14. Mai 2014 | Nationalmannschaft | von Klaus Weise

Informationstour des LSB Berlin: Inklusion – eine Herzensangelegenheit

(DOSB-PRESSE) Vier Stunden quer durch Berlin, vier Stunden vollgepackt mit Informationen zu "Inklusion im Sport - Angebote und Akteure" bei den drei ausgewählten "Best Practice"-Beispie-len: Eine Informationstour des Landessportbundes (LSB) Berlin hat gezeigt, wie gute Ideen nicht nur in Sonntagsreden gedrechselt, sondern auch engagiert in die Tat umgesetzt werden können.

An den drei Stationen Ruderclub Hevella in Spandau (Rudern mit geistig Behinderten), Budo Club Ken Shiki in Heiligensee/Reinickendorf (Judo mit körperlich und geistig Behinderten) und bei den Karower Dachsen in Pankow (Lauftandem-Projekt mit Seh- und Körperbehinderten) gab es für Medienvertreter Anschauungsunterricht, was unter Inklusion zu verstehen ist, und wie sie vorbildhaft umgesetzt wird. Mit an Bord waren auch Experten, die Auskunft gaben, aber auch selbst gespannt auf die Projekte an der Basis waren.

Berlins Sport-Staatssekretär Andreas Statzkowski war ebenso dabei wie Prof. Gudrun Doll-Tepper, Vizepräsidentin des DOSB und des LSB, LSB-Präsident Klaus Böger. die sehbehinderte mehrmalige Schwimm-Paralympicssiegerin Daniela Schulte, der Deaflympics-Goldgewinner und 2. Vorsitzende des Berlin-Brandenburger Gehörlosen-Sportverbandes, Jürgen Schuster, Franz Allert, Präsident des Landesamtes für Gesundheit und Soziales sowie des Deutschen Tanzsport-verbandes, Ralf Otto, Vizepräsident des Behinderten-Sportverbandes Berlin und Präsident des Paralympischen Sportclubs (PSC), Frank Kegler, Leiter der LSB-Sportschule und LSB-Vertreter im Berliner Netzwerk "Sport und Inklusion", sowie Kirsten Ulrich, ebenfalls Netzwerk-Vertreterin und Ideengeberin des Karower Lauftandem-Projekts.

Sie alle füllten die Fahrzeit zwischen den Stationen mit Fakten und Wissen. Aber auch den Ex-perten gab die Tour "einen außerordentlich interessanten Einblick in die Theorie und Praxis der Inklusion", wie Gudrun Doll-Tepper sagte.

Inklusion sei kein neues Thema für den Berliner Sport, sagte Klaus Böger. Auch wenn es in der Begrifflichkeit so scheine. Früher stand dafür zumeist das Wort "Integration", aber wegen dessen Bezuges auf Menschen mit Migrationshintergrund sei nun mit der Annahme der UNO-Behinder-tenrechtskonvention vor fünf Jahren und dem dort verwendeten Begriff "Inklusion" eine unmiss-verständliche Klarstellung gegeben. Böger sah Berlin insgesamt durchaus "auf der Höhe der Zeit", merkte aber an, "das ist keine Sache, die von heute auf morgen zu erledigen, sondern die mit einem langen Weg in die Köpfe verbunden ist". Das verlange weitere Veränderungen in der Infrastruktur und auch in den Vereinen.

Staatssekretär und SCC-Vorsitzender Andreas Statzkowski sagte: "Sport ist nicht nur erste Bun-desliga, er ist wesentlich breiter aufgestellt. Und Inklusion ist deshalb nicht nur tagespolitisch wichtig, sondern eine Herzensangelegenheit. Wir brauchen nicht nur aufmunternde Gesten, son-dern konkrete Schritte." Dies betreffe vor allem die behindertengerechte Anlage von Sportstätten. In den künftigen Haushaltsverhandlungen (2015, 2016/17) sei das zu berücksichtigen. Statz-kowski monierte, es gebe viele "Sonntagsreden, aber sehr überschaubare konkrete Unterstüt-zung". Nun habe der Senat erstmalig ein 200.000 Euro-"Teilhabeprogramm" für 2014/15 initiiert, mit dem Projekte bei Integration, Inklusion, Frauen- und Mädchensport unterstützt werden sollen.

Beim Spandauer RC Hevella hat Inklusion ein sinnträchtiges symbolisches Bild: Man sitzt in einem Boot. Monika Tampe, Abteilungsleiterin Reha- und Behindertensport des Vereins, ist Spiritus rector des Ganzen, das vor mehr als einem Jahrzehnt seinen Anfang nahm. Seitdem gehören die Berliner zu den wenigen Vereinen in Deutschland, die sich diesem speziellen Feld des Wassersports widmen.

Über die Jahre verbesserten sich die von Tampe betreuten und trainierten Mixed-Boote, die als Vierer je zur Hälfte männlich und weiblich besetzt sind. Sie waren schließlich auch international konkurrenzfähig, vertraten Berlin bei Weltmeisterschaften und gewannen Medaillen. Allerdings musste vieles improvisiert und selbst bezahlt werden. Einstweilen ist die Bootsklasse vom Weltruderverband (FISA) wegen mangelnder Teilnahme aus dem Programm genommen worden.

"Wir machen weiter, Teilhabe am Leben kann ja nicht von Funktionärsbeschlüssen abhängig sein", sagte Monika Tampe. Im Verein habe es die Behindertenabteilung "längst auch den letzten Zweiflern angetan und ist eine ganz starke Bank". Ohne die "Handicaps" im Verein ginge man-ches nicht. Die Behinderten seien eine Bereicherung für den Verein. "Sie haben immer gute Laune, sind immer gut drauf." Und so heißt auch das Boot, mit dem sie den Journalisten zeigten, dass sie es können: "Gut drauf!"

Ein Eindruck, den man auch von den beiden folgenden Stationen in Reinickendorf und Karow mitnimmt. Hie wie da wird deutlich, dass der Alltag des Vereinslebens nicht sorgenfrei und nur durch ausgeprägte Eigeninitiative und Selbsthilfe zu bestehen ist.

Dafür stehen beim BC Ken Shiki in Reinickendorf der gebürtige Ägypter Hamdy Mohamed, der den Verein mit jetzt 70 Mitgliedern 2009 gründete, und bei den Karower Dachsen Vereinsvor-stand und Lauftandem-Initiatorin Kirsten Ulrich. Mohamed hat Anfang April die Internationalen Deutschen Meisterschaften im G-Judo (das G steht für geistig Behinderte) organisiert, bei denen seine Ken-Shiki-Schützlinge mehrere Titel gewannen, gegen Konkurrenz aus zehn Bundeslän-dern, dazu aus Österreich und den Niederlanden.

Mohameds Erfahrungen beim Versuch, Judo für geistig Behinderte in bereits vorhandene Struk-turen zu integrieren, sind unterschiedlicher Art. Dass die IDM von der Senatsverwaltung unter-stützt wurde, Frank Steffel gar die Schirmherrschaft übernahm, empfand er als Zeichen. Den-noch müsse, sagt er, weitere und bessere Lösungen geben. Sein Engagement will er auf jeden Fall fortsetzen, denn Judo hält er für "einen idealen inklusiven Sport, der Strukturen schafft, das Selbstbewusstsein stärkt und den Behinderten täglich zeigt: auch ich kann etwas bewegen".

Das trifft auch auf das "Lauftandem-Projekt" der Karower Dachse zu. Kirsten Ulrich, Vorstand des Vereins und im Berliner Netzwerk "Sport und Inklusion" aktiv, hat es sich 2011 einfallen lassen. Das gemeinsame Laufen von je einem Sehenden und einem Sehgeschädigten, die durch ein Band miteinander verbunden sind, ist eine ebenso simple wie in den Details wohlüberlegt umzusetzende Idee.

Das Projekt ist deutschlandweit einzigartig. Das zeigt sich u.a. darin, dass Vereine aus Bayern, NRW oder Hamburg bei den Dachsen um logistische Hilfe nachgefragt haben, oder dass manche Interessenten ängere Wege bis nach Karow in Kauf nehmen, um ihrer Passion frönen zu können. Wie zum Beispiel Michael Grabsch (47) aus Reinickendorf, für den in seinem Kiez bis dato kein passender Guide gefunden wurde.

Kirsten Ulrich, Initiatorin des Lauftandems, weiß aus eigenem Erleben, wie wichtig der Sport als "Medizin" für soziale Mobilität, gegen Kontaktarmut und Vereinsamung ist. Ende 2003 schien die Diagnose Krebs, Operation und Chemotherapie für sie das Ende aller Träume. Weitere Krank-heitsprobleme folgten, doch Kirsten Ulrich kämpfte dagegen an. Über 20 Marathons hat sie inzwischen bestritten, das Laufen zum Sport, zur Therapie und Lebensphilosophie gemacht.

Daniela Schulte, die blinde Schwimmerin, die 2012 zu Berlins Sportlerin des Jahres gewählt wurde, hofft, dass es mal gemeinsame Deutsche Meisterschaften von Behinderten und Nicht-behinderten gibt. "Erst das Finale der einen, dann das der anderen. Teilhabe eben", sagt sie. "Inklusion, das heißt für mich: gemeinsame Problemlösungen und Vorteile abbauen. Dafür muss man sich füreinander interessieren und voneinander wissen."