Der heilige Frieden in der Antike – ein Modell für das 21. Jahrhundert
Olympia in Athen steht unmittelbar bevor: In zwei Tagen werden die XXVIII. Olympischen Spiele feierlich eröffnet – die olympischen Spiele kehren in ihr antikes Ursprungsland zurück.
Diese Rückkehr zu den Wurzeln der Spiele gilt bekanntlich gleich in zweifacher Hinsicht: 1896 fanden in Athen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt, doch die Geschichte der antiken Spiele geht viel weiter zurück bis in die Mykenische Zeit (1600 – 1200 v.Chr), als sportliche Wettkämpfe erstmals Bestandteile kultischer Feste im antiken Griechenland waren.
In der heutigen Zeit einer ständig fortschreitenden Professionalisierung des Spitzensports gibt es beileibe keinen Mangel an hochklassigen Sportereignissen: Kaum ist die Fußball-Europameisterschaft vorüber, dominiert mit der Tour de France bereits das nächste Highlight die Berichterstattung in den Medien. Dabei geht es fast immer um Superlative: Lance Armstrong hat als erster sechsfacher Tour-Sieger Sportgeschichte par Excellenze geschrieben. Und auch in Athen soll bisher Unerreichtes erreicht werden: Der US-Schwimmer Ian Thorpe hat angekündigt, die aus dem Jahre 1972 datierte Rekordmarke von Mark Spitz zu pulverisieren.
Die Spiele von München 1972 sind ein gutes Stichwort – denn nicht etwa Mark Spitz, sondern vor allem das grausame Attentat auf die israelische Mannschaft prägt bei vielen Menschen das Bild der zweiten Spiele auf deutschem Boden – im Gegensatz zu den Wettkämpfen 1936 in Hitler-Deutschland sollten es weltoffene und vor allem friedliche Spiele werden.
So war die dort erlebte Form des Terrors für die Öffentlichkeit etwas vollkommen Unbekanntes und schier Unbegreifliches – unbegreiflich ist solcher Schrecken heute nach wie vor, unbekannt leider nicht mehr: Spätestens seit den schrecklichen Ereignissen des 11. September 2001 ist bei Großereignissen die Angst vor Anschlägen der ständige Wegbegleiter.
So gilt auch für die Spiele in Athen die höchste Sicherheitsstufe: Es ist zu lesen, dass permanent NATO-Kampfjets im Luftraum über der hellenischen Metropole kreisen werden, ein US-Flugzeugträger vor der Küste Griechenlands soll Sicherheit für Athleten und Zuschauer gleichermaßen bieten. Der Sicherheits-Etat der Spiele hat bislang unerreichte Dimensionen erreicht.
So ist auch bei Athleten die Furcht vor Anschlägen allgegenwärtig: Vor kaum zwei Monaten hat der Wahl-Amerikaner und Skiff-Olympiasieger von 1996, Xeno Müller, aus Bedenken um die eigene Sicherheit seine Teilnahme an der olympischen Regatta abgeblasen, die er zuvor massiv durch seine Einbürgerung in die USA erst möglich gemacht hat.
Die Olympischen Spiele sind etwas Besonderes – und zwar nicht nur in sportlicher Hinsicht, denn sie blicken auf eine lange und geschichtsträchtige Tradition zurück. Als Pierre de Coubertin, der Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, den Begriff der „Olympischen Erziehung“ geprägt hat, hat er sich wesentlich vom antiken Olympia inspirieren lassen: Neben Prinzipien, die im Sport eigentlich eine Selbstverständlichkeit darstellen sollten, wie der Bindung zu ethischen Grundsätzen, an Regeln und an Fairness und die Orientierung am hellenischen Bildungs- und Erziehungsziel, der Arete, bestimmte insbesondere die Friedensidee Coubertins Leitbild der „Olympischen Erziehung“: Er sah im Olympischen Sport ein Modell des Friedens zwischen Menschen und Völkern – Sport als ein Quell des Friedens und der Völkerverständigung also!
Olympische Spiele als friedliche Spiele gehen zurück bis in das Jahr 884 v. Chr.: Seit dem 11. Jahrhundert v. Chr. stritten mit den aitolischen Eleern, den archaischen Pisaern und den dorischen Spartanern verfeindete griechische Stämme um die Leitung des Olympischen Fests. Bemerkenswertes Ergebnis dieser über viele Jahre dauernden Auseinandersetzung war ein 884 v.Chr. zwischen den Streithähnen geschlossener Vertrag, der für die Zeit der Olympischen Spiele die Ekecheira, den „heiligen Frieden“, verkündete: Trotz permanenter kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den griechischen Stämmen und Stadtstaaten untersagte dieser Vertrag Kriege, Gewalttaten und sogar Hinrichtungen, so dass Athleten und Zuschauer auch aus weit entfernten Gegenden Griechenlands die Reise nach Olympia gefahrlos auf sich nehmen konnten. Jeder Ort, der Athleten in die Wettkämpfe entsandte, war verpflichtet, dem Vertrag zuzustimmen!
Wenngleich die Friedensidee Olympias nicht zu einer wirklichen Völkerverständigung zwischen den chronisch zerstrittenen Griechen geführt hat, hatte die olympische Waffenruhe bis auf wenige Ausnahmen über den langen Zeitraum der antiken Geschichte Bestand. Diese historische Erfahrung sollte uns Athleten der olympischen Neuzeit Auftrieb, Hoffnung und Vertrauen in friedliche Spiele verschaffen.
Denn eines ist sicher: Die „Jugend der Welt“, die sich in Athen versammeln wird, um nach olympische Ehren zu streben, trägt keinerlei Schuld an den Ursachen für Kriege, Unterdrückung und Terror zwischen den Völkern und Religionen. Wir Athleten können nur an all‘ jene appellieren, die Konflikte mit Gewalt zu lösen trachten: Besinnt Euch auf die Mythos der Olympischen Spiele und lasst sie nicht zu einem Spielball des Terrors werden, denn die olympische Idee und all die, welche daran glauben, haben das nicht verdient!