18. Juli 2007 | Para | von Arno Boes

Rennrudersport für Behinderte: Eine Entwicklung steht vor ihrem ersten Höhepunkt.

Das Jahr 2007 hat für die Adaptive-Aktiven eine besondere Bedeutung: Erstmals werden sie bei den
Weltmeisterschaften in München um die Qualifikationsplätze für die Paralympischen Spiele rudern. Schon jetzt dürfen sie sich auf den Jubel der voraussichtlich voll besetzten Tribüne freuen.
Die Sportart Rudern hat sich Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen schon vor einigen Jahrezehnten geöffnet. Durch die stabile Sitzposition im Boot und den gleichmäßigen, rhythmischen Bewegungsablauf birgt Rudern für die Behinderten nur eine geringe Gefahr für Verletzungen, die Behinderung kann in dem meisten Fällen durch die sitzende Entlastung des Körpers ausgeglichen werden und die Bewegungen können koordiniert und gleichmäßig ablaufen. Dabei eignet sich die Sportart sowohl bei Einschränkungen durch Lähmungen oder Verlust einzelner Körperteile als auch bei Beeinträchtigung des Sehvermögens. Je nach Grad der Behinderung wurden inzwischen auch Boote und Material entwickelt, die es selbst hochgradig Querschnittsgelähmten ermöglichen, an Ruderrennen nur durch den Einsatz der Arme oder des Oberkörpers und der Arme teilzunehmen.

Entwicklung zur Paralympischen Sportart

Nach ersten Versuchen in den 90-er Jahren auf Weltmeisterschaften und internationalen Regatten, widmet sich der internationale Ruderverband FISA seit dem Jahr 2000 intensiv den „Adaptive“-Klassen, wie sie inzwischen auf den meisten internationalen Wettkämpfen genannt und ausgeschrieben werden. National hat sich in Deutschland auch der Begriff „Handicap-Rennen“ etabliert.
2001 setzte die FISA eine international besetzte Kommission ein mit der Zielsetzung, die Adaptive-Rennen in das Programm der Paralympischen Spiele zu bringen. 2002 gab es die ersten Weltmeisterschaften mit noch relativ geringer Beteiligung, die nahm aber dann in den folgenden Jahren zu. 2005 beschloss dann das Internationale Paralympische Komitee, die insgesamt vier international ausgefahrenen Adaptive-Bootsklassen ab Peking 2008 in das Programm aufzunehmen.

Bootsklassen und Behinderungsgrade

Die Einteilung der Bootsklassen orientiert sich an dem Grad der Behinderung. Dabei wird zwischen drei Formen der verbleibenden Bewegungsmöglichkeit der Handicap-Aktiven unterschieden: Aktive mit hochgradiger Querschnittslähmung können meist nur noch die Arme beim Rudern effektiv einsetzten. Hier sind die Rennen im Einer ausgeschrieben, jeweils für Frauen und Männer. Die internationale Bezeichnung lautet „A“ für „Arms“ (Arme) und dann W1x für den Frauen und M1x für den Männer-Einer (AW1x, AM1x).
Die beiden weiteren Bootsklassen Doppelzweier und Vierer-mit werden jeweils zur Hälfte weiblich und männlich besetzt. Im Zweier gehen die Behinderten an den Start, die Arme und auch noch den Oberkörper einsetzten können. Die Bezeichnung für diese Klasse lautet TA2x, wobei das „T“ für den englischen Begriff „Trunk“ = Oberkörper steht.
In den Einern und Zweiern sind jeweils feste Sitze eingebaut, bei den Einern verhindern zusätzliche Pontons unter den Auslegern des Boots eine Kenterung.
Die vierte Bootsklasse, der Vierer mit Steuermann/frau wird mit normalen Booten aus dem offenen Rennbetrieb ausgefahren. Hier sitzen Aktive im Boot, die über Bewegungsmöglichkeiten für Beine (Legs), Oberkörper und Arme verfügen, also weitestgehend einen Ruderschlag wie ein nichtbehinderter Aktiver ausführen können. In diesen Booten sind oft auch Sehbehinderte Ruderinnen und Ruderer am Start. Um die Chancengleichheit bei den unterschiedlichen Graden der Sehbehinderung zu gewährleisten, tragen sie meist eine völlig abdunkelnde Brille (Skibrille) im Rennen. Die Bezeichnung dieser Bootsklasse lautet LTA4+.
Die Handicap-Aktiven müssen einmal jährlich einer Klassifizierung vornehmen lassen. Dabei stellen unabhängige und speziell ausgebildete Prüfer den Grad der Behinderungen fest und teilen je nach Bewegungsfähigkeit die Aktiven in die entsprechende Bootsklasse ein. Ein Wechsel in eine andere Bootsklasse ist dabei nicht möglich, ein LTA-Aktiver kann somit auch nicht im Einer oder Zweier starten, da er sich trotz Festsitz durch die mögliche Muskelanspannung in den Beinen einen Vorteil gegenüber den gelähmten Aktiven hätte.
Menschen mit geistigen Behinderungen sind derzeit zum Rennsport nicht zugelassen. Hier kam es in anderen Sportarten bei früheren Paralympischen Spielen zu unklaren Situationen über den Grad der Behinderungen und auch zum Missbrauch dieses Status. Daher beschränkt sich Rennrudern wie auch die übrigen paralympischen Sportarten bis auf Weiteres auf die körperlich behinderten Aktiven.

Seitdem die Adaptive-Rennen regelmäßig auf Weltmeisterschaften im Programm stehen, hat die Beteiligung deutlich zugenommen. Durch die paralympische Anerkennung gibt es inzwischen Förderungsprogramme und auch Geldmittel aus den jeweiligen Sportetats. Man kann davon ausgehen, dass diese Entwicklung auch in Zukunft anhält.