25. Mai 2015 | Panorama | von Johannes Rudolph

Wann das Boot “läuft” – Analyse der Bootsbeschleunigung

Fast jeder Ruderer kennt dieses Gefühl: das Boot gleitet gleichmäßig durch das Wasser und fühlt sich trotz minimalem Kraftaufwand gleichzeitig richtig schnell an. Wir wollen uns in diesem Artikel diesem Phänomen etwas nähern und betrachten dafür die Bewegung des Bootes während des Ruderschlags. Wir werden sehen, wie die Interaktion zwischen Mannschaft und Boot Vortrieb erzeugt und wie wir mit einem für den Laien verständlichen mechanischen Modell erklären können, wie eine effiziente Rudertechnik diese Interaktion gestalten sollte. Der hier vorgestellte Ansatz auf Basis der Bootsbeschleunigung hilft Trainern und Sportlern eine effiziente Rudertechnik zu entwickeln und die physiologischen Kapazitäten der Mannschaft bestmöglich in Bootgeschwindigkeit umzusetzen. Schlussendlich werden wir auch ein Werkzeug betrachten, mit dessen Hilfe eine einfache Analyse der Bootsbeschleunigung im täglichen Training erfolgreich umgesetzt werden kann.

Zyklische Variation der Bootsgeschwindigkeit

Um uns diesem wohl für jeden ambitionierten Ruderer interessanten Thema zu nähren, wollen wir direkt in die Praxis einsteigen. Wie bewegt sich ein Boot eigentlich durch das Wasser?

In Abb. 1 sehen wir, dass die Geschwindigkeit eines Bootes über den Schlag keineswegs konstant ist, sondern erheblich variiert. Das ist natürlich keine Überraschung, kennen wir doch alle das vor- und zurück-stechen der Bugbälle, während die Boote im Wettkampf der Ziellinie entgegeneilen.

In dieser Geschwindigkeitsvariation liegt der Großteil einer Antwort auf die Frage nach einer effizienten Rudertechnik, welche die durchschnittliche Bootsgeschwindigkeit bei gleichbleibender Belastungsintensität erhöht. Die Renn-entscheidende Durchschnittsgeschwindigkeit für den Schlagzyklus folgt einer einfachen Regel: maximiert man die Länge der Phasen mit hoher Momentangeschwindigkeit und verkürzt die Phasen mit einer niedrigen Momentangeschwindigkeit, erhöht sich die Durchschnittsgeschwindigkeit. Dabei ist entscheidend, wie stark die Bootsgeschwindigkeit im Schlagverlauf verändert wird. Mehr Variation führt zu einer höheren mechanischen Arbeit die notwendig ist, um den unvermeidlichen Reibungswiderstand des Boots am Wasser zu überwinden. In Konsequenz sinkt bei gleichbleibender Leistung der Mannschaft die Durchschnittsgeschwindigkeit, bis die von der Mannschaft erbrachte Arbeit wieder gleich der Reibungsarbeit ist.

Die auf das Boot wirkenden Kräfte

Wo aber kommt diese Variation der Bootsbeschleunigung her? Nach den Newton'schen Gesetzen ist die Änderung der Geschwindigkeit eines Objekts immer das Resultat einer auf dieses einwirkenden Kraft. Die Veränderung der Geschwindigkeit (=Beschleunigung) ist dabei direkt proportional zur Höhe der Kraft (geteilt durch die Masse des Objekts, F=m*a). Wir müssen also zunächst einmal die auf das Boot einwirkenden Kräfte betrachten. Kräfte wirken immer auch in eine bestimmte Richtung und die daraus resultierende 3-dimensionale Bewegung des Bootes ist zwar hoch interessant, soll aber für unsere vereinfachte Betrachtung hier keine Rolle spielen. Wir konzentrieren uns nur auf die Komponente der wirkenden Kräfte welche in oder gegen die Fahrtrichtung des Bootes wirken.

Die wichtigsten Kräfte am Boot treten am Dollenstift, am Stemmbrett und an der Hülle in Form von Reibung auf. Die Gesamtkraft die schließlich am Boot wirkt und die Geschwindigkeitsveränderung bestimmt ist die Summe der drei genannten Kräfte, welche wir im Folgenden Bootskraft nennen wollen. Die Reibungskraft am Boot wirkt gegen die Fahrtrichtung und ist proportional zum Quadrat der Bootsgeschwindigkeit. Sie hängt maßgeblich von nicht zu verändernden Eigenschaften des Bootes ab. Was die Mannschaft hingegen beeinflussen kann, sind die am Stemmbrett und am Dollen Stift eingeleiteten Kräfte.

Die resultierende Bootskraft lässt sich mit einem mikro-mechanischen Beschleunigungssensor, der heute in jedem Smartphone verbaut wird, sehr einfach und genau erfassen. Von all den Aspekten welche wir über die Ruderbewegung und Leistung einer Mannschaft erfassen können, sollte die Bootbeschleunigung direkt an der Spitze unserer Wunschliste nach Durchschnittsgeschwindigkeit und Schlagzahl stehen. Im Gegensatz zur Messung der Geschwindigkeit wird die Bootsbeschleunigung von Umgebungsbedingungen wie Strömung oder Wind nur marginal beeinflusst. Dadurch eignet sie sich hervorragend zum Vergleich zwischen verschiedenen Messungen. Gleichzeitig erlauben die detaillierten Daten einen tiefen Einblick in die Bewegung des Bootes und wie diese mit dem Ziel einer Geschwindigkeitssteigerung durch effektive Gestaltung der Rudertechnik beeinflusst werden kann.

Das Aufwand/Nutzen Verhältnis beim Einsatz von Bootbeschleunigung als Instrument im Training ist möglicherweise das Beste von allen Aspekten, die wir erfassen können.

Tatsächlich ist die Erfassung der Bootsbeschleunigung mit einem System wie "Rowing in Motion", welches eine Smartphone App zur Messung und Darstellung nutzt, so einfach wie die Nutzung einer normalen Schlagzahluhr.

Die Phasen des Ruderschlags

Um zu sehen wo die Variation der Bootsgeschwindigkeit herrührt, gehen wir einmal durch die Phasen des Ruderschlags und betrachten die in unserem Modell wirkenden Kräfte sowie die daraus resultierende Bootsbeschleunigung. Das Diagramm in Abb. 2 beginnt in der vorderen Umkehr mit einer starken negativen Bootsbeschleunigung. Dies ist das Resultat der vom Ruderer mit den Beinen auf das Stemmbrett ausgeübten Kraft, welche gegen die Fahrtrichtung gerichtet ist. Gleichzeitig sind die Blätter noch nicht im Wasser, es kann also keine Vortriebskraft aufgebaut werden. Die Konsequenz: die Bootsbeschleunigung ist negativ, das Boot wird langsamer. Dies setzt sich fort, bis die Blätter im Wasser verankert sind und die entgegengesetzt wirkenden Kräfte an Stemmbrett und Dolle sich gegenseitig ausgleichen. An diesem Punkt ist die Bootsbeschleunigung 0, gleichzeitig hat das Boot die minimale Geschwindigkeit im Schlagverlauf.

Darauf folgt der Übergang in die Durchzugsphase mit positiver Beschleunigung des Bootes. Damit diese Beschleunigung in unserem vereinfachten mechanischen Modell stattfinden kann, muss die in Vortriebsrichtung wirkende Kraft am Dollenstift die Stemmbrettkraft um mehr als die am Boot wirkende Reibungskraft übersteigen. Die Mannschaft muss also in der Lage sein, die mit den Beinen erzeugte Stemmbrettkraft effektiv auf den Hebel und damit den Dollenstift übertragen zu können um eine unnötige Variation der Bootsgeschwindigkeit zu vermeiden.

Gegen Ende des Durchzugs fällt die Bootsbeschleunigung wieder ab auf einen Wert nahe 0. In Konsequenz wird hier die maximale Bootgeschwindigkeit im Schlagverlauf erreicht, zumindest bei den hier betrachteten niedrigen Schlagzahlen, bei welchen sich die während des Freilaufs die am Stemmbrett wirkenden Kräfte und die Reibungskraft am Boot nahezu aufheben. Oftmals tritt hier eine leicht negative Beschleunigung auf, die einen kleinen, gleichmäßigen Geschwindigkeitsverlust zur Folge hat.

Der "optimale" Schlag

Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Definition eines "optimalen" Ruderschlags schwierig und nicht eindeutig. Dennoch können wir einige gut fundierte Vorhersagen über eine gute Gestaltung der Rudertechnik machen, welche die Variation der Bootsgeschwindigkeit minimiert und gleichzeitig Phasen mit hoher Bootsgeschwindigkeit maximiert, wodurch letztlich die durchschnittliche Bootsgeschwindigkeit steigt.

Vordere Umkehr : Eine saubere Blattarbeit mit einem schnellen Verankern des Blatts im Wasser in Zusammenarbeit mit einer schnellen Umkehrbewegung verringert den in der vorderen Umkehr auftretenden Geschwindigkeitsverlust. Um diesen schnellstmöglich auszugleichen und damit gleichzeitig die Variation der Geschwindigkeit über den gesamten Schlag zu reduzieren, muss das Boot wieder beschleunigt werden. Dazu müssen die am Dollenstift wirkenden Kräfte schnell die entgegengesetzt wirkenden Kräfte am Stemmbrett übersteigen. Eine Kraft am Dollenstift kann sich jedoch nur aufbauen, wenn das Blatt sauber im Wasser eingesetzt ist. Deshalb sollte in dieser Phase besonders darauf geachtet werden das Blatt schnell und im richtigen Moment ("V-Splash") ins Wasser zu führen.

Durchzug: Eine effektive Sequenzierung von Bein-, Oberkörper- und Arm-Einsatz ermöglicht eine vorteilhafte Entwicklung von Vortriebskraft möglichst frühzeitig im Durchzug. Eine suboptimale Koordination der Körpersegmente resultiert in einem verspäteten Anstieg der Bootsgeschwindigkeit, wie er in Abb. 3 zu sehen ist. Dies erhöht im Schlagverlauf gesehen die Varianz der Geschwindigkeit und ist deshalb weniger effizient. Im Durchzug kann oft auch ein vorgelagerter "Buckel" mit positiver Beschleunigung direkt nach dem Setzen und vor der dann folgenden Haupt-Beschleunigungsphase beobachtet werden. Ein Abfall der Bootsbeschleunigung im Tal des Buckels auf Werte nahe 0 ist häufig ein Indikator für Probleme in der Koordination zwischen Arm und Beinarbeit (Kopplung), schlechte Blattarbeit oder ungleichmäßiger Belastung von Innenarm/Außenarm bzw. Innenbein und Außenbein beim Riemenrudern. Gegen Ende des Durchzugs können wir einen Abfall der Bootsbeschleunigung beobachten. Ein "herauswischen" der Blätter im Endzug würde sich hier in einem verfrühten Abfall der Beschleunigung zeigen.

Freilauf: Bei Schlagzahlen im Grundlagen-Ausdauerbereich um die 20 Schläge/min umfasst die Freilaufphase nahezu 2/3 der gesamten Schlagdauer. Um diese optimal zu gestalten ist es notwendig, unnötige Fluktuationen der Bootsgeschwindigkeit in dieser Phase zu vermeiden. Solche werden jedoch häufig durch ein zu kräftiges ziehen der Mannschaft am Stemmbrett zu Beginn der Freilaufphase eingeleitet. Obwohl wir dadurch temporär einen Anstieg der Bootsgeschwindigkeit beobachten können, ändert sich an der Gesamtgeschwindigkeit des Systems bestehend aus Mannschaft und Boot nichts. Die vielfach schwerere Mannschaft steht während der Freilaufphase lediglich mit dem leichteren Boot im Impulsaustausch. Gleichzeitig führt die Erhöhung der Bootsgeschwindigkeit zu Beginn der Freilaufphase jedoch zu einer (im Quadrat!) höheren Reibungskraft am Boot und das System verliert schneller an Bewegungsenergie. Eine gute Rudertechnik minimiert unnötige Variationen der Bootsgeschwindigkeit in der Freilaufphase durch ein ausbalancieren der Kräfte am Stemmbrett und der Reibungskraft am Boot, so dass sich das Boot mit einer nahezu konstanten, hohen Geschwindigkeit bewegt.

Der nun folgende Übergang in die vordere Umkehr ist eine sehr kritische Phase im Ruderschlag. Hier zeigen sich in der Praxis deutliche Unterschiede zwischen Mannschaften auf unterschiedlichen Leistungsniveaus. Verfrühte Kraftausübung auf das Stemmbrett gegen die Fahrtrichtung führt zu einem vorzeitigen Verlust von Bootsgeschwindigkeit. Erkenntnisse aus vielen mit dem "Rowing in Motion" System durchgeführten Messungen zeigen, dass ein späteres aber dafür deutlicheres Ausüben von Kraft auf das Stemmbrett in Zusammenarbeit mit einer sauberen Blattarbeit zu deutlich verringerter Variation der Bootsgeschwindigkeit und damit einer energetisch optimaleren Gestaltung des Ruderschlags führt (s. Abb. 3).

Bootsbeschleunigung im Training nutzen

Die Bootbsbeschleunigung kann im täglichen Training mit Systemen wie dem angesprochenen "Rowing in Motion" System einfach gemessen werden. Dazu wird ein mit einer App ausgestattetes Smartphone an das Boot montiert, welches mittels der eingebauten Inertialsensorik die Bootsbeschleunigung sowie zusätzlich weitere Parameter wie Geschwindigkeit, Schlagzahl und Distanz erfasst. Die erfassten Daten können live auf dem Display für die Mannschaft sowie für den Trainer per Telemetrie (WiFi) dargestellt werden. Weil Trainer und Athleten somit direktes Feedback erhalten, können die Auswirkungen von Änderungen an der Rudertechnik sofort während des Trainings evaluiert werden. Dadurch unterstützt das System Athleten bei der Umsetzung von Veränderungen im Bewegungsablauf und der Ausbildung einer effizienten Rudertechnik. Trainer können dies noch weiter durch die sehr einfach gestaltete Aufnahme einer automatisch synchronisierten Videoanalyse begleiten, welche Messdaten und Videoaufnahme des Bewegungsablaufs miteinander verbindet. Weitere Analysewerkzeuge zu Analyse und Vergleich typischer Beschleunigungsmuster sowie zur Trainingssteuerung runden das System ab und können Trainer und Athleten auf dem Weg zu einer effizienteren, schnelleren Rudertechnik unterstützen.

Über den Autor:

Johannes Rudolph rudert in Frankfurt und hat das Rowing in Motion System entwickelt, welches von mehreren Nationalmannschaften aber auch Vereinstrainern und ambitionierten Masters eingesetzt.