03. Nov. 2017 | Panorama | von Wilhelm Hummels

Taubblinde können rudern und tun dies mit Begeisterung

Für Taubblinde werden Ruderkommandos in taktile Reize umgesetzt.
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Geht das überhaupt, wird sich so mancher fragen. Ja, lautet die Antwort für das Deutsche Taubblindenwerk in Hannover, das in diesem Jahr 50 Jahre besteht. Durch das Engagement der Betreuer wird dies gemeinsam mit dem Deutscher Ruderclub von 1884 seit fast 40 Jahren ermöglicht. Woche für Woche geht es für Taubblinde und ihre Betreuer ins Ruderboot oder im Winter in den Ruderkeller oder Ergo-Raum. Das Taubblindenwerk hat eigene Ruderboote, auf die der DRC auch zugreifen darf.

„Macht mal die Augen zu, Blinde lernen das Rudern schneller“
Wie funktioniert das? Es soll früher Ruderlehrer gegeben haben, die als letztes Mittel, Ruderern Bootsgefühl- und rhythmus beizubringen, energisch gerufen haben, „Macht mal die Augen zu, Blinde lernen das Rudern schneller“. Damit wird ein Sinnesorgan geschult, was als solches nicht im medizinischen Wörterbuch vorkommt. In der Tat, wer Blinde oder Taubblinde hat rudern sehen, der könnte dieser in Lehrbüchern nicht vorkommende Lernmethode etwas abgewinnen.

„Gänsehaut pur“, in der Berichterstattung der Ruderbundesliga-Finals ein gerne benutzter Begriff ist auch treffend, wenn man Taubblinde im Ruderboot, Ruderkasten oder auf dem Ergo erlebt. Das Boots- und Bewegungsgefühl ist faszinierend und besser, als bei vielen nichtbehinderten Ruderern.

Rudern wirkt sich positiv auf die Psyche aus
Reinhard Schlenk, pensionierter Leiter der Ruderriege im Deutschen Taubblindenwerk, weist auf folgende Lernziele hin:

Durch den ständigen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung wirkt sich Rudern positiv auf die Psyche aus. Beim Rudern können wichtige Körpererfahrungen wie Krafteinsatz oder Muskelkater gemacht werden. Die Kopfhaltung der Blinden wird geschult. Als Balancesportart fördert Rudern den Gleichgewichtssinn. Das Ruderboot gibt die Möglichkeit zu vollem körperlichem Einsatz, ohne von Orientierungsproblemen oder Unsicherheiten beeinträchtigt zu werden.

Ruderkommandos werden in taktile Reize umgesetzt
Durch das regelmäßige Training können hörsehbehinderte und taubblinde Schüler ihre Raumangst überwinden. Behinderte Ruderer übernehmen Verantwortung, denn jeder Platz ist im Boot mit einer speziellen Aufgabe verbunden und erleben den Sport als vollwertiges Individuum.

Taubblinde kommunizieren mit Ihrer Umwelt über das Lormen oder Lorm-Alphabet. Der „Sprechende“ tastet dabei auf die Handinnenfläche des „Lesenden“. Dabei sind einzelnen Fingern sowie bestimmten Handpartien bestimmte Buchstaben zugeordnet. Das Lorm-Alphabet wurde von Hieronymus Lorm 1881 aus eigener Betroffenheit heraus entwickelt. Diese Form der Verständigung öffnete taubblinden Menschen ein Tor zur Außenwelt und befreite sie aus der Isolation.

Wie aber funktioniert die Kommunikation, wenn die Hände die Skulls oder die Ergogriffe halten. Für taubblinde Schüler werden die Kommandos in taktile Reize umgesetzt: Zweimal auf die Oberfläche beider Hände tippen bedeutet „Ruder halt!“. In den Ruderpausen wird über das Lormen in der Hand kommuniziert. Schülern mit Hör- und Sehrest werden die Ruderkommandos in lautsprachbegleitende Gebärden angekündigt.

In einem Vierer sitzt auf Schlag ein Behinderter, dahinter sein Betreuer und dann das nächste Paar. Wie immer im Rudern bestimmt der Schlagmann den Rhythmus. Für die Schlagübernahme wird das bereits oben beschriebene besonders geschulte Sinnesorgan eingesetzt.

Lucas als Schlagmann ist der Boss
Schlagmann eines Vierers ist Lucas, seit seiner Kindheit taubblind und Schüler im Deutschen Taubblindenwerk. Die Bilder am DRC zeigen, wie Lucas seine Rolle als Schlagmann ausfüllt. Er ist der Boss, der das Steuer keinen anderen tragen lässt. Sein Boot und das Steuer seines Bootes werden selbstverständlich vom ihm getragen. Lucas eigene Worte:

„Jede Woche am Montag fahren wir mit zwei Bussen zum Rudern. Dann müssen wir Ruderboot holen und ins Wasser bringen. (Einmal für drei Leute mit zwei Ruderern und einem Aufpasser. Und ein Boot für fünf Menschen mit vier Ruderern und einem Aufpasser.) Ich rudere im Boot mit fünf Menschen. Das ist sehr schön.

Es gibt auch Wasserbecken für die Winterzeit. Im Sommer rudern wir mit zwei Booten auf Wasser draußen. Wenn wir fertig mit Rudern auf Wasser sind. Dann nehmen wir das Boot aus Wasser und bringen es auf Holztisch. Da müssen wir auch Schlauch für Wasser holen und Boot putzen und sauber machen. (Zuerst mit Wasser, dann machen wir die Boote trocken.) Dann bringen wir die Boote in den Bootsverein.

Dort gibt auch Rudermaschine und Fahrradmaschine. Dort machen wir auch Sport. Ruderboot auf Wasser ca 15 bis 30 Minuten und im Wasserbecken nur 10 Minuten rudern. Ich mag gerne auf Wasser mit Boot rudern. Und auch Maschine zum Sport machen. Wasserbecken ist bisschen langweilig weil dort ins Haus ist und keine Luft kommt.“

können ausdrucksstärker nicht sein, erst recht seine Wahrnehmung des Ruderkastens, ein Ort an dem sich alle Ruderer das baldige Ende des Winters wünschen.

Zu wenig Rudervereine im Behindertensport tätig
Früher gab es im Deutschen Taubblindenwerk auch Benotungen für das Rudern. Zu einem Beispiel aus dem Jahr 1978 „Im Rudern beteiligte sich Regine mit großem Eifer und Einsatz. Sie hat in Technik und Rhythmus Fortschritte gemacht.“ ist anzumerken, Ihr Bruder und Verfasser dieses Berichtes versucht dieses heute noch.

Zu wenige Rudervereine sind auf dem Gebiet des Behindertensportes tätigt. Es wird viel über Soft-Skills als Erfolgsfaktoren in der Vereinsarbeit gesprochen. Der Verein gewinnt in der Behindertenarbeit an sozialer Kompetenz und Reputation in seinem Umfeld. Die Begeisterung der Behinderten beim Rudern tut ihr Übriges. Übrigens, die Landes- oder Stadtsportbünde geben gerne Auskunft, wie Zuschüsse für die Behindertenarbeit generiert werden können.