02. März 2017 | von Thomas Kosinski, rudersport

DRV-Vorsitzender Siegfried Kaidel über den Erhalt der Ruderreviere und die Leistungssportreform

Siegfried Kaidel spricht über das Leichtgewichtsrudern, die neue Leistungssportreform und den Erhalt der Ruderreviere.

Interview mit dem DRV-Vorsitzenden Siegfried Kaidel in der aktuellen Ausgabe von rudersport, dem offiziellen DRV-Verbandsmagazin

Der Erhalt der Ruderreviere, die neuen olympischen Bootsklassen und die Reform des Leistungssports sind drei große Themen, die der Deutsche Ruderverband 2017 vor der Brust hat. DRV-Präsident Siegfried Kaidel bezieht im Gespräch mit rudersport-Chefredakteur Thomas Kosinski dazu Position und wünscht sich selbst mehr Zeit fürs Rudern.

Herr Kaidel, wie oft in der Woche sitzt der Präsident des Deutschen Ruderverbandes im Ruderboot?
Wenn es gut geht: einmal. Ich versuche bei uns in Schweinfurt mittwochs beim Training im Achter auf dem Main teilzunehmen. Hinterher sitzen wir gern noch zusammen, das macht für mich unseren Rudersport aus. Doch am Wochenende klappt leider gar nichts mehr.

Wer oder was hält sie ab? Die DRV-Verbandsarbeit?
Ich nehme sehr viele Termine wahr für den Verband. Außerdem bin ich Sprecher der Spitzenverbände. Trotzdem versuche ich, mir den Mittwoch freizuhalten, aber das ist natürlich nicht immer möglich. Der zeitliche Aufwand ist hoch und es gibt keinen Tag in der Woche, an dem nicht einige Stunden Verbandsarbeit nötig sind. Seit ich nicht mehr als Personalleiter berufstätig bin, fühlt es sich beinahe wie ein Fulltimejob an.

Mit der Leistungssportreform hat der Verband auch ein Thema vor der Brust, das viel Arbeit und Abstimmung erfordert. Wie ist der momentane Stand?
Die Reform vollzieht sich ja auf zwei Ebenen: Wir haben die generelle Leistungssportreform im deutschen Sport und die sich daraus ergebene Sportkonzeption im Rudern. Als DRV-Präsident und als Sprecher der Spitzenverbände bin ich auf beiden Ebenen beteiligt und kann die Reform begleiten. Die Sportverbände haben die Leistungssportreform recht kritisch begleitet und auch ich habe die Position des DRV beim DOSB eingebracht. Die Leistungssportreform ist im Dezember auf der Mitgliederversammlung des DOSB verabschiedet worden – wohlwissend, dass noch einige Punkte angepasst werden müssen. Dies gilt besonders für die finanzielle Ausstattung der Verbände und die Organisation und Ausstattung der Bundesstützpunkte. Die Spitzenverbände haben darauf gedrängt, dass hier noch Anpassungen möglich sind, bevor die Reform 2019 in Kraft tritt. Als DRV werden wir im April die beiden ersten Gespräche mit dem DOSB haben.

Über welche Punkte werden Sie mit dem Deutschen Olympischen Sportbund sprechen?
Wir werden erklären müssen, wie wir uns als Ruderverband mit seiner vereinsbezogenen Struktur aufstellen wollen, um möglichst viele sportliche Erfolge erzielen zu können. Dafür werden wir ein umfangreiches Gesamtkonzept präsentieren, das viele Einzelmaßnahmen umfasst vom Trainingslager bis hin zu Wettkampfschwerpunkten. Im nächsten Schritt werden dann alle eingebunden, die mit der Förderung zu tun haben wie die Bundesländer, Landessportbünde, Sporthilfe. Und danach wollen wir den Haken setzen und sagen können: So kann es funktionieren, so können wir fördern.

Soweit das Verfahren. Welche Inhalte sind damit verbunden? Was wird sich verändern? Die Formel, nur noch nach Medaillenchance zu fördern, sorgt für Kritik.
Ja, es geht um Medaillen. Es geht aber auch um gute Platzierungen. Es sollen die gefördert werden, die Erfolge erreichen können. Ein achter Platz ist da ein guter Erfolg. Strittiger Punkt war ja die Potenzialanalyse, die jeder Verband über sich ergehen lassen muss. Sie beinhaltet eine Reihe von Struktur- und Sportfragen, die durch eine wissenschaftliche Kommission bewertet wird und die festgelegt, welches Potential die einzelnen Disziplinen der Verbände haben.

Damit wären wir wieder bei den Medaillenchancen. Werden tatsächlich nur die Sportler und Bootsklassen gefördert, bei denen Medaillenchancen bestehen?
Es gibt drei Förderstufen: Basisförderung, Nachwuchsförderung und Elite-Förderung, die sämtlich auf einer Grundförderung basieren. Dies gibt ein wenig Flexibilität, weil es ja innerhalb der olympischen Bootsklassen noch zu Verschiebungen kommt. Im Sommer wird das internationale Olympische Komitee die Änderungen bekanntgeben. Sicher ist, dass das Verhältnis zwischen Männer- und Frauenklassen 50:50 betragen wird. Da wir zurzeit noch mehr Männerboote haben, wird es eine Verschiebung zugunsten des Frauenruderns geben. In der Diskussion sind zwei Varianten: Der Leichtgewichtsvierer der Männer ohne raus und der Vierer ohne der Frauen rein. Oder der schwere Männervierer ohne raus und der Leichtgewichtsvierer ohne der Frauen rein. Hier wird sich die Ruderfamilie für die Gespräche mit dem IOC positionieren.

Wie positioniert sich der Verband dazu?
Die Vorgabe eines gleichen Anteils an olympischen Männer- und Frauenklassen steht fest und wird von uns unterstützt! Wir Ruderer legen lediglich fest, wie wir diese Angleichung umsetzen wollen. Vom IOC wird allerdings deutlich signalisiert, dass man das Leichtgewichtsrudern nicht haben möchte. Warum nicht? Rudern ist die einzige Mannschaftsportart, die zwischen Gewichtsklassen unterscheidet. Üblich ist dies sonst nur in Einzeldisziplinen wie Boxen, Ringen oder Gewichtheben. Deutschland hat in den 90er Jahren dafür gekämpft, dass das Leichtgewichtsrudern olympisch wird und wir werden auch jetzt für den Erhalt des Leichtgewichtsruderns kämpfen. Inwieweit dies international durchsetzbar ist, darüber werden wir intensive Gespräche führen müssen.

 

Der DRV unterstützt die Vorgabe eines gleichen Anteils von olympischen Männer- und Frauenklassen.

Einen Schritt zurück: Wenn nur noch Bootsklassen gefördert werden mit Medaillenchance, erhalten wir in den anderen Bootsklassen niemals mehr Medaillen. Ist das dann nicht mehr ein Medaillensicherungsprogramm?

Es ist sicherlich so, dass der Bund sagt: Wir tun alles, damit wir Medaillen bekommen. Ich denke, jeder Sportler will erfolgreich sein. Es geht darum, die Athleten mit Potenzial zu finden, die wirklich in der Lage sind, vorne mitzumischen. Es geht nicht nur um Medaillen, sondern auch um die gute Platzierung. Das oberste Ziel ist – selbstverständlich – immer die Medaille. Aber es reicht natürlich nicht, ausschließlich Medaillenanwärter zu fördern. Nehmen wir das Beispiel des Achters. Dahinter wird ja eine große Anzahl von Ruderern benötigt, um erstens am Ende die besten acht im Achter zu haben und zweitens mit dem Vierer vielleicht auch noch eine Medaille zu erringen und drittens den Nachwuchs nach oben zu führen. Die Grundfrage lautet also, wie viele Sportler muss ich insgesamt fördern, um genügend Sportler zu haben, die eine Medaillenchance haben oder eine sehr gute Platzierung bringen können.

Sehr gute Platzierung heißt übersetzt?
Eine Topleistung ging in der bisherigen Rechnung immer bis Platz acht. Ich sage: Jeder kämpft darum, ins Finale, mindestens jedoch unter die ersten acht zu kommen. Aber das kann man vorher nicht eindeutig bestimmen. Ruderer sind keine Maschinen, sie sind Menschen, die im Wettkampf Topleistung bringen müssen, aber das funktioniert halt nicht immer auf Knopfdruck – und das müssen wir auch berücksichtigen. Das Ziel Medaillenchance ist also richtig, man muss es weit fassen.

Dafür sollen die Ruderer und Ruderinnen künftig in drei Bundesstützpunkten zusammengezogen werden. Damit sind nicht alle einverstanden.
Das ist ja keine neue Idee. Auch im Leistungssportkonzept bis 2016 gab es die zentrale Stützpunkte und Stützpunkte mit verschiedenen Schwerpunkten – der eine für den Olympiakader, der anderen zum Beispiel für den Nachwuchs. Neu ist, dass in den letzen 18 Monaten vor einem großen Wettkampf ein echtes gemeinsames Training möglich sein soll. Was die Standorte angeht, führen wir noch eine Diskussion und begründen, warum und was wir genau machen. Unsere Bundestrainer sind ständig international unterwegs und wissen, was in den anderen Ländern passiert und Erfolg bringen kann. Unsere Erkenntnis ist: Wenn du heute vorn mithalten willst, kommst du um ein konzentriertes gemeinsames Training nicht herum. Im Stützpunkt Dortmund läuft dies schon lange sehr gut. Viele Ruderer sind jedoch von ihrem Wohnort gependelt. Und jetzt kommt für uns der letzte Schritt: In den letzten 18 Monaten muss ein gemeinsames tägliches Training möglich sein. Deshalb sollen die Sportler in dieser Zeit auch vor Ort wohnen und leben.

Wenn gute Sportler regelmäßig miteinander trainieren, werden daraus bessere Sportler, das leuchtet ein. Hat der Verband auch das Umfeld im Blick, um den Sportlern anderthalb Jahre vor dem Wettkampf auch gute Lebensbedingungen zu bieten, vor allem für die berufliche Entwicklung?
Dortmund ist mit der Kooperation mit der Universität Bochum bereits sehr gut aufgestellt. Dort sind viele Studiengänge für die Ruderer möglich. Berlin und Hamburg könnten dies genauso und in den nächsten zwei Jahren sind wir gefordert, dies mit dem Bund, den Ländern, den Verbänden und unseren Vereinen anzugehen, um ein gutes Umfeld zu ermöglichen. Indem wir zum Beispiel sicherstellen, dass ein Student an diesen Stützpunkten auch vernünftig studieren kann.

Haben Sie keine Sorge, dass dem Verband Talente und vor allem etablierte Sportler verlorengehen, weil Sie einen Umzug als zu einschneidend empfinden und der beruflichen Perspektive den Vorzug geben. Ruderer verdienen schließlich kein Vermögen…
Die Entscheidung kann natürlich nur der Sportler selbst treffen. Wer das Ziel hat, bei den Olympischen Spielen vorn dabei zu sein, kann dies nur erreichen, wenn er sich in den letzten Monaten voll auf den Wettkampf konzentriert. Jeder Hochleistungssportler weiß, dass es anders nicht funktioniert. Deshalb gibt es nach jeder olympischen Periode auch eine Zäsur bei den Sportlern, die neu überlegen und sich gegebenenfalls mehr auf ihre berufliche Entwicklung konzentrieren. Das sind persönliche Entscheidungen zu bestimmten Phasen. Ich glaube nicht, dass die räumliche Konzentration auf diese Entscheidung Einfluss hat. Im Gegenteil, es gibt ja viele Sportler, die sagen, wir müssen viel enger und viel mehr zusammen trainieren. Außerdem: Schon jetzt sind die Sportler in den letzten zwölf Monaten permanent in Trainingslagern. In der Realität sind wir da schon viel dichter dran als manche glauben.

Die Ruder-Bundesliga starten in diesem Jahr in ihre neunte Saison. Sind Sie mit dem Format zufrieden? Trifft es den Nerv der Zeit?
Ich finde, Nils Budde, Arne Simann und Renko Schmidt haben damals eine tolle Idee angeschoben und eine attraktive Wettkampfform ins Leben gerufen, die wir als Verband damals gar nicht hätten stemmen können. Es ist großartig, wenn bei einem Wettkampf bis zu 40 Achter an den Start gehen. Nach Renko Schmidts Rücktritt haben wir mit Boris Orlowski jemanden gefunden, der die Veranstaltung übernommen hat und diese jetzt im zweiten Jahr gemeinsam mit dem Verband ausrichtet. Wir stehen voll dahinter und wollen den Schwung erhalten. Die Ruder-Bundesliga ist ein wichtiger Baustein in der deutschen Regattalandschaft. Es ist doch eine tolle Werbung für den Rudersport, wenn sich ehemalige Olympiasieger oder Weltmeister mit ihren Vereinskollegen ins Boot setzen. Das macht den Rudersport doch so stark!

Auf dem Rudertag in Essen wurde auch darüber diskutiert, neue Mitglieder zu gewinnen. Welche Wege wollen Sie da beschreiten?
Wir sind ein Verband mit Mitgliederzuwachs, nicht mit den großen Sprüngen, aber wir stehen besser da als manch anderer Sportverband. Es gibt sogar Vereine, die Aufnahmestopp haben, weil sie nicht über die Räumlichkeiten oder genügend Bootsmaterial verfügen. Es schlummert noch einiges Potenzial im Rudersport. Die Agenda 2024, die wir in Essen angestoßen haben und die sich mit solchen Zukunftsfragen beschäftigt, soll uns da erste Antworten liefern. Ende Februar wird es losgehen, wir werden mit den Verbänden und Vereinen vier Regionalkonferenzen abhalten wichtige Fragen behandeln wie: Wie finde ich genügend Ehrenamtliche für den Verein? Wie kann ich mir als Verein einen hauptamtlichen Trainer leisten? Wir wollen da in einen Prozess des gemeinsamen Nachdenkens kommen.

Ist der Ruderverein von heute noch der klassische Treffpunkt, der mehr bietet als nur Rudern? Oder sehen viele Mitglieder den Verein inzwischen nur noch als Dienstleister, man geht rudern und wieder nach Hause.
Das war der Trend der vergangenen Jahre. Ich beobachte seit geraumer Zeit wieder eine Art Rückbesinnung auf den Verein. In die Vereine kommen die Menschen sicherlich, um zu rudern, aber auch, weil sie sich dort aufgehoben fühlen, weil es dort gemütlich ist, weil man dort Freunde findet, ja, auch, weil einem dort geholfen wird. In der Summe ist das Vereinsleben ein Gemeinschaftswert, den man woanders nicht so schnell findet.

Aber gesichert ist auch der Trend, dass immer weniger Jugendliche in die Vereine kommen, sondern immer mehr erwachsene und berufstätige Späteinsteiger, die Rudern weniger als Leistungssport, sondern als Naturerlebnis und Freizeitspaß erleben wollen. Haben Sie diese Breitensportler im Blick? Dem Verband wird gern nachgesagt, dass er sich zu sehr um den Leistungssport kümmert, obwohl die Entwicklung gegenläufig ist.
Für die Breitensportler haben wir unsere finanzielle Unterstützung ausgeweitet. Wir fördern das jährliche Wanderrudertreffen und wir haben alle Wanderruderboote, die jahrelang nicht repariert wurden, mit zusätzlichen Finanzmitteln renoviert. Diese Barken und Kirchboote werden reichlich genutzt und wir haben da bewusst investiert. Natürlich kennen wir den Vorwurf, dass die Beiträge so hoch sind und zu viel Geld in den Leistungssport fließt. Aber das ist falsch. Neunzig Prozent der Finanzmittel für den Leistungssport sind staatlich und werden vom Bundesinnenministerium geleistet.

Den Wanderruderern ist der Schutz ihrer Ruderreviere wichtig. Die meisten Ruderreviere sind nach der Neuordnung der Wasserwege nur noch „sonstige Wasserwege“, die in der Finanzierungsskala nach hinten gerutscht sind. Wie stellt sich der DRV dazu?
Der DRV ist seit Jahren in dem Forum Wassersport des DOSB, in dem sich alle Verbände der Wassersporttreibenden zusammengeschlossen haben, also all die, die sich sonst auf dem Wasser nicht allzu gern begegnen. Doch in dieser Allianz herrscht Einigkeit, dass wir für den Erhalt unserer Reviere gemeinsam kämpfen müssen. Um es klar zu sagen: Die Erhaltung der Ruderreviere ist für uns existenziell und Grundlage unseres Sports. Wenn wir die Gewässer nicht freihalten, wandeln sie sich zu Biotopen, die wir Ruderer nicht mehr nutzen können.

In der neuen Gewässerverordnung zählt nur die Tonnage an Gütertransporten, die über die Wasserstraßen abgewickelt werden…
…aber die Erkenntnis, dass durch den Sport der Tourismus gefördert wird, beginnt sich allmählich durchzusetzen. Es läuft gerade eine Erhebung der Sporthochschule Köln zu diesem Thema, zu deren Teilnahme ich alle ausdrücklich auffordern möchte. Wir Ruderer sind sehr gut organisiert und können über die Fahrtenbücher belegen, wer wo wann auf welchem Gewässer unterwegs war. Diese Zahlen belegen einen erheblichen Anteil der Ruderer am Tourismus, was von der Politik allmählich begriffen wird.

Und ist da auch eine Verbesserung in Sicht, die die Reviere besser schützt?
Momentan sind wir noch in der Phase, dass Bewegung in die Sache gekommen ist. Mit welchen Folgen, wissen wir noch nicht. Als DRV haben wir allerdings ein klares Ziel: Wir möchten erreichen, das jeder Ruderverein seinen Sport weiterhin ausüben kann.

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