11. Juni 2008 | Nationalmannschaft | von Dr. Roland Baar, Gifhorn

Roland Baar: Offener Brief zur Situation im Deutschlandachter

Offener Brief - Situation im Deutschlandachter an den Vorstand des Deutschen Ruderverbands Herr Siegfried Kaidel

Lieber Siegfried,

mit diesem offenen Brief möchte ich Dich und den Vorstand des Deutschen Ruderverbands bitten, bezüglich der Entscheidung der Meldung des Deutschlandachters bei der Weltcup-Regatta in Posen umzudenken.
Ich halte es für meine Pflicht, vor weiteren Fehlentscheidungen mit langfristigen Auswirkungen zu warnen.

Das aktuelle Problem geht zurück auf die Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr in München. Schon im Vorfeld hatte es Kritik zur Achterbesetzung gegeben, als Leistungspotentiale ungenutzt schienen.
Der Achter hat 2007 mit dem zweiten Platz bei der WM aber bewiesen, dass Individualleistungen nicht immer für einen Mannschaftserfolg verantwortlich sein müssen. Die Gruppe um diesen Achter hat danach ihr Konzept konsequent weitergeführt. Dies wurde durch Vorstand und Sportdirektor mitgetragen. Nach den schwachen Individualleistungen dieser Mannschaft bzw. sehr guten Ergebnissen anderer junger Ruderer bei der Kleinbootmeisterschaft im Frühjahr dieses Jahres war dann aber klar, dass es eine sehr erfolgversprechende Alternative einer Achterbesetzung gibt. Jedoch ist danach eine historische Chance verpasst worden, als nicht - wie vielfach gefordert - schon in München ein Ausscheidungswettkampf zwischen dem eingefahrenen Achter der Vorjahre und dem Achter aus den stärksten Zweiern ausgetragen wurde.
Eine solche Situation hatte es noch nie gegeben, man hätte schon in München eine faire Entscheidung für alle Athleten herbeiführen und gleichzeitig sogar einen "Systemvergleich" von Besetzungsstrategien durchführen können.

Jetzt ist die Situation verfahren und es ist festzustellen, dass es nicht mehr um eine optimale Lösung geht. Die Diskussionen der letzten Tage haben bereits zu einiger Vergiftung geführt und es ist wahrscheinlich, dass dies schon heute Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeiten der Mannschaften hat. Mit beiden Achtern existieren jetzt spezifische Risiken Es ist sowohl unsicher, ob die eine Mannschaft zu alter Stärke zurückfinden kann als auch unsicher, ob die andere Mannschaft Ihre Leistungsfähigkeit in der verbliebenen Zeit entfalten kann. Der Deutsche Ruderverband hat keine Not für eine Vorabentscheidung. Vielmehr wäre eine solche in der aktuellen Lage sogar mehr als unklug. Nur ein direkter Wettkampf kann eine Klärung herbeiführen, die von allen Beteiligten akzeptiert werden kann und eine Diskussion beendet, die ansonsten noch langfristig geführt wird.
Es wäre zudem angemessen, eine Nominierung zu den Olympischen Spielen vorzubereiten, die auch für den deutschen Sport und die Öffentlichkeit verständlich und nachvollziehbar ist.

Ich halte die Entscheidung des Deutschen Ruderverbands für richtig, bei der Weltcup-Regatta in Posen den ersten Achter aus den stärksten Ruderern Deutschlands zu nominieren. Ich möchte den Ruderverband trotzdem darum bitten, am kommenden Montag für Posen auch den Achter mit der Stammmannschaft des Vize-Weltmeisters 2007 zu melden. Nach der Regatta in Posen wird dann endgültig Ruhe einkehren und die Vorbereitung auf Peking anfangen können. Eine saubere Entscheidung hilft der erfolgreichen Mannschaft auch bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele.

Darüber hinaus möchte ich anraten, den Ruderern, die in Posen erstmals im Achter starten, für den Fall, dass sie sich im Achter ggf. nicht durchsetzen können, eine Chance zu geben, sich dann im Zweier und Vierer zu beweisen und für die Olympischen Spiele zu qualifizieren.
Durch ihre Bereitschaft, im Achter zu starten und so mitzuhelfen, dem angeschlagenen Ansehen des deutschen Rudersports zu positiven Impulsen zu verhelfen, darf ihnen kein Nachteil entstehen.

Nachdem der Rudersport jetzt in einer massiven Krise steckt, geht es heute darum, weiteren Schaden von Sportlern und Verband abzuhalten.
Der aktuelle Umgang mit den Ruderern ist unwürdig. In den vergangenen Tagen habe ich von direkt beteiligten Athleten und Betreuern "beider Seiten" und darüber hinaus von persönlich ganz unbeteiligten Vereinsvertretern viele Anrufe erhalten. Es hat sich gezeigt, dass nicht nur bloßer Handlungsbedarf, sondern Grund zur Sorge besteht, dass die Ruderwelt in Deutschland weiter gespalten wird. Einsame Entscheidungen mit harter Hand helfen nicht.

Es wäre an der Zeit, zur Anwendung von nachvollziehbaren Leistungskriterien zurückzukehren. Für den Achter scheint es noch nicht zu spät zu sein.

Dein Roland