18. Jan. 2012 | Panorama | von Redaktion rudern.de

„Alltag der deutschen Teilung“: Neue Ausstellung in Berlin

(DOSB-PRESSE) gibt vermutlich keinen anderen Ort in Deutschland, wo der „Alltag der deut-schen Teilung“ so „grenzwertig“ erfahren werden konnte, wie die Abfertigungshalle am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Der 1962 vom SED-Regime errichtete Pavillon aus Stahl und Glas erhielt bald im Berliner Volksmund hüben wie drüben den Namen „Tränenpalast“, weil sich in diesem tristen Gebäude jeden Tag aufs Neue bewegende Szenen von Abschied und Sehnsucht, von Hoffnung und Traurigkeit, eben von Heim-reisen-können und Da-bleiben-müssen abspielten. Jetzt hat die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hier eine äußerst sehenswerte (Dauer-)Ausstellung an und mit Originalschauplätzen installiert: „GrenzErfahrun-gen. Alltag der deutschen Teilung“ lautet ihr wegweisender Titel.
Wer sich für einen Rundgang durch diese ehemalige Abfertigungshalle für die „Ausreise aus der DDR nach Westberlin“ ein bisschen (mehr) Zeit nimmt, der wird sogar beiläufig fündig mit ver-streuten Spuren zum Sport. Diese Spuren können einerseits verdeutlichen, wie die vielfältigen Formen der „Körperkultur“ im Alltag der Menschen verankert waren, sie zeigen auf der anderen Seite aber auch eindrucksvoll, wie sehr sich der Sport damals auf dem politischen Spielfeld zwischen Ost und West bewegte. Doch erstmal der Reihe nach:
Auf dem langen Gepäckablagetresen im Eingangsbereich der Halle nach dem Treppenabgang liegen nebeneinander über 20 alte Koffer (keine Sporttaschen!), von denen die meisten geschlossen, aber auch einige geöffnet sind, so dass der geneigte Besucher diese inspizieren und die „Ausreisegeschichte“ des Besitzers bzw. der Besitzerin auf einer kleinen an der Koffer-innenseite befestigten Tafel nachlesen kann: Christiane Brinck aus Schwerin weilt als 15-jähige Schülerin im August 1959 zu einem Hockey-Trainingslager in Ostberlin und nutzt dieses zur (familiär vorbereiteten) Flucht in den Westen. Drei ihr lieb gewonnene Gegenstände nimmt sie im Koffer mit: einen Dessertteller mit Tiermotiv, ein Englischbuch aus der Schule und die Urkunde Nr. 40825 des DDR-Sportabzeichens für die Jugend B, offiziell „verliehen vom Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport am 18.12.1957“. Ob Christiane Brinck das Sportabzeichen im Westen (mit Unterschrift von DSB-Präsident Willi Daume) hat umschreiben lassen dürfen?
Im November 1976 befindet sich der Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann auf Konzertreise in der Bundesrepublik. Die DDR-Behörden hatten ihm eine Reisegenehmigung in den Westen erteilt. Das Konzert in der Kölner Sporthalle dient dem DDR-Politbüro als willkommener Vor-wand, um Biermann drei Tage später aus der DDR „wegen grober Verletzung der staatsbürger-lichen Pflichten“ auszubürgern. Diese Begebenheit ist ebenfalls in der Ausstellung in Wort und Bild dokumentiert. Dazu passt dann die nachgestellte Produktpalette aus dem Intershops (u. a. mit Zigaretten), die plakativ flankiert wird durch die Titelseite der Bild-Zeitung vom 16. Juli 1962 (Preis: 15 Pfennig), wo unten rechts in einem Artikel über die Flucht des Olympia- Ruderers Hans-Joachim Neuling (24) aus Leipzig berichtet wird, der den vierten Platz im Zweier ohne Steuermann für die DDR bei den Olympischen Spielen in Rom belegt hatte und jetzt einen Tag vor Einzug in die Nationale Volksarmee „aus der Sowjetzone“ nach Hannover geflüchtet ist.
Was westdeutsche Besucher bei der Einreise in die DDR bzw. nach Ostberlin mitnehmen und bei der Auseise (nicht) bei sich haben durften, war klipp und klar geregelt. Strengstens untersagt war es, westdeutsche Zeitungen und Magazine mit nach drüben zu transportieren. Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit waren im Tränenpalast stets zur Kontrolle im Einsatz – und führten sogar peinlich genau „Strichlisten zur Übernahme von Druckerzeugnissen“, die sie be-schlagnahmen konnten. Am 9. Dezember 1988 – das ist auf einer solchen Aufstellung fein säuberlich mit handschriftlichem Eintrag nachzulesen – wurden neben Spiegel, Playboy und Capital auch Auto-Motor-Sport, ADAC-Motorwelt, Boote und Yachten eingezogen.
Die neue Ausstellung im Berliner Tränenpalast ist bis auf weiteres von Dienstag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr und an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr zu sehen (Montag geschlossen!). Der Eintritt ist frei. Mehr auch im Internet unter

www.hdg.de . (DK)