11. Juni 2009 | Breitensport | von Dr. Werner Rudolph

Venedig: Voga Longa 2009 bei Sturm

Die „Voga Longa“ stellt ein jährliches herausragendes Ereignis dar für die Wassersportler aus ganz Europa (und darüber hinaus), die ihr Boot mit Muskelkraft bewegen. Nur anlässlich der Voga Longa ist es erlaubt, mit ortsfremden Booten die Kanäle in Venedig zu berudern oder zu bepaddeln. In jedem Jahr finden sich um 5000 Wassersportler in mehr als 1500 Booten ein, um an dem Event teilzunehmen, dessen Kurs ca. 30 km durch die Lagune von Venedig führt, an den Inseln San Erasmo, Burano, Torcello vorbei, dann über eine große freie Lagunenwasserfläche, danach durch den Canale Grande der Glasbläserinsel Murano und zum Schluß über den Canale Grande von Venedig zurück zum Startpunkt am Markusplatz. Vielfach wurde die gute Stimmung beschrieben, die den Wassersportlern seitens der Zuschauer entgegengebracht wird und die durch die Vielzahl von Bootstypen, die bunten Dekorationen der Boote und Mannschaften hervorgerufen wird. Es ist tatsächlich ein besonderes Ereignis, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, leicht wird man zum Wiederholungstäter.

So erging es auch einer Gruppe von 9 Ruderinnen und Ruderern aus dem südlichen Baden-Württemberg (Ulm, Überlingen, Waldshut, Grenzach), von denen die meisten schon mehrfach an der Voga teilgenommen hatten. Darüber hinaus wollten sie danach eine Woche in den Weiten der Lagune von Venedig die weitläufigen Wasserwege berudern. Die Voga Longa 2009 verlief indessen etwas anders als gewohnt. Die Wetterprognosen zeigten Tage zuvor schon Windstärken von 3-4 Beaufort an, was den erfahrenen Ruderer zur Vorsicht ermahnen musste.

Die Boote (3 Doppelzweier mit Stm.) wurden am Tag vor der Voga Longa mit Abdeckungen von Bug und Heck gegen Wassereitritt geschützt, außerdem wurden Klebefolien angebracht, die die sich an den Auslegern brechenden Wellen vor dem Eintritt in das Boot abweisen. Am Tag des Ereignisses erwiesen sich die Wetterprognosen als korrekt: Starker Wind, Wellen mit Schaumkronen auf den weitläufigen Wasserflächen schon in den sehr frühen Morgenstunden vor dem Start. Aus diesem Grund wurde zum Leidwesen der über 700 km Angereisten seitens der Fahrtleitung entschieden, dass die Gruppe der 9 Süddeutschen nicht bei der Voga Longa starten werde. Entsprechend den Ausschreibungsbedingungen des Veranstalters liegt die Verantwortung für die Teilnahme alleine bei den Teilnehmenden. Insofern war ein Entscheid über die Teilnahme unter den gegebenen widrigen Bedingungen notwendig und wie sich im weiteren Verlauf der Veranstaltung erwies auch sachlich angemessen. Die Entscheidung wurde insofern leicht, als man ja noch mehrere Tage nach dem Großereignis sich für das Rudern in der Lagune vorgenommen hatte.

Die meisten anderen teilnehmenden Gruppen entschieden sich anders, denn sie hatten ihren Zeitplan auf das Ereignis der Voga Longa konzentriert und waren deshalb unter „Erfolgszwang“. Kommentar einer Bodensee-Ruderin vor dem Start: „Zu Hause würden wir unter diesen Bedingungen nicht auf das Wasser gehen“. Viele erreichten zugegebenermaßen trotz der widrigen Bedingungen auch das Ziel der Voga Longa am Markusplatz und waren danach sicher sehr stolz darauf, sich durchgekämpft zu haben.

Die Neunergruppe jedoch hatte am Vorabend wegen der stürmischen Wetterprognose schon einen Plan B ausgearbeitet, der nun zum Tragen kam: Man wollte das Großereignis von Land aus ansehen und fuhr per Schiff zum Startpunkt in Venedig (Teilgruppe 1), bzw. nach Burano, von dort aus über Murano nach Venedig (Teilgruppe 2). An verschiedenen Stellen konnten so Eindrücke von dem Voga-Longa Ereignis gesammelt werden, die nachträglich noch durch Schilderungen von Teilnehmern vertieft wurden.

Der Start erfolgte am Markusplatz planmäßig um 9 Uhr mit dem üblichen Kanonendonnerschlag. Nach Schilderung eines erfahrenen Ruderers aus Treviso (Sile), der vielfach an der Voga teilgenommen hatte, waren die Bedingungen jedoch so, dass er, wie auch andere in Kleinbooten, schon nach wenigen Kilometern noch im Nahbereich von Venedig mit seinem stehend geruderten gondelartigen venetianischen Riemenzweier (Gondolin) aufgab und abbrach.

Gegen 10:30 Uhr erschienen die ersten Ruderboote bei Burano, nachdem sie die windgeschützte Strecke im Lee der Insel San Erasmo passiert hatten. „Geht prima“ rief uns die Bodensee-Ruderin zu, die wir an unserem Startpunkt gesprochen hatten. Doch am Übergang zwischen der freieen Wasserfläche vor Burano und dem engen in Richtung Murano weisenden Kanal wirkte sich die Windströmung düsenartig aus. Viele Steuerleute verkannten die Gewalt des Sturms und konnten oft nur mit knapper Not einem Zusammenstoß mit den Dalben, die die Fahrrinne der Schifffahrtsstraße markieren oder mit anderen Booten ausweichen. Einige schafften es auch nicht, so dass es zu Zusammenstößen kam. Mehrfach haben wir Sportler gesehen, die infolge solcher Karambolagen aus den stehend rudernd betriebenen Booten über Bord gingen und nur mühsam wieder über die hohen Bordwände von den Mitfahrenden zurück an Bord gezogen wurden. Und während dieser Zeit war das betroffene Boot ein Spielball des Windes, so dass es zu weiteren Karambolagen kam und weitere Leute über Bord gingen.

Mehrfach sahen wir Boote mit gebrochenen Skulls, Riemen oder Dollen. Viele Folienkonstruktionen, die an den Booten als Wellenschutz angebracht waren, waren zerfetzt, abgerissen und wirkungslos. Vielfach sahen wir auch völlig erschöpfte Mannschaftsmitglieder, die nicht mehr in der Lage waren, beim Antrieb des Bootes mitzuwirken. Sportler, die sich durch den Aufprall gegen Riemen oder Bordwände schmerzhafte Prellungen zuzogen, gab es auch. Feuerwehr und Ambulanz waren mehrfach im Einsatz.

Gegen 13 Uhr nahm die Personenschifffahrt wieder die Verbindung zwischen Burano, Murano und Venedig auf. Die Voga Longa war jedoch noch nicht zu Ende. Wir fuhren mit dem ersten Schiff Richtung Murano und Venedig. Der Wind fegte über die offene Wasserfläche zwischen Burano und Murano und bildete dort sehr hohe Wellen, die nun auch noch durch den einsetzenden Schiffsverkehr verstärkt wurden. Kein Wunder bei diesen Bedingungen, dass man vor Murano nun auch schwimmende Ruderer neben ihrem Boot sehen konnte, zu deren Rettung Feuerwehr und Erste Hilfe mit Getöse heran brauste , was weiteren Wellengang erzeugte. Zum Glück war das Wasser schon mehr als 20 Grad warm, wenn auch die Lufttemperatur deutlich niedriger war.

In Venedig konnten wir von der Rialtobrücke aus schließlich diejenigen beklatschen und bewundern, die die Voga Longa 2009 trotz aller Widrigkeiten meisterten. Im Vorteil waren breite und gedeckte Wanderruderboote, Yoles de Mer und ähnlich wellenunempfindliche und mit geschlossenen Bootskörpern versehene Bootstypen, während in den offenen C-Booten oder Rennbooten oft ein recht hoher Wasserstand herrschte. Trotzdem gab es auch solche Boote, die mit Schöpfgerät und Lenzpumpe ausgestattet, mit wenig Wasser zum Ziel kamen.

Bewundernswert war ein Mädchenboot, welches sich mit fröhlichem Gesang – nach allen Strapazen immer noch frisch dahinrudernd – durch den Canale Grande zum Ziel bewegte.

Fazit:

Die Voga Longa ist ein herrliches Ereignis mit hohem Erlebniswert und viel Ruderspass bei angenehmen Witterungsbedingungen. Bei Sturm kann sie unangenehm und gefährlich werden. Zur Vermeidung unnötiger Risiken ist es empfehlenswert, dass seitens der Vereinsführungen darauf geachtet wird, dass

  • den Teilnehmern bewusst gemacht wird, dass gemäß Teilnahmebedingungen jeder für seine Sicherheit selbst verantwortlich ist für jedes Boot ausreichend erfahrene Bootsführer vorhanden sind, die von den übrigen Mannschaftsmitgliedern auch dann respektiert werden, auch wenn unangenehme Entscheide zu treffen sind. Auch erfahrene Steuerleute sind unbedingt notwendig.
  • bei der Vorbereitung der Fahrt auf die Wetterprognose, die Windverhältnisse, jedoch auch auf andere Eigenarten des Gewässers (Ebbe, Flut, große Flachwasserzonen, Schiffsverkehr mit hohen Wellen, Salzwasser und seine korrosiven Eigenschaften) Rücksicht genommen wird. Kartenmaterial für die Navigation in der Lagune ist erforderlich.
  • die Voga-Longa möglichst nicht als terminlich eng begrenztes Großereignis verstanden wird, sondern auch als Möglichkeit, die Lagune von Venedig und die umliegenden Gewässer mehrtägig zu berudern, wodurch der Erfolgsdruck des „unbedingt Rudern Müssens“ beim Termin des Großereignisses sinkt. Die lange Anreise lohnt sich mehr, wenn man den Aufenthalt für eine Woche vorsieht. Es ist nur ein begrenzter Verlust, wenn man witterungsbedingt am Großereignis nicht teilnehmen kann.
  • für die Befahrung großer, offener Wasserflächen geeignetes Bootsmaterial eingesetzt wird, z.B. Seegigs, Inrigger, Kirchboote, Yoles de Mer, Boote mit geschlossenen Bootskörpern, gedeckte breite Wanderboote, gedeckte und an den Auslegern gegen Wellenschlag geschützte C-Boote, Boote mit hoch angebrachten Auslegerkonstruktionen (Flügelausleger o.ä)

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