08. Juni 2013 | Breitensport | von Dagmar und Hajo Heinemann, Mündener RV

Wanderrudern: Vogalonga und Rudern auf der Lagune von Venedig

Gemeinschaftswanderfahrt des Landesruderverbandes Baden-Württemberg vom 19. bis 23. Mai 2013

Organisator dieser Fahrten war der Wanderruderwart des LRV Baden-Württemberg Dr. Werner Rudolph. Der Zuspruch war mit 7 Teilnehmerinnen und 10 Teilnehmern aus 10 Vereinen (von Hamburg bis zum Bodensee und einer aus der Schweiz) erfreulich gut und machte es möglich, dass maximal 2 Vierer mit Steuermann (beide gedeckt) und ein Zweier mit Steuermann (mittels Tape gedeckt gemacht und mit Wellenabweisern versehen) zu besetzen waren. Nicht jeder wollte an jedem Tag rudern, aber schlussendlich haben alle mindestens einmal im Boot gesessen. Die beiden Vierer wurden von der 'Rudergemeinschaft See mal Rhein e.V.', Radolfzell, einer noch jungen Vereinigung, die sich ausschließlich dem Wanderrudern verschrieben hat, gestellt. Sie wurden auch schon für die Vorfahrt von Triest nach Venedig benutzt und wurden nach unserer Tour nach Kroatien für eine weitere Wanderfahrt verbracht. Ein optimaler Einsatz, also. Der Zweier ist im Privatbesitz der Familie Rudolph. Die Gesamtstrecke belief sich auf 170 Kilometer in 5 Tagen mit Tagesleistungen zwischen 17 und 50 (Vogalonga) Kilometern. Reviere waren die Lagune von Venedig und deren Kanalsysteme. Die Aufnahme bei 'Cannottieri Treporti' war überaus freundlich und zuvorkommend, was Werner mit einigen Flaschen badischen Weines honorierte ('Damit Sie auch mal anderen Wein kennen lernen.'). Das Standquartier war auf einem Campingplatz in Treporti in Campinghäusern, die maximal mit 5 Personen belegt werden können, dann aber doch wohl extrem eng wären, wenn sie denn so belegt worden wären. Ziel des Fahrtenleiters war es auch mit dieser Wahl, die hohen Übernachtungskosten in Venedig in Grenzen zu halten. Zur Mittagspause wurden Restaurants angesteuert und abends 3 verschiedene in Quartiernähe getestet. Nicht immer waren alle mit allem zufrieden - was man ja auch kaum erwarten kann -, aber verhungert und verdurstet ist auch niemand. An einem Abend gab es ein eigenes 4-Gänge-Menü, wozu nahezu alle kräftig beitrugen, die Ungeübten mit wertvollen Hilfsdiensten. Da waren dann alle besonders zufrieden und Uneingeweihte hätten den Eindruck haben können, hier sei ein Hobby-Kochclub im Urlaub, der hin und wieder auch mal ein Ruderboot besteigt.

Zur Vogalonga am Pfingstsonntag rückten alle 3 Boote aus. Die wenigsten Besatzungsmitglieder hatten noch keine Erfahrung mit diesem Riesenspektakel (so die beiden Berichter) und waren entsprechend gespannt. Was da auf sie zukommen wird, erahnten sie auf einer tags zuvor durchgeführten kurzen Tour als schon diverse Boote, insbesondere Ruderboote, sich einfuhren, aber eben auch noch der Touristen-Schiffsverkehr tobte bzw. die dadurch hervorgerufenen Wellen. Das machte den Schlaf nicht ruhiger! Um die 9 Kilometer bis zum Markusplatz rechtzeitig zum Start um 9 Uhr zu bewältigen, legten wir von unserem Sattelplatz um 7.30 Uhr ab. Auch hier waren wir schon bei weitem nicht alleine, und der Konvoi vergrößerte sich ständig. Das Wetter war ziemlich scheußlich, aber die Stimmung einfach grandios, und sie wurde immer grandioser. Vor dem Markusplatz angekommen, konnte man den Eindruck haben, dass man trockenen Fußes von Boot zu Boot über die Lagune gehen kann. Die Information lautete, dass ca. 7000 Personen in 1700 Booten teilgenommen haben. Interessant wäre auch noch gewesen, wie viele Nationen beteiligt waren. Man selbst sieht ja nur sein unmittelbares Umfeld, aber schon da wäre es wünschenswert gewesen, die verschiedenen Bootstypen einmal zu zählen. Es geht hier nicht nur um Ruderboote, sonders auch um alle anderen schwimm- und fortbewegungsfähige Geräte, die sich auf dem türkisfarbenen Wasser befanden. Die venezianischen Ruderboote, in denen im Stehen und aus unserer Sicht 'falsch herum' mit nahezu sophistischen Dollen gerudert wird, beeindruckten besonders, wohl auch, weil sie für uns recht ungewohnt sind. Nahezu alle Boote waren geschmückt und der überwiegende Teil der Mannschaften war in phantasievolle Kleidung gehüllt und/oder hatten ihre Boote geschmückt. Es hätte sich auch noch gelohnt, die z.T. sehr großen, bunten Flaggen näher in Augenschein zu nehmen. Exakt um 9 Uhr fiel durch einen gewaltigen Böller der Startschuss. Und damit ging - trotz der breiten Lagune - ein fürchterliches Gedränge los, was den Steuerleuten Höchstleistungen abverlangte, wenn sie denn mit möglichst wenig 'Ruder-halt'- Kommandos auskommen wollten. Zwar entzerrte sich das Geschen immer mal wieder, aber es gibt auf der Strecke von ca. 30 Kilometern diverse massive Engstellen, an denen das Problem immer wieder auftrat. Aber alles blieb, soweit wir es beurteilen konnten, fröhlich, friedlich und gelassen und hoffentlich auch unfallfrei. Eine wohlmeinende höhere Rudermacht hatte auch ein Einsehen mit dem Regenwetter, denn nach Bewältigung von ca. 2/3 der Strecke war urplötzlich bestes Wassersportwetter. Damit geriet die Durchfahrt von Venedig auf dem Canale Grande noch zu einem besonders denkwürdigen Ereignis in luftiger Kleidung. Allerdings: vor der Einfahrt ist noch die engste der Engstellen zu bewältigen, eine 'Arteriosklerose' der ganz besonderen Art: die 'Ponte di Tre Archi' über den 'Canale di Cannaregio', der zum Canale Grande hinführt. Kurz vorher hatten wir noch das Vergnügen, hier von unserem am Ufer auf uns wartenden Fans lautstark und freudig begrüßt zu werden. Natürlich grüßten wir ebenso zurück und mussten uns dann aber auf etwas konzentrieren, auf das wir nicht mehr wirklich Einfluss hatten. Eine moderate Strömung trieb uns unaufhaltsam vorwärts. Rudern oder gar Steuern war nicht mehr möglich, und so verkeilten wir uns mit anderen 'Mitbewerbern' nahezu hoffnungslos im Bootsgetümmel. Zwar versuchte die Wasserschutzpolizei vor der Kanaleinfahrt diesen Massenandrang zu verhindern, aber so wie sie es taten war es aussichtslos. Man könnte - ohne boshaft sein zu wollen - bezweifeln, dass 'Ordnung' wirklich gewollt war, denn das eigentliche Spektakel fand auf der Brücke statt. Jedes Boot, das irgendwie durch die Brücke gequält wurde, wurde mit tosendem Beifall bedacht. Wir hörten das Gebrüll schon von weitem, konnten es aber erst deuten, als wir knapp vor der Brücke ankamen. So ähnlich muss es in Pamplona zugehen, wenn die Stiere durch die Gassen getrieben werden. Material schonend ist das Ganze ganz und gar nicht! Ob auch die Skiffs und Mannschaftsrennboote dieses Material-Martyrium mitgemacht haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Man kann diese Stelle auch umfahren - dann trägt man nicht zur Belustigung bei, die für einen selbst aber erst eine ist, wenn man schadlos 'durch' ist. Unserem Zweier gelang es nur rückwärts treibend und auch einer der Vierer geriet in diese etwas 'unwürdige' Position. Ob das der Grund war, weswegen die örtliche Presse 'Il Gazzettino' tags darauf ein Bild (von vielen) abdruckte, das uns senkrecht zur Kaimauer und im Rechten Winkel zu anderen Booten liegend zeigt, sei dahin gestellt. Interessant sieht es jedenfalls aus! Danach kam wieder Genuss auf, und es geht eigentlich alles viel zu schnell vorüber. Nach Passieren der 'Ponte di Rialto' ist man bald am Ziel, wo es eine Plakette und ein Erinnerungsblatt gab. - Danach strebten alle 3 Boote zum vorher verabredeten Treffpunkt auf der Insel San Erasmo in einem Restaurant. Auf dem Weg dorthin hörten wir noch den Böller, der das offizielle Ende um 15 Uhr ankündigte. Dort beglückwünschen wir uns gegenseitig und machten in aller Ruhe Erinnerungsfotos an den mehr als denkwürdigen Tag. Der Berichter traf dort auch einen Nachbarn aus Kindheitstagen, bei dem 'Massenauftrieb' nicht unbedingt ein Wunder.

Danach waren noch weitere 5 Rudertage in unmittelbarer Nähe von Treporti/Venedig vorgesehen, von denen dann der letzte allerdings dem hohen Wellengang am Vormittag auf der Lagune zum Opfer fiel. So war Zeit, die Boote besonders gründlich zu reinigen, d.h. vor allen Dingen von aggressiven Salzwasserresten zu befreien, zu verladen und damit pünktlich und vorschriftsmäßig dem nächsten Team zu übergeben. Werner führte die Oberaufsicht, legt aber natürlich auch selbst mit Hand an und zeigte damit auch hierbei, dass er alle Belange einer solchen Wanderfahrt bestens und professionell im Griff hat. Jeder fühlte sich jederzeit bestens unter seiner Obhut aufgehoben und sah spätestens nach getaner Tat, dass manches was manchem zunächst vielleicht als etwas zu pingelig erschien, durchaus seine Berechtigung gehabt hat.

In unterschiedlicher Mannschaftsstärke und nicht immer mit allen Booten (einmal gar nur mit einem Vierer) unternahmen wir Touren nach Burano, Murano, zur Schleuse von Portegrandi an Torcello vorbei und auf der Hinstrecke zur Schleuse nach Cavallino, die den Kanal vom Fluss Sile trennt. Sie hat jeweils 2 Schleusentore, die je nach Wasserstand in beide Richtungen wirken können. Keiner von uns hatte das je gesehen, aber sicherlich ist es nicht einzigartig? Auf der Fahrt einige Tage vorher nach Treporti triefen wir und durften in dem besonders vornehmen Lokal (Geheimtipp!) mit bester Küche uns und unsere nasse Kleidung ausbreiten. Diesmal war bestes Wetter, was zum draußen Verweilen und Speisen einlud. Ein ganz besonderes Erlebnis war auch die Besichtigung des Klosters auf der Mini-Insel San Francesco Deserto. Wir waren erst im 2. Anlauf erfolgreich (montags ist offenbar Ruhetag), aber man hätte etwas versäumt, wäre man nicht hineingekommen. Anschließend umruderten wir sie auch (ca. 1 km), auch das ist sehr lohnend. Bei guter Sicht sahen wir in diesen Tagen auch das beeindruckende Alpenpanorama mit seinen noch schneebedeckten Gipfeln. Hin und wieder waberte der Duft von Robinien und Holunder zu uns hinunter und blühende Tamarisken bildeten einen Hain und standen uns quasi Spalier. An den Schilfgürteln entlang fuhren wir wie in einer Voliere, ein Geschnatter und Gezwitscher ohne Ende. Auffällig waren insbesondere auch die unzähligen Silberreiher, von Möwen gar nicht zu reden. In einigen Abschnitten spürten wir auch die Tide, mal 'positiv', mal 'negativ'. Bei höherem Wasserstand konnten wir den Blick in die zahllosen Salzwiesen genießen, die bei einigen Zentimetern Differenz sich schon wieder ganz anders darstellten. Wir riskierten es auch hin und wieder bei entsprechenden Voraussetzungen - und vor allen Dingen, weil das Wissen darüber stets mit an Bord war - über Flachwassergebiete zu fahren, um die Wege entscheidend zu verkürzen. Dann war es manchmal wie 'Rudern im Honig' mit der obligatorischen Heckwelle, aber die durch Dalben gekennzeichnete Fahrrinne war dann so weit weg, dass sie kaum mehr auszumachen war und damit klar war, dass die Zeitersparnis trotz allem erheblich war. Manche der Dalben - oft in 3-er-Anordnung - werden nur noch vom Kernholz am Leben erhalten, so dass ein Dalben-Wiederaufforstungsprogramm dringend geraten erscheint. Auch dienten sie oft als 'Muschelbank'. Häufig stehen sie nur in einer Einzelreihe, durch die angeschlagene Nummer ist ausgewiesen, auf welcher Seite sich das Fahrwasser befindet. Teilweise befanden wir uns unmittelbar unter der Abflugroute vom unmittelbar an der Lagune gelegenen Flughafen. Es gab aber niemals Anlass, die Insassen um ihr Element und ihre Aussicht zu beneiden, denn was uns aus der Rollsitzperspektive geboten wurde, war einfach grandios und aus unserer Sicht nicht zu überbieten. Erwähnt werden sollte auch noch, dass einige natürlich mit der Fähre nach Venedig hinüberfuhren, um dort in 'Kultur' zu machen und auch kulinarisch ihren Horizont zu erweitern. Andere bevorzugten recht ausgedehnte Spaziergänge zum offenen Meer, vom Campingplatz nur ein Katzensprung entfernt, um auf Teilen des schier unendlich erscheinenden Sandstrand hin und zurück zu gehen. Auf dem Weg bekommt man auch einen Eindruck von den Baumaßnahmen zu Erhaltung von Venedig, die das regelmäßig auftretende Hochwasser verhindern sollen. Ein Jahrhundertprojekt, wie es scheint.

Zwei aus dem Team bedankten sich mittels einiger Weinflaschen, die voll wohl zu Hause nicht mehr angekommen sind, im Namen aller bei Werner und Renate für die Vorbereitung und Durchführung dieser unvergesslichen Tour, die vielleicht nur den einen Nachteil hat, dass sie kaum zu übertreffen sein wird. Alle hoffen nicht ganz unegoistisch, dass es auf anderen Gewässern unter dieser sehr kompetenten Leitung in ähnlicher Zusammensetzung mal wieder eine Fahrt geben wird.