, müssen andere beurteilen. Ich persönlich bereue nicht einen Tag, an dem ich für den DRV tätig war. Für mich war es eine Ehre. 

Was wird dir positiv in Erinnerung bleiben?

Da gibt es einiges. Ich gehe mal ganz weit zurück. Der erste Höhepunkt war, dass ich überhaupt zum Vorsitzenden gewählt wurde. Es war ja eine Kampfkandidatur, bei der ich 2008 in Köln gleich im ersten Wahldurchgang die absolute Mehrheit erhielt. Und das, obwohl aus meinen sieben Jahren als Schatzmeister und Vizepräsident im Vorfeld des Rudertages Vorwürfe laut geworden waren. Doch die konnte ich entkräften und die Entlastung erfolgte sogar einstimmig. Am nächsten Tag stand die Feier zum 125-jährigen Bestehen des DRV an, zwei Minister kamen, und ich hatte den Verband gleich zu repräsentieren. Das war schon recht aufregend für mich. Bald danach folgte das Wanderrudertreffen in Berlin. Ich war zum ersten Mal als Vorsitzender dabei. Die Stimmung war einfach toll, das hat mich regelrecht mitgerissen. Einen besseren Start konnte ich nicht haben.

Wanderrudern ist ohnehin ein Thema, das dir sehr am Herzen liegt.

Das stimmt, obwohl ich selbst ja aus dem Leistungssport komme. Aber in meinem Verein, dem Schweinfurter RC Franken, haben wir häufig eigene Wanderfahrten organisiert, die immer schön und lustig waren. Wenn das Ressort Wanderrudern und Breitensport nun umstrukturiert werden soll, dann mit der Blickrichtung, künftig mehr Mitglieder zu gewinnen, die Rudern als Gesundheitssport und als schönes Freizeiterlebnis sehen.

Im Leistungssport hast du als DRV-Vorsitzender bei den Olympischen Spielen Höhen und Tiefen erlebt.

Sportlich ging es erst einmal nach unten. Bei den Olympischen Spielen in Peking, ein Vierteljahr nach meiner Wahl, haben wir unser bisher schlechtestes Ergebnis erzielt. Danach gab es etliche Stimmen, die gleich wieder meinen Rücktritt gefordert haben. Da musste ich durch und wir haben einfach weitergearbeitet. 2012 gab es in London die schöne Belohnung mit den Goldmedaillen des Achters und des Männer-Doppelvierers.


"Mir lief es häufig eiskalt den Rücken herunter. Das habe ich bei keinen anderen Olympischen Spielen mehr erlebt.“

Siegfried Kaidel über die Olympischen Spiele 2012 in London


Und wieder war es die Stimmung, die dich in London begeistert hat.

Ja, das stimmt. In London standen die Leute fast vom Start weg dicht an der Strecke. Das Ziel war als eine Art Wasserstadion angelegt, in das die Boote hereinfuhren. Auch bei den Sportlern war ein ständiges, lautstarkes Mitfiebern. Mir lief es häufig eiskalt den Rücken herunter. Das habe ich bei keinen anderen Olympischen Spielen mehr erlebt.

Und Tokio war durch die Pandemie-Umstände, ohne Zuschauer, ohnehin ganz anders.

Allerdings. Aber beim Rudern scheint noch mit die beste Stimmung geherrscht zu haben, wie mir Präsidenten-Kollegen in Tokio versichert haben. Das lag wohl daran, dass sich die Sportler auf der ansonsten leeren Tribüne akustisch mächtig ins Zeug gelegt haben.

Was waren die Meilensteine in der Verbandsarbeit?

Da gibt es einige. Unser neues Grundgesetz wurde nach sehr vielen Diskussionen bei einem außerordentlichen Rudertag beschlossen und war strukturell ein sehr großer Schritt in die richtige Richtung. Durch die Reform der Wasserschiffahrtsstraßen war die Zahl der Ruderreviere gefährdet. Michael Stoffels, der mittlerweile unser Ressort-Verantwortlicher ist, hat da in Zusammenarbeit mit den anderen Wassersport treibenden Verbänden viel erreicht. In den letzten Jahren war die Digitalisierung das große Projekt, bei dem wir uns jetzt in der Umsetzung befinden. Ein weiteres Thema war die Leistungssportreform und die Verhandlungen darüber mit unserem Haupt-Geldgeber, dem Bundesministerium des Inneren, und dem Deutschen Olympischen Sportbund. Ich kann sagen, da ist viel erreicht worden, auch wenn es vielleicht nicht genug ist, und die Entwicklungen immer weiter gehen.

Bei der ersten Evaluierung von PotAS, dem zentralen Element der Spitzensportreform, ist der Ruderverband im Bereich Struktur unter den olympischen Sommersportarten ganz hinten gelandet. Das war nicht angenehm.

Nach Bekanntwerden des Ergebnisses herrschte große Ernüchterung, aber es sind auch klare Worte gesprochen worden. Unter dem Strich haben wir unterschätzt, was eine getroffene Wortwahl ausmachen kann. Es sind sehr formale Dinge gewesen, die uns das schlechte Ranking eingebracht haben, das haben andere Verbände cleverer gemacht. Für die nächste strukturelle Bewertung 2023 wurden alle möglichen Konfliktherde aufgenommen und verändert. Ich bin optimistisch, dass auf der strukturellen Seite ein anderes Ergebnis stehen wird. Auf der sportlichen Seite, deren erste Bewertung jetzt erfolgte, war das schwieriger. Es gab bei uns Höhen und Tiefen. Tokio war enttäuschend, wir hatten vier Medaillen-Chancen und haben nur zwei zu zwei Mal Silber genutzt.


„Unser Potenzial ist groß, wir haben in diesem Jahr bei den U23- und U-19-Weltmeisterschaften zu den stärksten Nationen gehört.“

Siegfried Kaidel über die sportliche Perspektive des DRV


In der sportlichen PotAS-Analyse, die Erfolge und Potenzial bewertet, hat sich der DRV nun immerhin um acht Ränge verbessert. Es könnte aber dennoch zu Mittelkürzungen kommen.

Davon müssen wir ausgehen, aber sie werden im moderaten Bereich liegen. Wir waren nicht der einzige deutsche Sportverband, der in Tokio nicht so gut abgeschnitten hat. Dafür ist unser Potenzial groß, wir haben in diesem Jahr bei den U23- und U-19-Weltmeisterschaften zu den stärksten Nationen gehört. Dieses Potenzial zu heben, wird der neue leitende Bundestrainer Christian Felkel nun ganz besonders im Fokus haben. Das wird aber nur möglich sein, wenn der ganze Verband dahintersteht. Bei vielen muss da ein Umdenken stattfinden.

Du hast immer zu den Kritikern von PotAS gehört. Siehst du Verbesserungsbedarf?

PotAS ist da und der deutsche Sport muss nun mit ihm leben. Aber sicher ist es nötig, es bis zu den nächsten Evaluierungen nachvollziehbarer und auch gerechter zu gestalten.

Die Verbandsspitze hat ein Konzept für eine professionellere Verbandsstruktur mit einem gestärkten Hauptamt und einem entlasteten Ehrenamt entwickelt, das sich auch dein designierter Nachfolger Moritz Petri zu eigen gemacht hat. Hoffst du, dass die Delegierten beim Rudertag in Schweinfurt die Vorteile erkennen und diesem Weg als zukunftsorientiert zustimmen?

Ja, das hoffe ich. Unsere Topathleten sind sehr professionell aufgestellt, obwohl sie mit dem Rudern so gut wie nichts verdienen und gleichzeitig einem Studium oder einem Beruf nachgehen müssen. Schon das ist ein guter Grund, dass auch der Verband professionell und nicht aus dem Ehrenamt heraus geführt werden sollte. Dafür müssen Eigeninteressen der Vereine zurückstehen. Ich bin dafür, dass die Professionalisierung Schritt für Schritt umgesetzt wird. Zunächst sollen Sportdirektor und leitender Bundestrainer in Verantwortung treten. Ich halte es für richtig, dass wir ein Übergangsjahr haben, in dem Hauptamt und Ehrenamt gemeinsam führen. Nächstes Jahr kann das Projekt dann bei einem außerordentlichen Verbandstag weitergeführt werden. Das Ziel sind ein hauptamtlicher Vorstand und ein ehrenamtliches Aufsichtsgremium, das die Leitplanken setzt.

Will die Nachfolge von Siegfried Kaidel annehmen: Moritz Petri. Foto: DRV/Schwier

Mit Moritz Petri, der sich als dein Nachfolger zur Wahl stellen wird, hast du lange eng zusammengearbeitet.

Moritz ist seit 2013 einer meiner beiden Stellvertreter gewesen, er ist mit allen Themen und Personen bestens vertraut. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Er ist der richtige Mann, um den Verband in die Zukunft zu führen und ihn weiter zu modernisieren. Da er im Unterschied zu mir noch voll im Berufsleben steht, muss er sich vom Tagesgeschäft befreien und versuchen, zusammen mit dem Präsidium die groben Linien zu ziehen.  

Wie lautet deine Prognose zum Coastal-Rudern, dessen olympische Premiere vom IOC noch einmal verschoben worden ist?

Coastal wird sich durchsetzen. 2024 in Paris wird das Leichtgewichtsrudern zum letzten Mal im olympischen Programm stehen, das ist leider so.

Du sagst „leider“.

Ja. Ich war selbst Leichtgewichtsruderer und auch zuständiger Referent im DRV. Ich habe mit dafür gekämpft, dass Leichtgewichtsrudern olympisch wird und das war ein Riesenerfolg, dass das geschafft wurde. Dass es nun wieder herausfliegt, liegt an den Bestrebungen des IOC, das Programm kompakter und publikumswirksamer zu machen. Dem müssen wir uns als Ruderer anpassen. Coastal ist interessant und wir als DRV werden die Zeit bis zu den Spielen 2028 nutzen, Coastal entsprechend in der Breite und der Spitze aufzubauen.

In den vergangenen 13 Jahren ist kaum ein Tag vergangen, an dem du nicht mit dem Thema DRV beschäftigt warst, und sei es ein Telefonat oder eine Videokonferenz, selbst im Urlaub. Nach dem Rudertag in Schweinfurt, deiner Heimatstadt, dürfte das anders werden. Freust du dich darauf oder wirst du es vielleicht vermissen, das ständige Gebrauchtwerden?

Kann sein, kann auch nicht sein. Ich habe mir darüber bisher keine Gedanken gemacht. Ich höre im Oktober auf. Bis dahin konzentriere ich mich auf alles, was noch ansteht, und das ist nicht wenig. Ich will das Amt ordentlich zu Ende führen und übergeben. Ich bin selbst gespannt, was ich danach mache. Sicherlich nicht Herumsitzen und gar nichts tun. Das funktioniert bei mir nicht.

Ganz ohne Rudern wird es auch künftig nicht gehen, oder?

Erstens hoffe ich, dass ich selbst ein bisschen mehr ins Boot steigen kann. Und natürlich wird mich interessieren, wie es weitergeht, ob bei meinem Verein, im Bayerischen Ruderverband, oder beim DRV. Die Verbindungen mit den Mitstreitern und Freunden, die man gewonnen hat, werden nicht abreißen.

Und dann gibt es ja noch die Verbindungen über den Verband hinaus. Nach den vier intensiven Jahren als Sprecher der Spitzensportverbände bist du im Hintergrund an der Suche eines neuen Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) beteiligt. Das konnte man zumindest dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ entnehmen.

Ja, für uns Verbände ist es nun mal enorm wichtig, wie es nun weitergeht. Wie sieht die künftige Richtung des DOSB aus und vor allen Dingen: Wer führt den DOSB in die Zukunft? An der Mitgliederversammlung im Dezember würde ich als Delegierter gerne noch teilnehmen und sehen, wie dort die Weichen gestellt werden.


„Wir müssen versuchen, die Menschen mit guten Konzepten wieder mehr für Bewegung zu motivieren und in die Vereine zu bringen.“

Siegfried Kaidel über die Aufgabe des deutschen Sports


Was erhoffst du dir in der Zukunft von der Zusammenarbeit zwischen dem DOSB und den Verbänden?

Die Frage ist eher, wie der DOSB künftig strukturell aufgestellt wird. Die Zusammenarbeit im Spitzensport hat auf Arbeitsebene immer funktioniert. Was nicht mehr gepasst hat, war das Klima, das von der DOSB-Spitze geschaffen wurde. Mir fehlten zuletzt die zündenden Impulse für den Breitensport. So etwas wie der „Trimmy“, der in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Symbolfigur der Trimm-dich-Bewegung war. Durch die Pandemie hat es in manchen Sportarten einen regelrechten Knick gegeben. Wir müssen versuchen, die Menschen mit guten Konzepten wieder mehr für Bewegung zu motivieren und in die Vereine zu bringen. Das bedeutet auch, den entstandenen Vertrauensverlust wettzumachen.

Würdest du zustimmen, wenn man es als deine große Stärke beschreiben würde, immer das Gespräch zu suchen, zuhören zu können und zu versuchen, andere zu verstehen?

Ja, das kann man sagen, von Ausnahmen abgesehen. Manchmal bin ich auch ein wenig fränkisch stur (lacht). Normalerweise gehe ich auf die Menschen zu. Ich bin nicht böse, wenn jemand komplett anderer Ansicht ist. Selbst wenn er mich dabei persönlich angreift. Es muss trotzdem weitergehen. Wenn man gewählt ist, um einen Verband zu führen, dann muss man immer versuchen, alle Meinungen positiv aufzunehmen, so viele Leute wie möglich mitzunehmen und Lösungen zu finden.