21. Apr. 2012 | Nationalmannschaft | von Nina Schaffert & Klaus Mattes

Sonifikation mit der Handicap-Nationalmannschaft des DRV

Schneller mit Ton

Die Bedeutung bewegungsbegleitender Geräusche im Sport ist unbestritten und stellt ein wesentliches Beurteilungskriterium für die Qualität der Bewegungsausführung bei Experten dar. Dabei erfolgt die akustische Wahrnehmung der Bewegung in der Regel ohne dass sich der Ausführende darüber explizit bewusst ist. Sie findet automatisch nebenbei statt und trägt damit wesentlich zur Empfindung der Bewegung und damit zum Bewegungsgefühl bei. Deutlich wird das, wenn die Hörwahrnehmung im Bewegungsvollzug unterbunden ist und andere Sinnesbereiche die fehlenden Informationen ausgleichen müssen, um die Bewegung als Ganzes ausführen zu können. Eine ganz andere und besondere Bedeutung haben Geräusche für sehbehinderte und blinde Menschen, deren übrige Sinneswahrnehmungen aufgrund der Einschränkung im visuellen Bereich insbesondere im akustischen und taktilen Bereich sensibler und differenzierter ausgeprägt sind. Mithilfe zusätzlich gegebener akustischer Informationen können sie das Defizit in der optischen Informationsverarbeitung ein Stück weit kompensieren, ohne wahrnehmungsseitig überlastet zu sein. Um ihre Präzisionsportart überhaupt ausüben zu können, nutzt beispielsweise die von Geburt an blinde Biathletin Verena Bentele (mehrfache Goldmedaillengewinnerin, Paralympics) die akustische Wahrnehmung, um mit dem Ohr die Zielscheibe zu fixieren. Ein Piepton signalisiert ihr, ob sie beim Schießen richtig zielt. Je näher sie dem Zentrum der Scheibe kommt, desto schriller ist der Ton. Ein weiteres Beispiel ist das paralympische Mannschaftsspiel Goalball, einem eigens für Sehgeschädigte konzipierten Sportspiel. Unter Einbindung der Methode der interaktiven Sonifikation wurde ein Leistungstest zur sonifikationsbasierten Bewegungskontrolle entwickelt (1). Unter Ausnutzung des Gehörs erfolgt die Beurteilung der Umweltsituation. Dabei ist es möglich, sich auf bestimmte Anteile einer Schallquelle aus einem Gemisch mehrerer gleichzeitig anwesender Schallquellen zur Extraktion der wesentlichen Information zu konzentrieren. Die besondere Charakteristik des Gehörs ist nicht, alles zu hören, sondern zu 'wissen', was gehört und auf was besonders geachtet werden muss. Dieser Prozess wird als Cocktailparty-Effekt bezeichnet, angelehnt an die Situation auf einer Party, wenn aufgrund des Stimmengewirrs vieler Menschen eine große Geräuschkulisse herrscht. Über das Hören ist es möglich, zwischen dem Gespräch am eigenen und am Nachbartisch hin und her zu wechseln. Dabei werden die jeweils 'uninteressanten' (störenden) Worte unterdrückt. Diese Störschallunterdrückung ist sehr ausgeprägt und erreicht eine doppelt bis dreimal so laute Wahrnehmung der Schallquelle, auf die sich gerade konzentriert wird. Ganz deutlich findet der Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus statt, wenn man irgendwo aus dem Wortgemisch den eigenen Namen hört. Darüber hinaus erzielt das Gehör auch für seitliche Schallquellen ähnlich gute Ergebnisse ohne den Kopf bewegen zu müssen.

Beim Einsatz der Sonifikation bei Sehgeschädigten wird neben der Unterstützung der Bewegungsvorstellung des Athleten im Sinne eines "akustischen Bewegungsmusters" zudem eine Unterstützung der Situationsvorstellung angestrebt, die über die akustische Präsentation perspektivisch vielfältige Möglichkeiten der Interaktion mit der Umwelt ermöglicht. Die Vorteile einer akustischen Präsentation des Bootsbeschleunigungs-Zeit-Verlaufs in Form einer Klangsequenz im Rudern wurden bereits beschrieben und empirisch untersucht (2). Die technische Basis dafür bietet das akustische Feedbacksystem Sofirow . Auf Anfrage des Handicap-Cheftrainers Thomas Böhme wurde die Sonifikation auch bei der Vorbereitung des Mixed-Vierer (LTA 4+) in Ratzeburg für die WM 2011 in Bled, Slowenien eingesetzt. Aufgrund der Umstände konnte in Ratzeburg nicht die gesamte Zeit in der ursprünglich zusammengesetzten Besatzung trainiert werden, sodass die Ersatzleute mehrmals im Vierer zum Einsatz und mit der Sonifikation in Kontakt kamen.

Das Regelwerk für den Handicap-Bereich besagt, dass die Mannschaft aus körper- und sehbehinderten Athleten bestehen muss. Bei dieser Mannschaft bestand die besondere Herausforderung darin, dass ein blinder Ruderanfänger mit im Boot saß, der die Vorstellung und das Gefühl für die Ruderbewegung erst entwickeln musste. Die übrige Mannschaft verfügte bereits über Rudererfahrung und bestand aus körperlich und einer weiteren sehbehinderten Athletin. Während der UWV galt es, die Mannschaft zusammenzubringen, um das große Ziel, die Qualifikation für die Paralympischen Spiele 2012 in London, zu erreichen. Die Sonifikation wurde erstmalig in diesem Bereich zur Unterstützung eingesetzt. Insgesamt erfolgte die Begleitung über 2 Wochen und in 7 Trainingseinheiten. Für die Präsentation wurden die Untersuchungsblöcke an die speziellen Bedürfnisse der sehgeschädigten Athleten angepasst ohne deren Umgebungswahrnehmung zu strapazieren und die Abschnitte von 3min auf die Dauer von 2min verkürzt bzw. im 500-m-Rhythmus. Innerhalb eines Untersuchungsblocks wurde die Sonifikation dann in 3 bis 5 Abschnitten im Wechsel zugeschaltet. Die Präsentation der Klangsequenz erfolgte über die im Boot vorhandene CoxBox (siehe Abbildung 1).

Für die Auswertung sind neben den messtechnisch erfassten Ergebnissen insbesondere die subjektiv empfundene Wirkung und die Reaktionen der Athleten im Handicap-Bereich interessant, da bereits die Ausübung der Sportart an sich für sie eine besondere Herausforderung ist. Das gilt umso mehr, wenn zusätzliche Einflüsse von außen im Training eingesetzt werden (Messboot und/oder Feedbacktrainingsmaßnahmen). Bei der synthetisch erzeugten Sonifikation besteht zudem die Möglichkeit, dass die Athleten durch die neue Art der Trainingsform in der Ausführung der Ruderbewegung mehr gestört als unterstützt werden könnten. Insbesondere die Sehgeschädigten sind auf die akustische Wahrnehmung zur Orientierung angewiesen und haben weniger als die Sehenden Athleten die Möglichkeit, den auditiven Sinneskanal wahrnehmungsseitig untergeordnet zu behandeln.

Die Ergebnisse der Feedbackfahrten zeigten im Trainingsschlagfrequenzbereich (SF 20 +/- 0,5 Schläge pro Minute) eine gesteigerte mittlere Bootsgeschwindigkeit für die Abschnitte mit Sonifikation im Vergleich zur Referenzetappe ohne Sonifikation. Nach dem GPS des Trainers waren die " Etappen mit Sonifikation (...) schneller mit dem Ton" und die Mannschaft ist dem " MoBo weggefahren.". Insbesondere im ersten Abschnitt mit Sonifikation konnte die mittlere Bootsgeschwindigkeit mit der Vertonung erhöht werden ( "noch dominanter und besser." ). In den folgenden Abschnitten ohne, mit und ohne Sonifikation waren die Steigerungen weniger ausgeprägt, die Schlagfrequenz laut Steuerfrau aber leicht erhöht (" Frequenz 20 ist mit Vertonung eher eingehalten worden als ohne Ton. In den Abschnitten ohne Ton ist diese öfter auf 21 als mit Ton." ). Mit zunehmender Anzahl der Trainingseinheiten, in denen die Sonifikation eingesetzt wurde, zeigte sich, dass die Athleten immer besser in der Lage waren, die Geschwindigkeitssteigerungen bei gleich bleibender Schlagfrequenz in die Abschnitte ohne Sonifikation mitzunehmen. Die Veränderungen wurden vor allem bei der vorderen Bewegungsumkehr deutlich, die in der Klangsequenz durch einen tiefen Ton repräsentiert ist. Bei einer zu langsam ausgeführten Bewegung ist der Ton kurzzeitig nicht zu hören. Das Ziel war es, die Zeit in der Umkehrbewegung durch einen Nicht-Abriss der Tonsequenz zu verkürzen.

Auf die Frage, was die Athleten bewegungstechnisch anders gemacht haben, wurde " das ruhige nach vorne Rollen" und " Wasserfassen" genannt, um den Ton "möglichst gleichmäßig" und " so lange wie möglich vor dem Einsetzen zu halten". Für den Trainer wurden die Bemühungen der Athleten sichtbar ( "sieht rund aus die Bewegung"; "nehmen die Umkehr vorne schön mit.").

Die Empfindungen der Handicap-Athleten beim Rudern mit der Sonifikation waren " zunächst irritierend" und "(...) verwirrend" , da die "ungewohnte Trainingsform (...) bislang keine Anwendung im Trainingsbetrieb" hat. "Es hat etwas gedauert bis ich die Töne zuordnen konnte (...), bis man sich eingehört hat, (...) doch nach einer Gewöhnungsphase ist es uns gelungen, den Bootsdurchlauf zu verbessern." . Und " solange die Vertonung nicht die für mich wichtigen Hintergrundgeräusche überdeckt, ist sie hilfreich." und ermöglicht ein "v erstärktes Überprüfen der eigenen Rudertechnik" sowie eine "(...) konzentriertere Verbesserung der Schwachpunkte im Bewegungsablauf.". " Wenn ich es nicht hören möchte, kann ich den Ton "ausblenden". "Bei dosierter Anwendung im Training ist die Vertonung gut" aber "man muss erst 'hören' lernen". "Wenn ich mich voll auf die Vertonung konzentrieren kann" werden Abweichungen zwischen einzelnen Schlägen deutlich. "Extrem gut das Vorrollen und das schnelle Wasserfassen bzw. Abweichungen davon: Ton weg bei zu langsamem Fassen/Abtreten."

Der an die Bedürfnisse der Handicap-Athleten angepasste Einsatz der Sonifikation wurde in der Art und Weise von den Athleten als geeignet bestätigt: "So wie es praktiziert wurde: im 500m-Rhythmus sehr gut. Gut wären immer ca. zwei Tage Pause dazwischen." Um hilfreich zu sein, sollte die Vertonung "dosierte Anwendung im Training" finden, da " wenn es zu viele Durchgänge werden, (...) der Ton 'nervig' wird.". Auch hier zeigte sich die individuelle Herangehensweise der Athleten: "Ich hätte sie noch öfter hören können, um sie mir besser einzuprägen."; "Bei mir als 'Sehende' ist das eigene Gefühl wichtiger was den Bootslauf und die Bewegung betrifft."; "Ich würde sie gerne mal im Einer probieren.".

Damit unterscheiden sich die Ergebnisse nicht prinzipiell von denen der "Fußgänger", wie die körperlich nicht eingeschränkten Athleten von den Handicaps auch genannt werden. Mit der Sonifikation als neuer Methode im Techniktraining des LTA 4+ konnte der Prozess der Bewegungsvorstellung und des Gefühls für die Ruderbewegung in geeigneter Weise unterstützt werden. Das große Interesse des Trainers und der Mannschaft an der Sonifikation und deren Einsatz ist vielversprechend für die Zukunft, um auch auf andere Handicap-Mannschaften und -Athleten ausgeweitet werden zu können. Notwendig dafür ist aber auch die Förderungsbereitschaft seitens des Verbandes, die trotz der bisherigen Ergebnisse immer noch sehr zurückhaltend ist.

Glückwunsch der Mannschaft und dem Trainer zur Bronzemedaille bei der WM in Bled und Qualifikation für die Paralympics 2012.

Autoren:

  • Dr. Nina Schaffert, wiss. Mitarbeiterin in der Abteilung Bewegungs- & Trainingswissenschaft, Universität Hamburg
  • Prof. Dr. Klaus Mattes, Leiter der Abteilung Bewegungs- & Trainingswissenschaft, Universität Hamburg

Literatur:

  1. Hermann, T., Höner, O. & Ritter, H. (2006). AcouMotion - An Interactive Sonification System for Acoustic Motion Control. In S. Gibet, N. Courty & J.-F. Kamp (Eds.), Lecture Notes in Artificial Intelligence 3881 (pp. 312-323). Berlin, Heidelberg:
  2. Schaffert, N., Mattes, K. & Effenberg, A.O. (2011). An investigation of online acoustic information for elite rowers in on-water training conditions. J. Hum. Sport Exerc. 6 (2):392-405.

Artikel erschienen in Rudersport 10, 2011.