16. März 2018 | Nationalmannschaft | von Judith Garbe

AthleteMonitoring – Regenerationsprozess im Fokus

Einige Leistungsruderer am OSP Niedersachsen nutzen das AthleteMonitoring bereits. Fotos:LSB und Micha Neugebauer
Rainer Knöller beaufsichtigt das Pilotprojekt am OSP Niedersachsen.
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Prof. Dr. Rainer Knöller, Trainingswissenschaftler am Olympiastützpunkt Niedersachsen in Hannover, leitet seit 2014 das Pilotprojekt AthleteMonitoring. Neben olympischen Wasserballern, Tennisspielern und neuerdings in 2018 auch Leichtathleten arbeitet Knöller seit einem Jahr mit Spitzensportlern aus dem Rudersport zusammen.

„Das AthleteMonitoring ist ein Verfahren, mit dem man orts- und zeitunabhängig in Teilen miteinander kommunizieren kann“, erklärt Knöller. „Wir nutzen es in einem ersten Schritt als eine Rückkopplung für die Sportler, die den individuellen Erholungs- und Regenerationszustand widerspiegelt, also die Anpassung an das Training bzw. die gezielte Schwächung durch Training.“ Nachdem man sich Jahrzehnte auf die Gestaltung der Belastung fokussiert hat, und mehr als zwei- bis drei Trainingseinheiten pro Tag nicht gehen, steht nun der Erholungsprozess im Fokus. Im Rahmen der Regeneration versucht der Organismus, sich an die absolvierte Belastung anzupassen und damit besser für diese Art von Herausforderungen gerüstet zu sein.

Tägliche Beantwortung von Fragen in App
Mittlerweile ist bereits bekannt, dass Sportler sehr individuell auf identische Reize reagieren können, selbst wenn die Athleten gleich leistungsstark sind. „Vier gleich starke Leichtgewichtsruderer können und werden unterschiedlich auf ein Training reagieren. Der eine kann ein bisschen mehr Umfang vertragen, der andere ein bisschen mehr Intensität, ein Dritter ist insgesamt vorsichtiger, aber genauso gut. Dem Einen macht es nichts aus, wenn es kalt ist, der Zweite wiederum erkältet sich leicht.“ Dank des vom kanadischen Sportinformatiker Francois Gazzano entwickelten onlinebasierten Datenverwaltungssystems lassen sich genau solche individuellen Befindlichkeiten leicht herausfinden. Der Sportler benötigt dafür nur ein Smartphone mit einer vorinstallierten App. „Die Sportler sind sozusagen die Endfäden dieses Spinnennetzes. Als Administrator schicke ich ihnen eine Einladung, danach können sie sich selbst einloggen. Fortan ploppen jeden Morgen fünf geschlossene Fragen auf ihrem Handy auf, die sie über eine 7-Punkte-Skala beantworten. Die Ergebnisse werden im Anschluss direkt auf das Handy des Trainers geschickt.“ Die Messung der relativen Ruheherzfrequenz wird mit Hilfe eines Fingermessgerätes aus der Rettungsmedizin durchgeführt und muss noch vor dem morgendlichen Aufstehen erfolgen. Dies ist nur die Sportlerrückkopplung im System, das komplett die ganze Administration und Trainingsplanung incl. Verletzungsdaten und online-Chat abbilden kann.

Kann Krankheitstage reduzieren
Warum es für den Rudersport vielleicht noch wichtiger ist als für andere Sportarten, erklärt Knöller wie folgt: „Insbesondere im Rudern ist es wichtig, dass die Athleten mit möglichst wenigen Krankheitstagen über den Winter kommen. Wir sprechen von dem „Open-Window-Phänomen“, wenn durch Training das Immunsystem geschwächt ist und man sich leichter erkälten kann. Wenn Sportler also auch volle Pulle trainieren, obwohl sie sich nicht gut fühlen und dann krank werden, haben sie im schlimmsten Fall acht oder zehn Tage verloren, was einen veritablen Leistungsrückgang zur Folge hat.“ Mit den täglichen Antworten lässt sich dieses Risiko mindern. „Stellt der Trainer fest, dass der Ruhepuls deutlich höher ist als sonst, ist das oftmals ein Zeichen, dass eine Krankheit im Anflug ist. Das bedeutet nicht automatisch, dass nicht trainiert werden darf, aber mit Hilfe dieser Information kann man genauer hinschauen und beim Sportler nachfragen.“

Schlaf ist wichtig
Doch nicht nur der Ruhepuls gibt Informationen über die Erholung, auch die subjektive Befindlichkeit der Athleten ist wichtig. „Die Sportler selbst können am besten zurückspiegeln, wie sie sich fühlen. Das muss natürlich geschult werden, aber mit ein bisschen Übung kann man schnell verlässliche Aussagen treffen“, so Knöller. „Wenn man sein Befinden auf einer Skala von 0 bis 20 einordnet, dann wäre 13 eine normale Trainingsbelastung. Fühlt sich der Sportler aber eher 16, dann weiß ich, er fühlt sich deutlich mehr belastet als der Schnitt ist.“ Der Trainer kann dann abgleichen, ob dies gewollt war oder ob diese Rückkopplung überraschend und ungewöhnlich intensiv ist. Eine Frage zur muskulären Ermüdung kann weiteren Aufschluss geben. Zusätzlich ist die Frage nach dem Schlaf wichtig, denn Regeneration passiert nachts. Daher macht es einen großen Unterschied, ob man fünf oder acht Stunden schläft und darüber hinaus ob man gut oder schlecht schläft. Abschließend muss der Athlet noch eine Frage zum Stressstatus beantworten. „Diese Frage zielt indirekt auf dessen soziales Leben, also auf Partnerschaft, Familie und Studium/Beruf ab. Wenn ein Mensch gestresst ist, gehen die Stresshormone hoch und die Ansprechbarkeit für das Training wird verringert bzw. die Regenerationsfähigkeit ist deutlich schlechter“, weiß der Trainingswissenschaftler.

Mit nur wenig Aufwand – der gesamte Prozess dauert ca. eine Minute – können also hilfreiche Rückschlüsse auf und für das Training geschlossen werden. Der Trainer kann mit Hilfe der Antworten das Training auf die Befindlichkeiten des jeweiligen Athleten anpassen und so das bestmögliche Ergebnis erzielen. Dies ermöglicht die immer wieder betonte und dringend gebotene Individualisierung im Längsschnitt des Trainings.

„Innovative Ressource zur Leistungssteigerung“
Rudertrainer Thorsten Zimmer ist dankbar für das Tool. „Das Monitoring ist für mich als Trainer eine innovative Ressource zur Leistungssteigerung. Die Vernetzung in Echtzeit hilft uns vor allem in Phasen, in denen die Athleten viel unterwegs sind und Heim- und Verbandstraining optimal abgestimmt werden müssen. Selbst wenn die Sportler woanders trainieren, ermöglicht diese Art zu arbeiten mit den täglichen Athletendaten einen Überblick, der hilft Überlastungen zu verhindern und Risiken wie Krankheiten und Verletzungen zu minimieren. Vor allem die für uns Ruderer problematischen Infekte in der Winterzeit und während intensiver Belastungsphasen sind so deutlich geringer ausgefallen. In einem nächsten Schritt könnten in so einem System die gesammelten Daten dann für die konkrete Trainingsplanung eines Stützpunktes oder gar Verbandes genutzt werden. “

Auch die Athleten sind sehr zufrieden. „Das Feedback ist absolut positiv, weil der Aufwand sehr gering ist und die Athleten dadurch auch etwas über sich selbst lernen“, freut sich Knöller.

Hilft den Körper besser einzuschätzen
„Ich mache das jetzt seit einem Jahr und es ist wirklich super easy. Die Beantwortung der Fragen dauert keine Minute“, so Frauke Hundeling, Europameisterin im Doppelvierer. „Mir hat es total geholfen, mal in meinen Körper reinzuhören und darauf zu achten, mich richtig zu regenerieren. Zum Beispiel hab ich mich in diesem Winter mal angeschlagen gefühlt und die Messung des Ruhepulses sowie die Beantwortung der Fragen haben dies auch bestätigt. Dann hab ich zwei Tage pausiert und war wieder fit.“ Auch Marie-Cathérine Arnold sieht in dem System einen positiven Nutzen. „Es hilft, um besser in sich hineinhören zu können und seinen Körper besser einzuschätzen. Die Beantwortung geht super schnell und der Trainer weiß schon vor der ersten Trainingseinheit des Tages, wie man sich fühlt.“

Julius Peschel, WM-Bronzemedaillengewinner im leichten Vierer ohne ist ebenfalls überzeugt von dem System. „Das Monitoring hat mir während der Saison sehr gut geholfen, mein Körpergefühl einzuschätzen. Wenn du dir jeden Morgen die vorgegebenen Fragen stellst, dein Gefühl einschätzt und vergleichst, kannst du bessere Konsequenzen daraus ziehen. Vor allem den Einfluss meiner Ernährung konnte ich gut ablesen, das habe ich sonst nie so wissenschaftlich betrachtet.“

DRV führt im kommenden Jahr eigenes System ein
Der Deutsche Ruderverband hat die Wichtigkeit eines solchen Systems ebenfalls schon länger erkannt und arbeitet seit mehr als zwei Jahren an der Entwicklung eines eigenen Programms. Rowe.rs soll zu Beginn der nächsten Vorbereitungsperiode zum Einsatz kommen. „Die Anwendung ist noch offline, aber bereits auf Deutsch übersetzt. Die ß-Version für die Testgruppen wird in den nächsten zwei Wochen erreichbar sein“, erklärt DRV-Wissenschaftskoordinator Dr. Gunnar Treff. „Wir versprechen uns eine Verbesserung des Trainings, weil es für Athleten und Trainer viel einfacher als bisher sein wird, Training zu erfassen (großenteils automatisierte Erfassung) und vor allem die individuellen Zusammenhänge von Training und Leistung zu erkennen.“ Zudem werden sich Trainer und Sportler viel einfacher ein Bild der individuellen Trainings- und Leistungshistorie machen können. Das System ermöglicht eine sehr individuelle Ausgestaltung bei der Erfassung von täglichen Routinewerten wie z. B. Ruhe-Herzfrequenz und ähnlichem. Schließlich enthält drv.Rowers einfache und zeitgemäße Kommunikationsmöglichkeiten für Trainingspläne, Chats, Flugpläne und so weiter. 

„Ich finde es richtig gut, wenn der DRV so etwas auch einführt, vor allem, wenn das System auch mit dem Training gekoppelt wird. Es geht ja nicht darum, uns etwas Böses zu tun, sondern, dass wir als Individuum und Team besser werden. Wichtig ist nur, dass im Vorfeld geklärt wird, wer alles Zugriff auf die Daten hat“, begrüßt Frauke Hundeling die Einführung des Tools.