Bundesliga: Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Maennig, Olympiasieger 1988 im Achter
Herr Maennig, was halten Sie als Professor der Wirtschaftwissenschaften, insbesondere Sport- und Medienökonomik vom neuen Konzept der Ruder-Bundesliga (RBL) nur für Achter und auf der Sprintdistanz von 350 Metern?
Maennig: "Gedankenexperimente dieser Art sind grundsätzlich zu begrüßen. Eine systematische Wettkampfmöglichkeit für Vereine ist das, was bisher nicht hinreichend vorhanden war, um auch die Breite in den Wettkampfsport zu locken. Der Ruder-Pokal war zwar im Prinzip eine Vorstufe für dieses Liga-System der RBL. Die Bundesliga klingt auf jeden Fall interessant und erfolgversprechend."
Fundamentalistische Kritiker von Reformen und Erneuerungen stören sich an der zunehmenden Eventisierung und kommerziellen Ausschlachtung von Sportarten wie Biathlon, Skispringen und Beach-Volleyball und haben dabei Angst um ihren schönen Rudersport im herkömmlichen Sinne. Zu recht?
Maennig: "Es geht nicht um Entweder-Oder, sondern um Sowohl-Als Auch. Es gibt ja in unserem Rudersport ausreichend viele schöne Traditions-Veranstaltungen für alle, die neue Wege nicht in diesem Umfang mitgehen möchten und die Ruhe auf dem Wasser ohne laute Musik und Party und Trara suchen. Es ist also niemand gezwungen, die Entwicklungen der Zeit in Bezug auf Wettkampfsysteme mitzumachen. Auch die bisherigen Regatten werden bleiben.
Man soll aber nicht vergessen, dass die Jugend immer die zukünftigen Trend und Richtungen vorgibt und die Älteren “ auf die Bedürfnisse der Zeit eingehen müssen. Denn wenn man an alten Dogmen festhält, kann es sein, dass man irgendwann alleine da steht und die Karawane schon längst weitergezogen ist. Eine gewisse geistige Flexibilität ist, wie nahezu in allen Bereichen des Lebens, unerlässlich. Wir müssen an unseren potentiellen Nachwuchs denken, der jedoch angesichts attraktiver Alternativen sich zunehmend anderen Sportarten zuwendet.
Die jungen Leute wollten sich schon immer miteinander messen und zwar in einem attraktivem Wettkampfformat. Und die Zuschauer der heutigen Zeit wollen passend zum Sport entsprechende Unterhaltung haben. Warum gehen wir denn zum Beach-Volleyball?
Zu Spitzensport an der frischen Luft finden wir „fetzige“ Musik und viel action. Ähnliches könnte der Rudersport mit bisherigen sowie „neuen“ Spannungsmomenten, Musik, jugendgerechter Sprache und attraktiver Kleidung auch erreichen. Im Endeffekt muss man dann den Sportler und die Zuschauer entscheiden lassen, ob das gut und gewollt ist. Offensichtlich scheint jedoch, dass 2000-Meter-Rennen kaum noch jemanden auf die Zuschauertribünen locken …."
Welchen Unterschied macht denn in Ihren Augen der Unterschied zum Sprint beispielsweise über die 350 Meter Distanz?
Maennig: "Meine absolute Hochachtung gehört allen aktuellen Leistungssportlern, die sich auf der 2000-Meter-Distanz behaupten. Aber die Eintrittsschwelle für Ehemalige, Breitensportler oder gar Neulinge ist viel zu hoch gesteckt. Die 2000-Meter-Strecke kann man nur mit mindestens 6x Training pro Woche bestehen, und die Schmerzen bleiben dennoch … . 350 Meter Rennstrecke können eine gute Antwort sein."
Was könnte aus ihrer Sicht die Ursache sein, dass der deutsche Rudersport maximal noch zur WM oder zu Olympia wahrgenommen wird, während andere Sportarten medial omnipräsent scheinen?
Maennig: "Die Ursachen sind sicherlich vielfältig, und es geht ja nicht nur dem Rudersport so. Es ist darüber schon viel gesagt und geschrieben worden, und wir haben hier nicht genügend Raum. Aber vielleicht grundsätzlich – und zugegeben provokativ: Ist es vielleicht gar nicht unser Wunsch, eine Mediensportart zu sein? Gibt es dafür vielleicht gute Gründe? Nur wenn wir es wirklich wollen – und einige liebgewordene Charakteristika unseres Rudersportes aufgeben würden, könnten wir es schaffen. Medienaufmerksamkeit hat seinen Preis…
Allerdings hat auch die andere Alternative einen Preis. Ein Kollege – ich glaube es war Prof. Wopp – hat einmal gesagt, dass die deutschen Rudervereine sich in eine vergleichbare Position manövriert haben wie die deutschen Männergesangsvereine: hochgeachtet – aber ohne jeden Einfluss auf die aktuelle (Musik)Entwicklung. Ich bin zuversichtlich, dass der DRV unter seiner neuen Führung – nach einer rund fünf Dekaden währenden weitgehenden Erstarrung - einer Modernisierung positiv gegenüber steht und mit dem Konzept der Ruder-Bundesliga die Tore für neue und vielleicht auch ehemalige Mitglieder sowie den Medien öffnet."
Wie sehen Sie denn in Zukunft die Besetzungen der Vereinsachter. Werden in der Bundesliga denn nur so genannte „Thekentruppen“ rudern oder kommen auch die Nationalmannschaftsruderer irgendwann hinzu, um die Clubboote zu verstärken?
Maennig: "Mag sein, dass anfangs die Spitzenruderer nicht dabei sind oder nicht dabei sein können / dürfen. Es gibt aber viele gute Sportler in den Vereinen, die (noch) nicht zur Spitze gehören, dennoch solche Wettkämpfe wollen. Es ist eigentlich traurig, dass so viele deutsche Mannschaften zu Ruder-Events wie Head of the River, Henley on Thames oder zum Sprintcup nach Cannes fahren. Für diese brauchen wir auch ein Produkt in Deutschland, dass ausreichend anziehend und unterhaltsam ist. Und, um auf die Frage zurück zu kommen, am Anfang werden sich die besten Vereinsteams zusammenfinden, die mit Sicherheit auch nach und nach von Nationalruderern verstärkt werden. Warum sollten die DRV-Cracks nach der WM nicht mal ein paar Sprints für ihren Club mitfahren. Eine Bundesliga“ mit den stärksten Clubachtern Deutschlands, und die Nationalmannschaft rudert auf Champions League- oder WM-Ebene. Dieses Prinzip ist ja hinreichend aus anderen Sportarten bekannt."
Ja man darf also gespannt sein, ob so ein neues Konzept wie die Ruder-Bundesliga greift und neuen Schwung in das deutsche Ruderkarussell bringen kann. Welche Aufgabe hat denn eigentlich der Sport in der heutigen Zeit?
Maennig: "Primäre Funktion damals wie heute ist das Zusammenbringen von Menschen. Und Menschen kommen gerne zusammen, wenn sie Unterhaltung in einer schönen Atmosphäre unter gleichgesinnten Menschen finden.
Und wie könnte dies genau aussehen? Sicher, es gibt viele Wege. Ein erfolgversprechender ist „back to the roots“. Ein Blick in Programme von gut besuchten Ruderregatten vor 120 Jahren hilft vielleicht weiter: Die – rund ein Dutzend - Rennen liefen Samstag in zwei kurzweiligen Stunden. Von „inrigged raceboats“ über „outrigged gigs“ (man beachte die anglisierte Sprache unser Alt-Vorderen!!) bis zu Festsitz-Kielbooten war alles dabei. Zwei Kapellen spielten. . Und hinterher gab es natürlich eine Feierlichkeit, egal ob Ruder-Ball oder, Soiree, als soziales Event dazu. Diese dauerte übrigens länger als die Regatta. Zudem gab es damals so genannte Stangenrennen, wo direkt vor den Augen der Zuschauern gestartet wurde, um eine Stange gewendet und schließlich ins Ziel gesprintet wurde. Die Ruder-Bundesliga“orientiert sich eigentlich an den alten uns bekannten, aber manchmal leider schon vergessenen Werten und Formen.
Dann verspricht ein Bundesliga-Format im Rudern also garantierten Erfolg?
Maennig: "Garantieren kann man heutzutage kaum etwas, aber die Hoffnung ist, dass es erfolgreicher sein könnte, weil es eben besser den Nerv der Jugend, also der aktuellen Zeit trifft. Ich glaube auch, dass viele Sportler sich reaktivieren lassen, wenn sie das Gefühl haben, dass auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird.
Wie auch immer es ausgehen mag, ist es jedoch wichtig so ein Liga-Format auszuprobieren. Denn der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren für neue Regattaformen wird die Ruderer antreiben und neue Ideen in den Sport bringen. Deswegen sollten wir den DRV und die RBL unterstützen und die Chance ergreifen, unseren Rudersport wieder mehr ins Zentrum der Sportarten zu rücken. Denn eigentlich ist Rudern, insbesondere der Achter, unglaublich dynamisch, spannend und reizvoll. Wir müssen es den Leuten nur zeigen."
Herr Maennig, vielen Dank für ihre Zeit, das Gespräch und die Anregungen zum aktuellen Thema RBL.
Video:
Endlich: Ruder-Bundesliga (RBL)
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