27. Okt. 2010 | Panorama | von Arne Simann

46. „Head of the Charles“ in Boston/Massachusetts

Erfolge für deutsche Ruderer in US- und DRV-Booten

Seit 1965 findet in Anlehnung an das traditionsreiche „Head of the River Race“ in London auch an der Ostküste der USA ein riesiges Regattaevent statt. Seit 1997 wird die Mammutveranstaltung über 3 US-Meilen (5,2km) sogar über zwei Tage ausgetragen, da die über 8000 Sportler aus aller Welt sonst logistisch gar nicht zu koordinieren wären. Seitdem ist das „Head“ in Boston auf dem namensgebenden Charles River die größte Regatta der Welt und auch die deutschen Boote und Athleten setzen sich vor der gigantischen Kulisse von über 300.000 Zuschauern immer wieder prominent in Szene.

Im am Sonntag ausgetragenen „Championship Eight“-Achterrennen gingen dieses Jahr 35 absolute Topcrews an den Start des Jagdrennens beim Boston University Boathouse. Denn anders als bei der olympischen 2000m-Distanz werden die Boote nicht gleichzeitig per Ampelstart ins Rennen geschickt, sondern jagen sich bei den typischen „Headrennen“ im 10 oder 15 Sekunden Abstand per fliegendem Start. Dadurch kommt es auf dem wunderschönen Stadtkurs mit vielen anspruchsvollen Kurven zu spannenden Bord-an-Bordkämpfen und waghalsigen Überholmanövern. Von den Steuerleuten wird bei diesen Jagdrennen mit „Feindkontakt“ und möglichen spektakulären Bootskollisionen vielmehr Konzentration und Weitsicht abverlangt, als bei den regulären Rennen im Albanosystem. Angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit, kann es auch durchaus sein, dass die Teams im Schneeturm mit eisig gefrorenen Händen die gut 14 Minuten überstehen müssen.

Der deutsche U23-Achter unter Coach Andreas Herdlitschke hatte sich jedoch gewissenhaft vorbereitet und kam trotz der wenigen gemeinsamen Trainingskilometer gut in Schwung. Das Berliner Schlaghaus mit Bastian Bechler und Henrik Bohnekamp legte einen souveränen Rhythmus vor. Dahinter sorgten Ruben Anemüller (Lübeck), Tyler Winklevoss (Harvard), Anton Braun (Berlin) und Bodo Schacher (Frankfurt) im Maschinenraum für Betrieb, während Felix Wimberger (Passau) und Nicolai Jürgens (Godesberg) im Bug arbeiteten. Im Zaum und auf Kurs gehalten wurde der pfeilschnelle DRV-Achter vom 18jährigen Kölner Steuermann Nils Hoffmann.

Durch einen kurzfristigen Ausfall eines deutschen Sportlers rückte rein zufällig der berühmte US-Olympionike Tyler Winklevoss ins deutsche Boot. Die Winklevoss-Zwillinge sind weltweit nicht nur als gute Ruderer durch einen 6. Platz im Zweier bei den Olympischen Spielen bekannt geworden, sondern vielmehr als geistige Erfinder des sozialen Netzwerkes Facebook. Der heutige Gründer Mark Zuckerberg war eigentlich von den Winklevoss-Zwillingen beauftragt worden eine elitäre Plattform für die Harvard-University zu programmieren und hatte heimlich nebenher diese Idee als Grundlage für seine eigene Plattform „Facebook“ benutzt. Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung um den Diebstahl geistigen Eigentums wurden die Winklevoss-Zwillinge mit 65 Millionen Dollar abgefunden, während der Marktwert von Facebook 2010 mit seinen über 500 Millionen Mitgliedern auf derzeit etwa 25 Milliarden taxiert wird.

Der 29jährige Tylor Winklevoss zeigte sich seines für einen Studenten überdurchschnittlichen Einkommens als waschechter und hervorragender Sportsmann. Da der deutsche Einerfahrer Marcel Hacker (Frankfurter RG Germania) nach seinem starken zweiten Rang im Skiff am Samstag hinter dem 39jährigen Titelverteidiger Michael Sivigny vom Reglement her nicht als Ersatzmann im deutschen Boot einspringen durfte, war Tylor Winklevoss sofort Feuer und Flamme und half dem deutschen Boot zu einem bärenstarken 5. Platz hinter den Siegern der University of Washington, der Harvard University, dem Berkeley-Achter und einem US-Nachwuchs-Nationalteam. Dies sorgte natürlich auch den amerikanischen Medien für krachende Schlagzeilen.

Deutsche Sieger gab es derweil dennoch, denn die University of Washington in Seattle entpuppt sich mittlerweile als deutsche Erfolgs-Kolonie in Übersee. Die amerikanische Eliteuni aus dem Nordwesten verfehlte den Streckenrekord von 13:53 min zwar um sieben Sekunden, darf sich aber fortan mit dem Ehrentitel „Head of the Charles“ schmücken. Dazu verholfen haben dem US-Boot maßgeblich die beiden deutschen Schlagleute Mathis Jessen (RG Hansa Hamburg) und Tom Lehmann (Rostock), während der Ratzeburger Hannes Heppner (RRC) im Mittelschiff den nötigen Schub beisteuerte. Der blonde Zweimeterhüne aus dem Lauenburgischen hat somit erfolgreich die Fronten gewechselt. 2009 startete der U23-WM-Vizeweltmeister noch gemeinsam mit dem Ratzeburger Achterweltmeister Florian Mennigen für Deutschland in Boston und belegte den 6. Platz. Und während Mennigen seinen WM-Titel in Neuseeland mit dem berühmten Deutschlandachter verteidigen will, dominiert der 23jährige Heppner die Konkurrenz der US-Universität, da er aufgrund seines entfernten Studienortes in den Planungen von Bundestrainer Buschbacher natürlich keine Rolle mehr spielen kann.

„Das war wirklich eine gelungene Veranstaltung und unser Rennen eine echte Bombe. Wir waren fast eine ganze Woche in Boston um uns mit dem schwierigen Kurs vertraut zu machen. Auf den ersten zwei Meilen haben uns die anderen Teams zwar einiges abgenommen, aber nach hinten raus haben wir dann Harvard und Berkeley noch abgefangen. Wie stark unser Endspurt war sieht man daran, dass am Checkpoint nach ¾ der Strecke, dem berühmten Cambridge Boat Club von 1909, dessen Mitglieder das Rennen initiiert haben, die Harvard University noch fünf Sekunden Vorsprung hatte.
Jetzt müssen wir aber wieder einen Schlag reinhauen, denn zuhause stehen Zweierausscheidungen, so genannte Seatraces für unser Heimspiel in Seattle, dem Head of the Lake“ an. Außerdem müssen wir den verpassten Stoff für die Uni nachholen“, erzählt der deutsche Student Hannes Heppner glücklich nach dem Achter-Triumph.

Und die deutsche Kolonie wird in Zukunft in Seattle noch größer werden. Denn erst kürzlich ist der deutsche U23-Weltmeister Sebastian Peter, der die letzten Jahre in der Ratzeburger Ruderakademie trainiert hat, als „Freshman“ mit einem Teilstipendium zum deutschen Ruder-Trio dazugestoßen und vielleicht besteht ja in Zukunft der halbe Seattle-Achter aus deutschen Spitzenruderern.