07. Dez. 2018 | Nationalmannschaft | von Judith Garbe

Duale Karriere im Rudersport

Karl Schulze wird von der Bundespolizei gefördert. Der Olympiasieger im Doppelvierer weiß die Unterstützung sehr zu schätzen.

Tokio 2020 nähert sich mit immer größeren Schritten. Deshalb steht die Rudersaison 2019 auch ganz im Fokus der olympischen Qualifikationswettkämpfe. Für Athleten ist diese Phase wieder eine neue Herausforderung. Während in den beiden zurückliegenden Jahren Sportler parallelen Fokus auf ihre berufliche Karriere und den Sport gelegt hatten, so sollte nun die sportliche Karriere an erste Stelle gestellt sein. Dass das zweite Standbein – Schule, Ausbildung, Studium oder Beruf – während dieser eineinhalbjährigen Vorbereitungsphase etwas hinten angestellt werden muss, ist dabei leider unvermeidbar.

Um eine optimale Olympiavorbereitung gewährleisten zu können, sind seit Anfang November die vier Disziplinen Frauen-Skull (Berlin), Frauen-Riemen (Potsdam), Männer-Skull (Ratzeburg/Hamburg) und Männer-Riemen (Dortmund) an vier zentralen Standorten beheimatet. Dort soll fortan an fünf Tagen pro Woche gemeinsam trainiert werden. Dieser zeitliche Aufwand, in Verbindung mit einer steigenden Anzahl an Trainingslagern und Regatten, wirft kontinuierlich die Frage nach der dualen Karriere - der Vereinbarkeit von Sport und Studium/Beruf - auf. Kann das Studium, die Ausbildung oder der Beruf problemlos beziehungsweise in reduzierter Form fortgeführt werden? Wenn nein, kann solange pausiert werden? Wie ist es um mögliche Studienwechsel bestellt?

Um Sportlern diesbezüglich Bedenken nehmen zu können, hat der Deutsche Ruderverband in den vergangenen Jahren - im Zuge der Entwicklung des Leistungssportkonzeptes - zahlreiche Gespräche mit Universitäten, den Partnern Bundeswehr und Bundes-/Landespolizei, den Olympiastützpunkten sowie der Stiftung Deutsche Sporthilfe geführt. Im Januar 2017 fand diesbezüglich eine erste Infoveranstaltung für die Kadersportler in Hannover statt.

OSP-Laufbahnberater suchen gemeinsam nach Lösungen  
Der deutsche Leistungssport verfügt über eine große Anzahl von Olympiastützpunkten. Diese Einrichtungen verfügen über ein Netz von untereinander gut verbundenen Laufbahnberatern, welche Sportlern dabei helfen, die Doppelbelastung von Spitzensport und Studium oder Beruf in Einklang zu bringen. Sie unterstützen die Sportler unter anderem bei der Arbeits- und Wohnungssuche sowie bei der Wahl des Studiengangs und liefern handfeste Hilfe beim Austausch mit den Arbeitgebern wie Bundeswehr oder Polizei. Darüber hinaus versuchen sie, Arbeitsplätze und Praktika zu vermitteln und kümmern sich um notwendige Freistellungen. Gemeinsam wird an Lösungen gearbeitet, die trotz des hohen Trainingspensums die Teilnahme an Kursen und Prüfungen ermöglichen und das Studium erfolgreich zum Abschluss bringen zu können.

Partnerhochschulen des Spitzensports      
Im Jahr 1999 rief der Allgemeine Deutsche Hochschulsport (adh) das Projekt „Partnerhochschule des Spitzensports“ mit dem Ziel ins Leben, studentischen Kaderathletinnen und -athleten den Spagat zwischen Studium und Spitzensport zu erleichtern. Mehr als 1.000 Leistungssportlern an über 100 adh-Mitgliedshochschulen wird im Rahmen dieser Kooperationsvereinbarung ein Verbundsystem zum Ausgleich spezifischer Nachteile bereitgestellt. Die Studierenden werden dabei unterstützt, dass sie ihre akademische Ausbildung trotz der hohen zeitlichen Belastungen des Spitzensports erfolgreich absolvieren können. Universitäten in Berlin bieten beispielsweise den Service einer Vollzeitstelle für Leistungssportler an, die sich innerhalb des Universitätssystems um die anfallenden Besonderheiten der Sportler im Zusammenhang mit ihren Studienverpflichtungen kümmert. Erfreulich ist auch die stete Zunahme von Universitäten der „Profilquote“. An einzelnen Universitäten werden Plätze für Leistungssportler vorgehalten, die somit kurzfristig besetzt werden können. Auch für Masterstudiengänge werden diese derzeit diskutiert.

Bundeswehr bietet Sportlern ein gutes Umfeld    
Insgesamt 29 DRV-Athleten gehören der Sportfördergruppe der Bundeswehr an. Mit einem klaren Fokus auf die Absolvierung der Ausbildungsmodule in den nach-olympischen Jahren ermöglichen die Förderstellen in der Bundeswehr ein nahezu professionelles Training in der unmittelbaren Olympiavorbereitung. Auch eine hohe Bereitschaft an individuellen Lösungen durch die zuständigen Sportfördergruppen in Hamburg und Frankfurt/Oder bieten den Sportlern den Freiraum, sich auf die zielgerichtete sportliche Entwicklung zu konzentrieren und Lösungen für die Disziplinzusammenführungen zu finden. „Die Bundeswehr ermöglicht mir, in idealem Maße den Sport am Bundesstützpunkt Dortmund sowie ein paralleles Studium zu koordinieren. Sie geben mir das Umfeld, um mich auf den Sport konzentrieren zu können“, erklärt Sportsoldat Richard Schmidt, der in diesem Jahr mit dem Deutschland-Achter den WM-Titel erfolgreich verteidigen konnte.

Sportfreundliche Ausbildung bei der Bundespolizei            
Die Ausbildung bei der Bundespolizei im sehr sportfreundlichen Blockunterricht in den Wintermonaten bietet den Athleten Bedingungen, frühzeitig ihre Karriere als Bundespolizist mit dem Leistungssport zu verbinden. „Bei der Bundespolizei sind beide Bereiche - Leistungssport und Beruf - perfekt aufeinander abgestimmt. Von September bis Weihnachten, also in der wettkampffreien Zeit, absolviert man die Ausbildung und den Rest des Jahres ist man für den Leistungssport freigestellt. Das ganze läuft über vier Jahre“, erklärt Karl Schulze, Olympiasieger im Männer-Doppelvierer in Rio 2016 und selbst bei der Bundespolizei. „Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung kann man sich das gesamte Jahr komplett auf den Leistungssport fokussieren – mit Ausnahme von einem vierwöchigen Lehrgang, bei dem man seinen Dienst ableistet.“ Für die gesamte Vorbereitungszeit bis Tokio 2020 wurden Schulze und Teamkollege Hahns Gruhne, der ebenfalls bei der Bundespolizei angestellt ist, für das Training am Stützpunkt in Ratzeburg/Hamburg freigestellt.

Landespolizeien ergänzen die öffentliche Unterstützung  
Seit nun bereits mehreren Jahren weiß der Deutsche Ruderverband die Unterstützungen der Landespolizeien zu schätzen. In Summe sind derzeit sieben Athletinnen und Athleten bundesweit in fünf Sportfördergruppen der Landespolizei angestellt. Um sowohl dem Leistungssport als auch der polizeilichen Ausbildung erfolgreich nachgehen zu können, ermöglicht die Landespolizei den Sportlern unter anderem eine Verlängerung der Regelstudienzeit. Zudem unterstützen speziell ausgebildete Mitarbeiter der Polizeiakademie Individualsportler und -sportlerinnen bei der Gestaltung und Koordination des Studienverlaufs. „Für mich begann die Ausbildung in der Polizeischule im September 2012, voraussichtliches Ende war für Februar 2016 geplant. Von September bis Februar war ich montags bis freitags jeweils von 8-13 Uhr zur Ausbildung in Güstrow. Nachmittags, von 14 - 18 Uhr, trainierte ich am Leistungszentrum in Rostock/Kessin. Während dieser Zeit war es natürlich schwieriger, für das Training zum Stützpunkt in Dortmund zu fahren, aber wenn es zentrale Trainingsmaßnahmen gab, wurde das auch immer ermöglicht“, erklärt Hannes Ocik, aktueller Weltmeister mit dem Deutschland-Achter. „Das restliche Jahr war ich für Training und Regatten freigestellt. Aufgrund der Olympiasaison und den damit verbundenen zusätzlichen Trainingslagern hatte ich die Möglichkeit, meine Ausbildung nochmal zu strecken und dann meinen Abschluss als Polizist im mittleren Dienst im Frühjahr 2017 zu machen.“ Nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss müssen die Sportler drei Monate im Jahr arbeiten, die restliche Zeit sind sie für den Sport freigestellt.

Deutsche Sporthilfe bietet viele Bausteine            
Auch die Stiftung Deutsche Sporthilfe unterstützt die Athleten mit zahlreichen Angeboten im Bereich der dualen Karriere. Angefangen von Schul- und Internatsförderungen, über Ausbildungs-/Studiumförderung und Stipendien bis hin zu Bewerbertrainings, Medienseminaren und Mentorenprogrammen – hier wird jedem geholfen.      

Beim Deutschen Ruderverband stehen Daniela Geuke und Sportdirektor Mario Woldt als Ansprechpartner für Fragen zur dualen Karriere zur Verfügung.