30. Aug. 2019 | Jugend | von Claudia Pittelkow

Ganztags im Ruderboot mit Teamspirit

Teamarbeit. Fotos: Claudia Pittelkow
Ganztagskoordinator Nils von Arnim
Training mit Abiturient und Kindertrainer Ben Böttcher (r.).
Schulleiter Dr. Martin Richter: "Rudern ist eine ästhetische Sportart".
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Rudern gehört zum Wilhelm-Gymnasium im Hamburger Stadtteil Harvestehude wie die Luft zum Atmen. Vom Ganztagskurs für die Jüngeren über den Pflichtkurs in Klasse 7 und 10 bis zum Abi-Prüfungsfach begleitet der Wassersport die Schülerinnen und Schüler.

Das altsprachliche Wilhelm-Gymnasium in Harvestehude, einem der vornehmsten Stadtteile Hamburgs, liegt nur einen Steinwurf von der Alster entfernt. Die rund 700 Schülerinnen und Schüler kommen nicht nur aus der unmittelbaren Nachbarschaft. „Unser Einzugsgebiet erstreckt sich von Niendorf bis in die Hafen-City, von Altona bis nach Barmbek“, sagt Schulleiter Dr. Martin Richter. Manche nähmen sogar einen Schulweg von sechs oder sieben Kilometern in Kauf, um hier zur Schule zu gehen. Neben den alten Sprachen Alt-Griechisch und Latein punktet das Gymnasium vor allem mit seinem besonderen Musikzweig – und mit dem Schulrudern.

„Seit 1909 wird am Wilhelm-Gymnasium gerudert“, berichtet Nils von Arnim, Ganztagskoordinator der Schule. Als ehemaliger Schüler des Gymnasiums ist er quasi „auf der Alster“ aufgewachsen, hat Rudern als Leistungssport betrieben und war Bundessieger bei Jugend trainiert für Olympia. Nach dem Studium, Jura und Lehramt, arbeitete er zunächst ein paar Jahre im Politikbetrieb Berlins, bevor es ihn wieder die Heimat und damit zurück ins Klassenzimmer zog. Sein Referendariat absolvierte er in Mümmelmannsberg, einem Stadtteil in Hamburgs Osten, bis seine alte Schule ihn schließlich zurückholte.

„Obwohl Hamburg am Wasser liegt, gibt es offenbar nur sehr wenig Ruderlehrer“, erzählt er. Seit drei Jahren unterrichtet der 40-Jährige nun am Wilhelm-Gymnasium. Deutsch, Gesellschaftslehre, Politik – und eben Rudern. „Im Bereich Rudern bieten wir alles an, vom Ganztagskurs bis zum Leistungssport“, so von Arnim. Zur Schule gehört der 1909 gegründete Schulruderverein GRV„H“ (Gymnasial-Ruderverein „Hamburg“), in den alle Schülerinnen und Schüler, die Spaß am Rudern haben, eintreten können. Der selbstverwaltete Verein hat derzeit rund 100 Mitglieder.

Rudern während der gesamten Schulzeit

Nach dem Ausprobieren im Ganztagskurs in der 5. Jahrgangsstufe entscheiden die Kinder, ob sie dem Verein beitreten wollen. Doch auch wenn nicht – am Rudern führt im Wilhelm-Gymnasium kein Weg vorbei: In Klasse 7 und 10 ist Rudern Pflichtkurs, in der Oberstufe schließlich kann Rudern als Sportkurs gewählt und in die Abiturprüfung eingebracht werden. Gerudert wird nachmittags zu festen Trainingszeiten auf der Außenalster am Bootshaus des benachbarten Clubs „Der Hamburger und Germania Ruder Club“ (DHuGRC), mit dem seit über 100 Jahren eine Kooperation besteht.

Das Rudertraining findet ganzjährig statt, von April bis September im Wasser, im Winter in der Turnhalle oder im Ergoraum. An einem warmen Frühsommertag veranstaltet die Schule einen Schnuppertag. Rund 25 Fünftklässler tummeln sich am Bootssteg und lauschen den Anweisungen der älteren Schüler. „Neben Sportlehrern und Trainern des Germania Ruder Clubs kümmern sich erfahrene Ruderer aus der Schülerschaft um die Anfänger“, erklärt Nils von Arnim. Dazu gehört Ben Böttcher, der gerade sein Abitur macht.

Der 17-Jährige rudert seit der 5. Klasse und ist heute Kindertrainer im Club. Gerade ruft er der elfjährigen Nika im Trainings-Ruderboot zu: „Zieh die Blätter nach hinten!“ Und kommandiert: „Links senkrecht drehen. Und ziehen. Und nochmal!“ Nika gibt alles, aber es klappt noch nicht so richtig. Wieder an Land erzählt die Schülerin, dass sie schon gesegelt, aber noch nie gerudert sei. „Ich weiß noch nicht, ob mir das gefällt.“ Klassenkameradin Tam My hat einen klaren Vorteil. „Ich bin schon seit einem halben Jahr im Ganztagskurs Rudern, das macht richtig Spaß, das mach ich weiter!“

„Unsere Gesellschaft braucht den Ganztag“

Auch Carla hat Erfahrung, im Kanufahren. „Das ist aber ganz anders. Rudern ist viel anstrengender als Kanufahren“, so die Elfjährige. Bei den Jungen ist die Stimmung ähnlich ambivalent: Milan findet Rudern „echt cool“ und will unbedingt in den Kurs. „Es ist witzig, zu sehen, wie unregelmäßig wir rudern im Vergleich zu den Kennern, die absolut synchron unterwegs sind“, sagt er bewundernd. Sein Freund Valentin ist aufgeregt: Gleich muss er aufs Boot. „Das ist ganz schön wackelig“, findet er. „Deshalb lernen die Kinder auch erstmal mit Skulls, also einem Ruder in jeder Hand“, erklärt Trainer Ben Böttcher. Später geht’s dann an die Riemen, die mit beiden Händen gehalten werden.

Von den aktuell rund 100 Mitgliedern des Schulrudervereins stammen etwa 30 bis 40 aus dem Ganztagskurs. Der Schulruderverein wiederum ist eine Stütze des „Germania Ruder Clubs“ – rund 30 Prozent der Mitglieder sind ehemalige Schülerinnen und Schüler des Wilhelm-Gymnasiums. Nils von Arnim: „Durchschnittlich 25 Kinder pro Jahr bleiben dabei, treten dem Schulruderverein bei und später dem Club.“ Eine gute Bilanz, denn die Konkurrenz ist groß. „Hier im Viertel spielen alle Kinder Hockey und viele ein oder mehrere Instrumente. Da bleibt am Ende wenig Zeit“, so von Arnim. Umso erstaunlicher, dass die Beteiligung am offenen Ganztagsangebot der Schule trotzdem bei etwa 70 Prozent liegt.

Neben dem Ruderangebot gibt es zahlreiche AGs für Fünft- und Sechstklässler, Sportangebote wie Outdoor-Games und Hip-Hop, Sprach-AGs wie Russisch oder Chinesisch sowie diverse musikalische Angebote, darunter zwei Bigbands, ein Kammerorchester, einen Mittel- und Oberstufenchor, aber auch Comic-Workshops und einen Upcycling-Kurs. Dr. Martin Richter, seit sieben Jahren Leiter, davor langjähriger Oberstufenleiter des altsprachlichen Gymnasiums, ist überzeugt vom ganztägigen Lernen: „Unsere Gesellschaft braucht den Ganztag.“

Vertrauensvolle Atmosphäre an Bord

Anfangs habe es an seiner Schule nur Hausaufgabenbetreuung und Kinderbetreuung gegeben, doch seit 2015 ist der Ganztag für Schülerinnen und Schüler bis 14 Jahre etabliert – inklusive einer Vielfalt an Kurs-Angeboten, die die Schule selber stemmt. Richter: „Welche AGs zustande kommen, hängt oft davon ob, welche Eltern oder älteren Schülerinnen und Schüler da sind.“ So werde beispielsweise die Sprach-AG „Chinesisch“ von einer Muttersprachlerin und Mutter eines Schülers angeboten. Den Kurs „Textiles Werken“ leitet eine Modedesignerin, ebenfalls Mutter eines Schülers. Andere AGs werden in Kooperation mit benachbarten Vereinen, etwa dem Eimsbütteler Turnverband, organisiert. „Auch Oberstufenschüler geben immer wieder Kurse“, so der Schulleiter.

Dazu zählt auch der Ruderkurs, bei dem sich Abiturient Ben Böttcher und andere Oberstufenschüler einbringen. Dieses Angebot liegt Schulleiter Martin Richter besonders am Herzen. „Mens sana in corpore sano“, besagt eine lateinische Redewendung, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. „Hierzu kann das Rudern hervorragend beitragen, denn es berührt die verschiedensten Bewegungsfelder“, so Richter. Er selbst habe während seines Studiums in Oxford rudern gelernt, übe den Sport aber heute nicht mehr aus.

„Rudern ist eine ästhetische Sportart, die fit hält und gleichzeitig den Gemeinschaftssinn fördert“, so Richter. Wie in einem Orchester würden die Schülerinnen und Schüler „Teamspirit“ lernen. „Beim Rudern kann nicht einer sagen, ich kann nicht mehr, ich rudere nur noch halb so schnell.“ Im Ruderboot herrsche eine vertrauensvolle Atmosphäre. Richter: „Genau wie in unserer Schulgemeinschaft. Und diese Atmosphäre bildet eine gute Grundlage, erfolgreich zusammenzuarbeiten und sich optimal zu entwickeln.“