Kerstin Hartmann: Donnerstagabends im ICE 592 zwischen Ulm und Dortmund
Organisationstalent, Zeitmanagement und Disziplin sind für viele Sportler die halbe Miete, wenn es darum geht, berufliche und sportliche Karriere zu vereinbaren. Das gilt auch für Ruderin Kerstin Hartmann, die die wöchentliche Zugfahrt zwischen Ulm und Dortmund nutzt, um ihr Lehramtsstudium nachzubereiten. Nur die Vogelstimmen-Exkursion muss ohne sie stattfinden.
Donnerstagabend, 18.00 Uhr: Kerstin Hartmann, Medaillen-Hoffnung im Zweier ohne Steuerfrau, sitzt im ICE 592 auf dem Weg von ihrem Wohn- und Studienort Ulm zum Ruder-Bundestützpunkt nach Dortmund. Bereits seit sieben Uhr morgens ist 22-jährige Lehramtsstudentin auf den Beinen. Erst zwei Stunden Krafttraining, dann sieben Stunden an der Uni mit den Fächern Ökologie und Mathematik sowie eine Biologie-Exkursion. Nun liegt eine 4½-stündige Zugfahrt und ein intensives Trainingswochenende mit ihrer Zweierpartnerin Marlene Sinnig vor ihr. Im Trainingsplan stehen Kraft, Kraftausdauer, Rudern und Aerobic, um das Taktgefühl zu schulen – insgesamt sieben Einheiten.
"Laptop ist Arbeitsmittel Nr. 1"
Kerstin Hartmann könnte die Zeit im Zug nutzen, um die Beine hochzulegen und Kraft für das anstehende Wochenende zu sammeln. Doch auf dem Tisch vor ihr steht ein aufgeklappter Laptop, daneben liegen Fachbücher und ein Spiralblock mit Notizen. Sie will die Zugfahrt nutzen, um die Protokolle vom Chemiepraktikum zum Thema „Säuren - Basen – Titration“, anzufertigen. „Ohne Laptop wäre es extrem schwierig zu studieren. Bei Zugfahrten ist er Arbeitsmittel Nr. 1“, erklärt Kerstin Hartmann. Als Nachwuchs-Elitesportlerin kann sie auf Unterstützung ihres Studiums durch die Sporthilfe bauen, die Laptop sowie Fachliteratur finanziert. „Die Bedeutung der Sporthilfe für mich ist enorm. Ich bin nicht auf Bücher aus der Bibliothek mit begrenzten Ausleihfristen angewiesen, sondern kann Literatur kaufen, die ich jederzeit auf Lehrgänge und Trainingslager mitnehmen kann.“
Junioren-und die U23-Weltmeisterin
Effizientes Zeitmanagement ist trotzdem gefragt. „Durch das Zeitraster des Leistungsports sind die Zeiten für das Lernen vorgegeben. Ich bin immer zur Effektivität gezwungen und das ist gut so. Seitdem ich Leistungssport betrieben hatte, bin ich in der Schule sogar von Jahr zu Jahr besser geworden“, erinnert sich die gebürtige Ulmerin zurück. Mit ihrer damaligen Partnerin Katrin Reinert blieb sie drei Jahre ungeschlagen, gewann 2005 mit ihr im Zweier ohne Steuerfrau die Junioren-Weltmeisterschaft und die U23-WM. Die beiden wurden daraufhin zur Juniorsportler-Mannschaft des Jahres gewählt.
Comeback mit neuer Partnerin
Nur zur Zeit des Abiturs gab es einen Durchhänger, die Doppelbelastung war zu hoch. Vorübergehend verlor sie sogar ihren Kaderstatus. Doch Kerstin Hartmann kämpfte sich zurück und schaffte mit ihrer neuen Partnerin Marlene Sinnig bei der WM 2009 mit Platz vier den Anschluss an die Weltspitze. Medaillenerfolge bei den kommenden Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen 2012 sind nun das Ziel. Einen erneuten Durchhänger wie beim Abitur fürchtet die Lehramtsstudentin aufgrund ihres Organisationsgeschicks nicht.
Rudertraining statt Vogelstimmen-Exkursion
Nur in einer Angelegenheit stößt auch ihr ansonsten perfektes Zeitmanagement an Grenzen: Die Vogelstimmen-Exkursionen ihres Biologiestudiums beginnen samstagmorgens um 6 Uhr, und dies lässt sich mit dem Wochenendtraining in Dortmund nicht vereinbaren. Ihr Professor hat ihr aber signalisiert, dass sie ersatzweise eine Hausarbeit anfertigen kann. Zeit dafür hat sie: Donnerstagabends zwischen 18 und 22.30 Uhr im ICE 592 auf der Fahrt von Ulm nach Dortmund.