08. Febr. 2019 | Breitensport | von Thomas Kosinski

„Mit Wanderrudern neue Mitglieder gewinnen“

Stefan Mühl hat eine Wanderruder-Studie durchgeführt.

Stefan Mühl ist Ruderdozent an der Sporthochschule Köln. Mit seiner Promotion hat er das Wanderrudern in Deutschland erforscht und erstaunliche Erkenntnisse gewonnen.

Sie haben sich in Ihrer Promotion mit dem Wanderrudern in Deutschland befasst und dabei unter anderem eine Umfrage unter 1.200 Wanderruderern durchgeführt. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Ein wesentliches Ergebnis ist, dass Wanderruderer gern auf den sogenannten Nebenwasserstraßen unterwegs sind. Denn dies sind oft sehr reizvolle und naturnahe Gewässer. Durch die Reform der Bundeswasserstraßen sind viele dieser Gewässer für eine Renaturierung vorgesehen. Dies steht aber nicht grundsätzlich im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Wanderruderer, die lieber auf naturnahen Gewässern fahren als in industriell oder städtisch geprägter Umgebung. Beispiele solcher Nebenwasserstraßen sind die Gewässer um Berlin, die Lahn oder die Weser.

Renaturierung steht leider aber auch für ein Sichüberlassen, für Abbau von Stegen und Stilllegung von Schleusen, was den Wanderrudern nicht behagen dürfte.
Das ist tatsächlich ein großes Problem. Der Zugang zu diesen Gewässern sollte dort natürlich weiterhin möglich sein. Die Umfrage hat auch gezeigt, dass die Wanderruderer Probleme sehen bei geeigneten Wasser-Land-Verbindungen. Rudergeeignete Anlegemöglichkeiten an Schleusen, Häfen und bei Sehenswürdigkeiten. Oft ist da nur eine Anlegemöglichkeit für Motorboote oder es gibt nur einfache Sandufer. Da fehlt es an Basisinfrastruktur. Der Zustand dieser Anlagen auf den Nebenwasserstraßen ist ohnehin in einem schlechten Zustand. Durch die Reform wird nun auch noch weniger Geld zur Verfügung gestellt. Eine Schlussfolgerung meiner Arbeit ist, dass wir deshalb in der Breite nicht mehr alle Gewässer perfekt ausstatten und erhalten sollten, sondern dass man sich auf die Gebiete konzentrieren sollte, wo es schon heute ein gutes Angebot gibt. Woanders wird es dann ein bisschen abenteuerlicher.

Letztlich heißt das doch aber, dass wir Ruderreviere verlieren werden, oder?
Das glaube ich nicht, die Anzahl wird gleich bleiben. Es sollte Rudergebiete geben, die qualitativ weiter verbessert werden und andere, in denen renaturiert wird und sich die Ruderer darüber im Klaren sein müssen, dass bei diesen Gewässern die Bedingungen nicht so gut sind. Das kann ja auch Spaß machen, abseits des Mainstreams unterwegs zu sein.

Was bedeutet denn abseits des Mainstreams? Baumstämme quer über den Fluss und Verkrautung, sodass ich nicht mehr richtig rudern kann?
Das sicherlich nicht. Aber Sie werden damit rechnen müssen, dass eine Schleuse nicht mehr betrieben wird, Steganlagen abgebaut wurden. Dies alles geschieht ja langfristig. Wir reden hier über einen Zeitraum bis 2050. Der politische Prozess ist noch im vollen Gange und da sind auch noch Änderungen möglich.

Die politische Großwetterlage betrachtet Flüsse und Seen doch eher als Transportwege für Wirtschaftgüter. Den Wassertourismus hat man doch erst im Nachherein entdeckt.
Deswegen haben sich ja auch vor drei Jahren die Wassersport- und Tourismusverbände verbündet und ihre Positionen dargelegt. Unsere Gewässer haben auch eine touristische und kulturelle Bedeutung, die erhalten werden muss. Da gibt es inzwischen Beteiligungsprozesse, die die betroffenen Rudervereine an den Nebenwasserstraßen unbedingt wahrnehmen sollten. Zwanzig Prozent der deutschen Rudervereine liegen an Nebenwasserstraßen. Mein Appell an diese Vereine ist, sich unbedingt an regionalen Treffen aktiv zu beteiligen und mitzugestalten, wenn es um sogenannte Neukonzeption der Wasserstraße geht.  Zur Argumentation kann man gern die Daten aus meiner Doktorarbeit nutzen.

Wie sieht der typische Wanderruderer aus? Oder ist es eine Wanderruderin?
So wie beim Rudern generell: Zwei Drittel der Ruderer sind Männer, ein Drittel Frauen. Das Durchschnittsalter liegt bei 52,5 Jahren im Gegensatz zu den Kanuten, die bei rund 45 Jahren liegen. Natürlich gibt es nicht den typischen Wanderruderer, aber es gibt einen Konsens darüber, was Wanderrudern ausmacht – allerdings mit Ausreißern nach oben. Der typische Wanderruderer geht zwei- bis dreimal im Jahr auf Wanderfahrt – Tageswanderfahrten eingeschlossen. Aber es gibt auch welche, die sieben oder acht Mal auf Wanderfahrt gehen. Ruderer sind im Gegensatz zu den Kanuten gern in größeren Gruppen zwischen 11 bis 15, ja bis zu 20 Personen unterwegs. Bei den Kanuten reist eher die Familie mit Kind, bei den Ruderern sind es die Vereinsmitglieder, die gemeinsam auf Reisen gehen.

Welches Potenzial hat Wanderrudern?
Ich denke ein recht großes. Es gibt viele Menschen, die haben ein Ruderergometer im Haus, aber sind selbst in keinem Ruderverein. Dies sind potenzielle Mitglieder für die Rudervereine. Sie betreiben diese Sportart vom Fitnessaspekt her. Für sie sind die Breitensportangebote der Rudervereine sicherlich interessant. Hier steht der Gesundheits- und Freizeitaspekt des Ruderns im Vordergrund. Wanderfahrten können für die Vereine also durchaus eine Maßnahme zur Mitgliedergewinnung sein. Wer mit 40 Jahren oder älter in den Ruderclub eintritt, geht meist schon in den beiden ersten Mitgliedsjahren auf Wanderfahrt.

Wer also spät in den Sport einsteigt, für den ist Wanderrudern sofort ein Thema?
Genau. Wer als Jugendlicher einsteigt, beginnt meist mit dem Leistungssport, Ältere dagegen mit Breitensport. Was für den Leistungssportler die erste Regatta, ist für den Breitensportler die erste Wanderfahrt. An diesem Punkt könnten Rudervereine noch viel mehr herausstellen, sie einen Gesundheitssport in freier Natur anbieten und ein Sport, den man lebenslang und in einer sozialen Gemeinschaft ausüben kann.

Was kann der DRV tun, um das Wanderrudern zu fördern?
In erster Linie gehört das Wanderrudern ja in die Vereine. Der DRV und die Landesverbände greifen den Vereinen unter die Arme. Sie unterstützen die Wanderrudertreffen und das DRV-Fachressort Wanderrudern und Breitensport unterhält ein Wanderruderarchiv mit Beratung, Fahrtenberichten und Gewässerkatalog, den man auf rudern.de findet. Und der Verband hat die aktuelle Studie zum Wanderrudern ermöglicht, die jetzt diese breite Faktenbasis liefert.

Das Gespräch führte Thomas Kosinski. Die vollständige Version ist erschienen im Magazin rudersport, dem offiziellen Verbandsmagazin des DRV. rudersport erscheint im Sportverlag Sindelfingen und kann im Abo (83,30 €) oder als Einzelheft (8,50 € einschl. Versandgebühr) bestellt werden, Mail: vertrieb@sportverlag-sindelfingen.de, Telefon: 07031-862-851.