17. Febr. 2004 | Nationalmannschaft

Ergo-Test: Sechs Minuten bolzen, was der Körper hergibt

Heute starten die Athleten des Männer-Riemen-Stützpunktes Dortmund ins Höhen-Trainingslager nach St. Moritz. Am Freitag vor Weihnachten mussten sie sich noch einem Ergo-Test, der bei ihnen nicht gerade beliebt ist. Damit Sie eine Vorstellung davon bekommen, wie hart dieser Test ist, lesen Sie diese Reportage:

Zwei-, dreimal in einer Saison wird's richtig ernst. Sechs Minuten, plus-minus ein paar Sekunden, heißt es Mensch gegen Maschine, Muskelmasse gegen Ruder-Ergometer. Wenn im Hinterzimmer des Leistungszentrums am Dortmund-Ems-Kanal gebolzt wird, was der stählerne Körper eines jeden Ruder-Athleten hergibt.

"Der Test ist härter als ein Rennen"

Es ist eine Belastungsprobe, die in ihren Gesichtern geschrieben steht. Einer nach dem anderen, ein zuvor festgelegter Zeitplan gibt die Reihenfolge vor. Ausnahmsweise wird nicht gemeinsam gerudert, jeder ist auf sich allein gestellt. "Deshalb ist so ein Test härter als ein Rennen", sagt Sebastian Schulte aus dem Deutschland-Achter. Er gesteht: "Die Anspannung beginnt bei mir schon drei, vier Tage vorher." Am vergangenen Freitag war es soweit. Der Tag, an dem die eigene Leistungsfähigkeit überprüft wird. Für viele ist es eine größere Belastungsprobe als so manche Uni-Klausur. Es ist ein wichtiges Kriterium für die Olympia-Nominierung: Wer darf mit nach Athen - und wer nicht? Wer sitzt im Deutschland-Achter bzw. Vierer ohne Steuermann - und wer nicht?

Die Testreihe beginnt mit zwei Vorbelastungsstufen: Jeweils acht Minuten ziehen die Athleten in gemäßigtem Tempo, bei Watt-Werten um 250 und 330. "Hier bestimmen wir einmal die anaerobe Schwelle eines jeden einzelnen, um die individuelle Ausdauerfähigkeit einschätzen zu können und eine Herzfrequenz-Empfehlung für die Trainingseinheiten geben zu können", sagt Leistungsdiagnostiker Gerold Heyden.

Nach kurzer Pause der Höhepunkt: Im Nebenraum, wo in der Mitte ein Ergometer steht. Die Tür wird geschlossen. Der Athlet nimmt Platz, letzte Konzentration - und los. Kraftvoll zieht er an der Ergo-Kette, die einer Fahrradkette ähnelt. Das Windrad kommt mächtig in Schwung. Die ersten Züge liegen bei einer 40er Schlagzahl, ähnlich wie in der Startphase beim Rennen. Die Frequenz pendelt sich dann bei 35 ein. Ein gleichmäßiges Surren verbreitet sich in dem Raum.

Steuermann Peter Thiede, der hinter dem Athleten auf einem Stuhl hockt, gibt die Richtwerte in bestimmendem Ton an: Schlagzahl, Zwischenzeiten bei 500, 1000 und 1500 Metern. Fast so wie im Rennen, nur ist hier der Gegner kein kanadisches, amerikanisches oder britisches Boot, sondern die Maschine - und die Zeit.

Dieter Grahn fordert, schreit, hilft

Auf den letzten 500 Metern erreicht die Belastung die Grenze des Erträglichen. Die Muskeln an Armen und Beinen sind zum Zerreißen gespannt, das Gesicht verzerrt sich, wird immer verkrampfter. Der Betrachter leidet mit. Plötzlich wird's im Raum laut. Dieter Grahn, der Riemen-Bundestrainer der Männer, schreit, fordert, hilft dem Athleten über so manche Schwelle. Lautstarke Unterstützung kommt auch von Peter Thiede und dem Ruderkollegen, der vorher an der Reihe war und noch immer völlig erschöpft dasitzt von seiner Strapaze zehn Minuten zuvor.

Jetzt aber muss sein Partner ins Ziel. Die letzten Meter - geschafft. Er lässt sich mitgenommen nach vorne fallen, ringt nach Luft. Und Erleichterung oder Enttäuschung macht sich breit - je nach der Zeit und Ergebnis. Schließlich ist der so gefürchtete Ergo-Test ein wichtiges Kriterium für die Olympia-Nominierung. Dieter Grahn wird die Werte genau analysieren. Die Entscheidung, wer mit darf nach Athen, ist aber noch lange nicht gefallen. Es warten noch weitere Schmerzen auf die Athleten.