12. März 2008 | Verband | von DRV Internet AG

Renko Schmidt im Interview

Sehen Sie eine Kampfkandidatur im leistungssportlichen Bereich so knapp vor den Olympischen Spielen nicht als problematisch?
 
Ich sehe das nicht als problematisch an. Der neue Amtsinhaber kann sich mit den jetzigen Strukturen schon vor den Olympischen Spielen 2008 auseinander setzen. Es wird mit Sicherheit keine Operation am offenen Herzen geben, denn bis zu den Olympischen Spielen kann man ohnehin keine Änderung mehr durchführen. Man hat in dieser Zeit eine Phase, in der man hautnah dabei sein und noch sehr viele Eindrücke sowie Erfahrungen aufnehmen kann. Dieses ist die beste Grundlage, um nach den Olympischen Spielen 2008 dringend notwendige Strukturveränderungen vorzunehmen. Diese lassen sich nur in einem mittelfristigen Zeitraum von mindestens 4 Jahren erreichen. Der Zeitpunkt der Wahlen war einer der Gründe, mich jetzt um diese Position zu bewerben.
 
Wie wollen Sie sich dann in der Kürze auf die Delegationsleitung für die Olympischen Spiele vorbereiten? Haben Sie hier Erfahrung?
 
Ich gehe davon aus, dass die hauptamtlichen Mitarbeiter sowie das gesamte bisher eingesetzte Organisationsteam des DRV alle erforderlichen Maßnahmen bereits eingeleitet haben. Darüber hinaus bin ich sicher auf die gesamte Unterstützung des Organisationsteams angewiesen. In der Tat habe ich eine derartige Delegationsleitung noch nie inne gehabt. Ich bin es aber gewohnt, Dinge zu übernehmen, die ich erstmalig ausführen muss. Derartige Aufgaben habe ich in der Vergangenheit auch mit, wie ich meine, respektablen Ergebnissen ausgeführt. Ich habe Respekt vor der Aufgabe, aber keine Angst.
 
Sie sind vor kurzem Projektleiter von "up2" geworden. Wollen Sie dieses Engagement bei Ihrer Wahl wieder abgeben?
 
Ich möchte das Amt bis auf Weiteres nicht abgeben, weil das Projekt "up2" ein zentraler Baustein der zukünftigen Leistungssportkonzepte sein sollte. Bisher war es ein Fehler, dass man einen engen Verbund zwischen Wirtschaft und Sport augenscheinlich nicht herstellen konnte. Die finanzielle und berufliche Sicherung der Athleten durch eine enge, frühzeitige Bindung an Unternehmen ist mir sehr wichtig. Diese Aufgabe sollte zukünftig auch unter Einbindung des Vorstandes des DRV ausgeführt werden. Dann muss es an jemanden abgegeben werden, der eng in die Wirtschaft eingebunden ist. Ich sehe "up2" somit als einen wesentlichen Baustein meines zukünftigen Leistungssportkonzeptes.
 
Sie haben im Bundesleistungsstützpunkt Hamburg-Ratzeburg eine beachtliche Arbeit neben Ihrem Beruf geleistet. Wer würde hier Ihre Arbeit weiter führen?
 
Hier sehe ich in der Tat in einem Doppelmandat einen Interessenskonflikt. Ich bin mir sicher, dass wir in Hamburg/Schleswig-Holstein genügend personelle Alternativen haben. Wir haben in Norddeutschland in den letzen Jahren beachtliche Erfolge unter anderem deshalb erzielen können, weil wir anstehende Aufgaben und Herausforderungen in der Regel durch Teamwork gelöst haben. Aus diesem Team können wir einen adäquaten Nachfolger kurzfristig benennen.
 
Wo liegen die Ziele Ihrer Kandidatur?
 
Zuerst möchte ich betonen, dass Rudern in Deutschland Spitzensportart bleiben muss. Unter anderem hängt die gesamte finanzielle Förderung des DRV von einer langfristigen Ausnahmestellung im Spitzensport ab. Wir müssen alles daran setzen, dass wir mit einer positiveren Perspektive die Olympischen Spiele 2012 angehen können.
 
Danach sind für mich Berechenbarkeit und Transparenz der Nominierungsrichtlinien für die Athleten ganz wichtig, damit keine vorzeitige Demotivation eintritt. Die heutigen Selektionsverfahren sind nicht mehr transparent und nachvollziehbar. Weiter ist eine engere Einbeziehung der Sportmedizin mit der Sportwissenschaft ein wichtiger Punkt. Sportartübergreifend sollten wir uns ansehen, was andere Sportarten machen und von diesen lernen. Wir müssen mutig sein, auch nach Alternativen in trainingsmethodischen Ansätzen zu suchen.
 
Wir sammeln in Deutschland sehr viele trainingsbezogenen Daten, die Auswertung kommt jedoch zu kurz. Wir haben keine zentrale Datenerfassung sowie einheitliche Auswertungsmethoden. Umfassende, nachvollziehbare und systematische Saisonauswertungen liegen in der Regel nicht vor.
 
Da unsere Sportlerinnen und Sportler dauerhaft keine wesentlich höheren Trainingsumfänge absolvieren können, müssen wir die heutigen Trainings einhalten, optimal steuern und organisieren. Auch hier liegt erhebliches Verbesserungspotential vor, wie ich aus meiner eigenen Trainerarbeit berichten kann. Zukünftig sollte das Prinzip der Zielvereinbarung mit den vom DRV eingesetzten Trainern eine stärkere Gewichtung erfahren.
 
Die Trainersituation ist insgesamt als problematisch zu bewerten. Der Stellenwert der Trainerinnen und Trainer in der Öffentlichkeit muss gesteigert werden. Nur eine breite, hoch qualifizierte Trainerschaft sichert uns langfristig den gewollten Erfolg. Insofern ist auch der Traineraus- und -weiterbildung sowie der Vergütung ein höherer Stellenwert einzuräumen.
 
Abschließend möchte ich noch auf die Notwendigkeit des hauptamtlichen Sportdirektors hinweisen. Es muss darüber hinaus klare Richtlinien und Kompetenzen zwischen dem Vorstand, dem Sportdirektor und den vom DRV eingesetzten Trainern geben. Hier ist aus meiner Sicht eine Reorganisation dringend notwendig.
 
Welche leistungssportlichen Projekte liegen Ihnen am Herzen. Wie stehen Sie zum Bundes-Nachwuchsstützpunkt Rhein-Main?
 
Grundsätzlich gibt es aus meiner Sicht im heutigen U19-Bereich gute, erfolgreiche Strukturen. Man sollte fragen, was in dieser Altersgruppe die Erfolge bedingt hat. Die Selektions- und Leistungsvorgaben im U19-Bereich sind transparent. Das Regionalkonzept hat zu einer breiten international erfolgreichen Spitze im deutschen Rudersport geführt. In manchen Jahren ist es schwerer, sich für die deutsche U19-Nationalmannschaft zu qualifizieren, als dann auf den Weltmeisterschaften eine Medaille zu gewinnen. Aus meiner Sicht kommt es darauf an, die positiven Merkmale des U19-Bereiches in die älteren Jahrgänge zu überführen.
 
Die Fokussierung auf die zentralen Stützpunkte Dortmund und Potsdam stößt aus meiner Sicht mittlerweile an Kapazitätsgrenzen. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob wir die Grenzen der Zentralisierung mittlerweile erreicht haben. Es gibt eine Reihe von Anzeichen dafür, dass eine dezentrale Stützpunktstruktur im Bereich der Klein- und Mittelbootsbildung erfolgreicher sein kann. Diese Frage ist intensiv mit den Verantwortlichen im DRV zu diskutieren.
 
Die Stärkung der regionalen Zentren ist mir insbesondere im Nachwuchsbereich sehr wichtig. Ich halte überhaupt nichts davon, wenn im U19-Bereich und den jüngeren Jahrgängen die Ruderinnen und Ruderer am Wochenende quer durch Deutschland fahren, um sich auf die jeweiligen Zielwettkämpfe vorzubereiten. Für Leistungssportorientierte Ruderinnen und Ruderer sowie deren Trainerinnen und Trainer müssen die regionalen Stützpunkte der qualifizierte Ansprechpartner sein. Diese Organisationsform sichert eine leistungssportliche Entwicklung auch in den kleinen Vereinen langfristig ab.

Das Gespräch führte Oliver Palme.