12. Nov. 2019 | Panorama | von Thomas Kosinski

Kaidel: "Wir müssen hellwach sein"

Siegfried Kaidel steht dem Chefredakteur von rudersport, Thomas Kosinski, Rede und Antwort.© tomski-media.de

Ein Jahr noch will Siegfried Kaidel im Amt bleiben. Im Interview mit rudersport spricht der DRV-Vorsitzende über die Olympiaqualifikation, neue Wege in der Vermarktung und Rudern im Fernsehen.

Herr Kaidel, die deutschen Boote blieben bei der ersten Chance auf Olympiatickets deutlich hinter den Erwartungen? Sind Sie optimistisch für die Nachqualifikationen  kommendes Jahr in der Schweiz?
Nachqualifikationen sind nie einfach, denn es gibt ja jeweils nur zwei Plätze, wir müssen eine gute Vorbereitung leisten. Im Januar sollte die Mannschaft stehen, die in die Qualifikation geht, denn sie kann hinterher nicht mehr verändert werden. Es geht im Frühjahr also nicht allein um Plätze, sondern gleichzeitig um Personen. Besonders für den Vierer ohne der Männer, aber auch für den Frauen Doppelzweier bin ich sehr zuversichtlich.

In welchem Boot soll denn Marie-Luise Dräger starten, eine leichte Einerfahrerin, die aber nur im olympischen leichten Doppelzweier eine Medaille holen könnte?
Sie hat wieder einmal bewiesen, dass sie sehr gut im Einer fährt. Bei der Mannschaftsbildung im Leichtgewicht spielt indes das Gewicht beider Ruderinnen eine Rolle. Das muss neben der ruderischen Leistung ebenfalls passen. Wir haben uns vorgenommen, nach der WM keine Schnellschüsse zu machen, sondern gründlich zu analysieren.

Hat sich in Anbetracht der Ergebnisse dieser Olympiaqualifikation der ganze Ärger um die Leistungssportreform überhaupt gelohnt?
Die Leistungssportreform beginnt ja erst. Da taugen die Ergebnisse aus Linz sicherlich nicht zur Beurteilung. Die Entscheidung, die Kräfte zu konzentrieren, ist lang- und mittelfristig angelegt. Da wurde ja kein Schalter umgelegt und plötzlich ist alles hell erleuchtet. Ich bin überzeugt, wenn wir nicht schon jetzt so konsequent zusammen gerudert hätten, wäre das Ergebnis vielleicht noch schlechter ausgefallen. Für mich ist der einzig richtige Weg, die Konzentration der Sportler an bestimmten Orten. Alle Teams, die vorne mitrudern, sind eingespielte Mannschaften. Es braucht einfach eine lange gemeinsame Zeit des Trainings, bis ein Boot zu einhundert Prozent harmoniert.

Die finanzielle Unterstützung durch den Bund wird an olympischen Medaillen gemessen. Können wir in Tokio mehr Medaillen gewinnen als 2016 in Rio mit zweimal Gold und einmal Silber?
Wenn die Gegner mitspielen, ja (lacht). Vom Potenzial her sind wir gut aufgestellt: beide Doppelvierer und auch Doppelzweier,  Einer, Achter, leichter Doppelzweier und Vierer ohne der Männer, das sind alles Boote mit guten Ruderern und guten Chancen. Zweimal Gold und eine Silbermedaille sind ein hohes Ziel, das sich nicht so einfach überbieten lässt. Man muss auch Folgendes sehen: Die Ergebnisse bei der WM in Linz waren teilweise so eng und knapp, dass man keine verlässliche Aussagen machen kann. Bei einem Rennen muss nicht nur die absolute Topleistung gebracht werden, sondern es muss vieles passen, um vorne mitzufahren. Nur: Wir reden von Menschen, da gibt es immer mal Abweichungen. Dennoch: Ich bin überzeugt, dass wir weiterhin Erfolg haben.

Ist das Leichtgewicht-Rudern international noch zu retten?
Nach all den Diskussionen, die inzwischen geführt wurden, scheint mir das Aus für das olympische Leichtgewichtsrudern gekommen zu sein. Wir müssen bei den Olympischen Spielen dafür kämpfen, da zitiere ich den FISA-Präsidenten Jean-Christophe Rolland, unseren traditionellen Bereich im Rudern so weit wie möglich zu bewahren. Das IOC folgt erkennbar der Linie, Trendsportarten aufzunehmen. Im Rudern haben wir Coastal Rowing, das unter Vermarktungsaspekt sicherlich spektakulär ist und eine Zukunft bei den Olympischen Spielen hat. Aber ich gehe davon aus, dass vielleicht schon nach den Spielen in Los Angeles 2024 weitere Bootsklassen aus dem olympischen Ruderprogramm gestrichen werden könnten. Einer der Gründe sind die Zahlen. Rudern stellt mit insgesamt 526 Aktiven die drittgrößte Streitmacht bei den Olympischen Spielen. Die Kanuten zum Beispiel haben lediglich ein Kontingent von rund 250 Personen und können ihre Mannschaft durch Mehrfachnennungen in den Bootsklassen wesentlich kleiner halten. Wir müssen da hellwach sein.

Kann und will sich der DRV nicht ein wenig von den ruderfeindlichen Trends ablösen? Oder kann niemand dem Strom des Geldes und dem Diktat des IOC entkommen?
Der Strom des Geldes ist immerhin so stark, dass in Tokio die Ruderwettbewerbe bei größter Hitze ausgetragen werden, nur weil der übertragende TV-Sender zu diesem Zeitraum eine Sendelücke schließen muss. Daran lässt sich erkennen, dass selbst das IOC wiederum gesteuert wird bzw. machtlos ist. Generell möchte das IOC möglichst viele publikumswirksame Sportarten übertragen. Die Welt und die Bedürfnisse ändern sich und auch der Rudersport muss sich verändern. Der Deutsche Ruderverband hat eine Stimme unter vielen. Wir müssen uns selbst hinterfragen, ob wir noch auf der Höhe der Zeit sind?

Im großen olympischen Konzert, wo offenbar kein Unterschied zwischen Riemen- und Skullrudern besteht, gerät die Vielfältigkeit unserer Sportart unter die Räder. Kann der Verband nicht versuchen, abseits vom olympischen System gemeinsam mit anderen Nationen internationale Ruderevents zu stärken – mit Highlights von Henley bis Rendsburg?
Ideen zum Beispiel zu einem Achter-Cup gab es bereits, bei denen verschiedene Länder ihre ruderischen Highlights zu einer Serie zusammenschließen. Auf Papier gibt es da viele Optionen, auch für andere Bootsklassen und verschiedene Distanzen. All diese Ideen sind bislang an der Finanzierung gescheitert. Jüngstes Beispiel ist das Achterrennen von Prag nach Hamburg, das über eine Woche mit großem Aufwand durchgeführt werden sollte und am Ende als kleine Regatta unter dem Radar der Medien gerudert wurde. Am Ende steht und fällt alles mit der Beantwortung der beiden Fragen: Wer macht es und wer finanziert es? Wenn es hier keine Antworten gibt, geht es nicht weiter. Einzelne Veranstaltungen dagegen funktionieren, siehe Rendsburg. Mit dem Kanalrennen hat man über die Jahre etwas aufgebaut, arbeitet mit lokalen Sponsoren und schafft ein Event für die Region, das mit sehr viel Herzblut organisiert wird. Es ist ein Ereignis, bei dem alle an einem Strang ziehen. Nur so kann es gehen.

Und man kann den Deutschland-Achter in Deutschland sehen. Ist das nicht ein Ärgernis, dass das sogenannte Flagschiff meist nur im Ausland oder im Fernsehen zu sehen ist?
Ja, selbst ich trauere dem oft nach. In der Zeit vor den Weltcups hatten wir viele internationale Regatten, die gut besucht waren und auf denen der Deutschland-Achter und die deutsche Nationalmannschaft gestartet sind. Heute kostet die Bewerbung für einen Weltcup schon eine erhebliche Summe, die viele Veranstalter nicht aufbringen wollen und können. Schon die Gelder, die früher gar nicht angefallen sind, verhindern heute, solche Veranstaltungen finanziell zu schultern.

Andere Länder schultern aber diese Herausforderungen. Warum wir nicht?
In den östlichen Ländern übernimmt der Staat diese Kosten. Bei uns gibt es einen maximalen Zuschuss von 150.000 Euro für die Ausrichtung einer WM. Das reicht nicht einmal zur Deckung der Bewerbungskosten. Im Rudern stehen die Firmen und andere Geldgeber nun einmal nicht Schlange.

Weil Rudern so geringe Fernsehzeiten hat und auch nicht gerade zuschauerfreundlich ist. Kann und muss Rudern sein Format ändern, um telegener zu werden?
Die Fernsehsender bemängeln, dass Rudern im Jahr nur drei-, viermal – Weltcups und WM – in Erscheinung tritt und dann wochenlang nichts passiert. So erreicht man keine Kontinuität, die aber wichtig ist. Andere Sportarten haben einen Ligabetrieb mit viel mehr Veranstaltungen und sind allein dadurch häufiger präsent. Ich will nicht behaupten, dass dies bei uns so einfach ginge, aber die Fernsehzeiten ließen sich sicherlich steigern.

Sie haben Sie noch ein Jahr als DRV-Vorsitzender vor sich. Was bleibt für Sie noch zu tun?
So einiges! 2020 sind die Olympischen Spiele. Vom Erfolg in Tokio hängt ganz wesentlich die Finanzierung des Leistungssports durch den Bund ab. Die Potenzialanalyse PotAS muss weiter geschärft werden, im Herbst gehen wir damit in die Verbandsgespräche. Wir werden die Agenda 2024 weiterverfolgen, mit der wir unsere eigenen Strukturen und vor allem die Digitalisierung vorantreiben. Da hängen enorme Investitionen dran. Meine Periode endet am 1. November 2020. Bis dahin werde ich alles dafür tun, damit wir in diesen Punkten weiterkommen.

Bleibt es dabei, dass beim Rudertag 2020 nicht nur Sie, sondern auch Ihre Stellvertreter Moritz Petri und Dag Danzglock aufhören und wir keine Kontinuität haben im Vorstand?
Wir sprechen häufig untereinander, aber wir wollen die Personaldiskussionen erst zum Ende des Jahres führen. Bis dahin hat jeder Zeit, darüber nachzudenken. Bei mir allerdings steht der Entschluss aufzuhören fest, ich habe das lange angekündigt.

Ein Abschied mit lachenden oder weinenden Augen?
Das eine lacht, das andere weint. Ich habe die Vorstandsarbeit gern gemacht, aber man muss auch einiges aushalten können. Ich werde ständig gefragt: Was machst du danach? Ich weiß es nicht. Ich werde erstmal Luft holen und vielleicht selbst wieder mehr rudern, das ist doch auch nicht schlecht, oder? 

Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen November-Ausgabe von rudersport Das Magazin erscheint im Sportverlag Sindelfingen und kann im Abo (85,80 €) oder als Einzelheft (8,50 € einschl. Versandgebühr) bestellt werden, Mail: vertrieb@sportverlag-sindelfingen.de, Telefon: 07031-862-851.