Durch Sport aktiv und fit im Alter – Vortrag von Dr. Charles Eugster
Veranstaltungsreihe der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin und der vh Ulm
Mit 95 Jahren kommt Dr. Eugster zu uns und ist - in seiner Altersklasse - 3-facher Weltrekordhalter im 60, 100 und 200m Sprint. Mit 63 Jahren begann er auch das Rudern und nahm gleich an Master-Wettkämpfen teil.
Was macht Dr. Eugster so fit, das sollte auch der Vortrag im Rahmen der Vortrags- und Filmreihe zum "Sport bewegt die Stadt" klären. Die Volkshochschule Ulm mit Frau Dr. Dagmar Engels, Leiterin der Volkshochschule und die Sektion Sportmedizin unter Regie von Prof. Jürgen M. Steinacker eröffneten damit diese Veranstaltungsreihe. In der anschließenden Diskussion zu Gast sind Iris Mann, die Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Soziales, sowie Alina Reh, die erfolgreiche Mittel- und Langstreckenläuferin und U20-Europameisterin.
Der Zahnmediziner, Ruderer und Sprintläufer Dr. Eugster berichtet in seinem Vortrag tatsächlich über harte Fakten, die verwundern. Unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse reichen meist nicht über die Altersgruppe der 75-Jährigen hinaus. Man verliere nicht nur Jahr für Jahr an Schnellkraft, sondern beinahe die Hälfte der über 65-Jährigen hätte bereits chronische Krankheiten. Eugster betont, das ganze Konzept des Alterns müsse neu überdacht werden. Nicht nur der Rentner schade sich selbst mit zunehmender Bewegungsarmut und falscher Ernährung, sondern auch das Fehlen zielgerichteter Arbeit führe zu sinkender geistiger und körperlicher Beanspruchung. Die "Pensionierung ist nicht nur ein finanzielles Desaster, sondern eine gesundheitliche Katastrophe". Er möchte daher mit seinem Vortrag Bewegung und Sport im Alter in den Fokus rücken.
Wenig Bewegung oder immer dieselben Belastungen - hier wären Sportverletzungen vorprogrammiert. Er plädiert für abwechslungsreiche, vielfältige Bewegungsabläufe - das sogenannte Crosstraining, das Überbeanspruchungen vermeiden können soll. Man müsse aber gesundheitliche Probleme rechtzeitig erkennen. So habe der Weltruderverband FISA sportmedizinische Eingangsuntersuchungen mit EKG verpflichtend eingeführt. Bis zu 20% der Athleten in Sotschi waren verletzt oder krank, wobei diese Fälle zur Hälfte auf überbeanspruchte Athleten zurückzuführen waren.
Für Eugster beruht das auch auf der steigenden Infektanfälligkeit nach einem belastenden Wettkampf. Die Regenerationspausen sind im Alter genauso wichtig, aber die steigende Infektanfälligkeit wäre einer verminderten Immunantwort geschuldet, einer Immunosenseszenz also. Dies liegt vor allem an der Bewegungsarmut: Ordentliche Adrenalinschübe, wie sie in Wettkämpfen vorkommen, könnten da abhelfen. Eugster zieht den Vergleich zu den Jägern und Sammlern, die wir im Grunde aufgrund der nur sehr langsam voranschreitenden Evolution immer noch seien. Wir hätten aber heute deutlich mehr viszerales Fettgewebe im Körper, das nicht nur Übergewicht signalisiert, sondern mit dauerhaften inneren Entzündungen (Inflammation) und wohl auch einer Vielzahl an chronischen Erkrankungen im Zusammenhang gebracht werden muss.
Daraus zieht er den Schluss, die Bewegungsarmut ist dramatisch und ausschließliches Ausdauertraining sei ungenügend. Um Muskelschwäche und Muskelschwund zu entgegnen, müsse die Kraft und Muskelhypertrophie trainiert werden. Körperliche Belastung bis zur Erschöpfung wäre essentiell, um kardiovaskulären Risiken zu entgegnen. Die Muskelbildung im Alter müsse außerdem zusätzlich unterstützt werden, indem der abnehmenden Proteinsynthese entgegnet wird. Das kann mit Molke oder anderen proteinreichen Nahrungsmitteln geschehen und Vitamin D, Vitamin E und Omega-3-Fettsäuren seien angeraten, um die Muskelbildung zu unterstützen.
Aber was sollten ältere Sportler denn trainieren? Wissenschaftliche Beweise für geeignete Sportarten gebe es laut Dr. Eugster nur sehr wenige. Freizeitfußball und Schnelllauf würden die Fitness steigern und nachweislich kardiovaskuläre Risiken senken. Bei Radfahren und Schwimmen seien die Befunde noch uneindeutig. Eugster empfiehlt daher HIT (Hochintensives Intervalltraining), Schnelllaufen und entsprechendes Krafttraining. Dabei sind Kurzstrecken besonders geeignet. Die Vorteile des Sprintens liegen dabei im Training von Muskelfasertypen, die im Alter schnell verfallen. 70-jährige Sprinter, die HIT anwenden, haben hier wieder so viele Muskelfasern des Typs IIAB und IIB, wie ein 40-Jähriger.
Eugster resümiert, dass Crosstraining, mit abwechslungsreichen, vielseitigen Bewegungen das Verletzungsrisiko senken kann und Infektionsrisiken senken würde. Auch wenn die wissenschaftlichen Befunde rar gesät seien, zeigen alle wissenschaftlichen Befunde die Notwendigkeit, im Alter Muskeln zu bilden - auch mit proteinreicher Ernährung - und besonders wettkampforientiert und unter Auslastung zu trainieren. So ströme die richtige Dosis Adrenalin durch den Körper und der Geist wird mit neuen und vielfältigen Anforderungen wieder gefordert.
Die Diskussion startet auf dem Podium mit der Frage von Dr. Engels an Bürgermeisterin Mann, was die Stadt für ältere Menschen tut. Die aktuelle Sportentwicklungsdebatte der Stadt, mit der Beteiligung von Vereinen und Sportverbänden würde aber die Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme bieten. Aus dem demografischen Wandel folge der Ausbau der Angebote auch für Bürger jenseits der 60 oder 70. Obwohl noch wenige Befunde vorliegen, arbeitet die Stadt zum Beispiel auch mit dem Bethesda-Klinikum und der dortigen Sitless-Studie zusammen, um Alterungsprozesse bzw. deren Folgen aufzuhalten und für die Kommune lebenswertes, aktives Altern zu ermöglichen.
Alina Reh hat sich mit ihren 18 Jahren mit dem Altern "noch gar nicht befasst". Leistung und Erfolg brauche Anstrengung, da gebe es wohl keinen Unterschied zwischen Jugend und Alter: "von nichts kommt nichts", wobei sie hinzufügt, dass es wichtig sei sich zu bewegen, "glücklich zu sein und Sport kann dabei helfen".
Charles Eugster wird nach seinem Rezept gefragt, wie er es schaffe, so richtig ins Schwitzen zu kommen: "Im Alter ist es schwierig Verbesserungen zu erreichen". Es sei nötig sich Ziele zu setzen, etwas in bestimmter Zeit zu erreichen. Wenn ein Ziel erreicht sei, ist es aber "außerordentlich wichtig, sich zu belohnen". Um ältere Menschen zu bewegen, seien auch "Vorbilder nötig". Der Sprinter kuriere zu seinem großen Bedauern einen aktuellen Muskelriss aus und muss noch einen Monat pausieren. Sein Gegner war 99 Jahre alt und konnte ihn trotz der Verletzung dennoch nicht überholen, während er sich ins Ziel schleppte.
Eugster betont weiter, zuerst sollte man Kraft aufbauen und damit die Muskelbildung unterstützen. Krafttraining und Hypertrophietraining seien wichtig. Training beeinflusse den ganzen Körper, Muskeln produzieren wichtige Botenstoffe für den ganzen Körper. Ein weiterer Punkt sei es, diese Kenntnisse zu verbreiten. Wer älter ist als 70 Jahre, sollte "nicht in normalen Fitnesscentern" trainieren, sondern die Älteren "sollten unter sich sein" - inklusive "betagter Trainer". Erst wenn die Voraussetzungen durch Aufbau von Muskeln geschaffen sind, dann erst kann man spezifisch auf bestimmte Sportarten hin trainieren.
Sein eigentliches Ziel ist es aber, "einen gesellschaftlichen Beitrag" zu leisten. Er möchte seine Enkel nicht in Armut leben lassen, weil das Pensions- und Gesundheitssystem völlig überlastet sind. Indem er die Aufmerksamkeit für diese finanzielle und soziale Katastrophe steigert, möchte er diese Systeme entlasten. Er plädiert dafür, dass "gesunde Köpfe, nur mit gesundem Körper möglich" sind.
Ulm fördere die Leistungen bereits in der Jugend, eine Einstellung zur Leistung zu erlernen. Bürgermeisterin Mann erklärt, dass neben der gut ausgeprägten Vereinslandschaft auch die Austragung von Wettkämpfen für die entsprechende Vorbildwirkung sorgen kann. Die "Lust an Leistung" zu fördern, aber auch überhaupt sportlich aktiv zu sein, ist "kommunal relevant und wichtig". Präventionsprojekte wie 'Komm mit in das Gesunde Boot' von Prof. Steinacker erreichen Kinder und Eltern gleichermaßen und fördern ebenso wichtige Bereiche wie soziale Kontakte und Ernährungsgewohnheiten.
Eugster betont, dass der Energieverbrauch ab dem Renteneintritt so stark sinkt, dass die häufig geforderten "ein bis zwei Stunden Spazierengehen am Tag ungenügend" sind. Studien der Deutschen Rentenversicherung zeigten, dass der Todeszeitpunkt vor allem bei Männern vom Zeitpunkt des Renteneintritt abhängt, "wer früher berentet wird, stirbt wohl früher, unabhängig vom Gesundheitsstatus", so Steinacker.
Ob das spätere Renteneintritte bedeute, beantwortet Bürgermeisterin Mann für die finanziell klammen Kassen mit einem Ja, doch für die gesundheitlichen Faktoren hält sie persönlich ein flexibleres, "atmendes System" für geeigneter, die Menschen positiv zu unterstützen - "mit Blick auf deren Erfahrung".
Dr. Engels spitzt Eugsters These zu, indem seine Erkenntnisse doch eigentlich nur für den männlichen, weißen Europäer aus der Mittelschicht gelten dürften. Eugster meint, wenn man nur die Statistik heranzieht, sei "nicht rauchen und zu Wohlstand kommen" wesentlich um gesund zu sein. "Ständig Neues lernen", so auch eine neue Sportart, das "fördert das Gehirn". Dabei ist es ein "Vollzeitjob" von älteren Damen und Ehefrauen, für ihre Männer sorgen zu müssen. Diese Frauen "leben länger und gesünder, weil sie die Arbeit haben".
Auf die Frage im Publikum, wovon denn seine Leistungsfähigkeit abhängt, antwortet Eugster: "Ein Drittel Verhalten, Leibesübungen, Disziplin und Essen, ein Drittel die Gene und ein Drittel Glück". Der genetische Aspekt, erläutert er, wäre zum Beispiel bei der Muskelhypertrophie relevant. Es gibt ein Fünftel sogenannter "Non-Responders". Bei diesen sprechen die Muskeln auf das bestimmte Hypertrophie-Training nicht an. Aber weit über 50 genetische Faktoren würden außerdem diese Prozesse beeinflussen. Steinacker fügt hinzu, dass dies auch in der Medizin gelte. Nicht alle Patienten könnten gleich behandelt werden oder sprechen auf alle Medikamente gleich gut an. Deshalb sei eine individuelle Trainingsverschreibung so wichtig.
Die beiden extremen Sportler reizen das Publikum zu der Frage, was denn Dr. Charles Eugsters Programm an einem Tag ist. Wichtig wäre es dabei "Muskeln mit neuen Anforderungen überraschen" zu können: "ein Trainingsprogramm muss ständig geändert werden". Das sind bei Eugster wohl knapp vier bis fünf Wochen. Wer "einen Beachbody" möchte, hat aber andere Ziele als ein Schnelllaufwettkämpfer. Ein Tag Regenerationspause sei dabei essentiell, eine kürzere Regeneration mit Ausdauertraining macht aber eine Woche mit 6 Tagen Training möglich, Hypertrophie erlaubt nur drei Trainingseinheiten pro Woche - was "schwierig zu kombinieren ist".
Beim Hypertrophietraining ist es wichtig die "Muskeln bis zur Erschöpfung" zu fördern. Er trainiere aktuell im "Pyramidensystem": bei dreimaliger Wiederholung von Belastung bis zur Erschöpfung und anschließender Reduktion. Eugster weist auf den großen Unterschied hin, was "konzentrische" und "exzentrische" Bewegungen angeht. Ein ausdauerorientiertes Training baut verstärkt auf konzentrische Bewegungen. Exzentrische Bewegungen führen schnell in die Anspannung und langsam in die Entlastung. Ein neurologischer Effekt zur Förderung der Bewegungen sei die Folge.
Ein Zuhörer fragt fasziniert von Eugsters fittem Geist an diesem Abend, ob denn diese geistige Regheit nicht doch das Allerwichtigste sei. Eugster stimmt zu: "Neue Sportarten zu erlernen, Ziele und Ehrgeiz, haben eine positive Wirkung auf das Gehirn". Die im Alter gehäuften Fälle von Alzheimer, Demenz und Depression lassen sich vielleicht vermeiden mit einer durch Sport gesteigerten, "kognitiven Wahrnehmung".
Steinacker fügt hinzu, dass durch Sport die Symptome von Alzheimer tatsächlich bis zu acht Jahre verzögert werden können. Dagmar Engels ergänzt, dass die vielfach betonten Möglichkeiten von Senioren auch durch eine "kleine Rente finanziert" werden können sollten.
Steinackers Frage nach Eugsters pinken Socken, rührt von dessen Mitgliedschaft im Leander Ruderclub in Henley, England her. Nur die Mitglieder des wohl ältesten Ruderclubs der Welt dürfen die rosa Socken, Krawatten und auch besondere Jacketts tragen.
In der Schlussrunde wünscht Prof. Steinacker Alina Reh für ihr wichtiges Ziel der U20-WM in Polen maximale Erfolge. Bürgermeisterin Mann sieht ihr wichtigstes Ziel für Kultur, Soziales und Sport in gestärktem Zusammenhalt in all diesen Bereichen und im Angebot lebenswerter Perspektiven. Dr. Engels ist "absorbiert vom 70. Geburtstag" der Volkshochschule Ulm und Dr. Eugster betont nochmals, wie wichtig es für ältere Menschen wäre, sich zum Beispiel mit Sportarten wie dem Tanzen, "gegenseitig im Arm halten, sich schön machen" zu können und am besten "in Sportwettkämpfen" auch das Tanzen auszuüben.