01. Aug. 2018 | Panorama | von Judith Garbe

Matthias Ungemach – ein deutscher Trainer in Australien

Matthias Ungemach mit seinem Athleten Sean Murphy nach dem Gewinn der Bronzemedaille bei der U23-WM in Poznan.

Matthias Ungemach ist ein ehemaliger deutscher Ruderer, der Onkel von Oliver Zeidler und aktuell Trainer des australischen Ruderverbandes. Er trainierte unter Ralf Holtmeyer und Dieter Grahn und war 1988 und 89 mit dem U23-Achter erfolgreich. Ein Jahr später holte er bereits mit dem Deutschland-Achter WM-Gold und kürte sich 1991 zum Weltmeiste im Vierer ohne Steuermann. Nicht zu vergessen ist das sogenannte „Wassertaxi“, der Männer-Zweier mit Steuermann, in dem er zusammen mit Heino Zeidler, dem Vater von Oli, saß und 1994 als Vierter eine WM-Medaille nur knapp verpasste.

Wir haben uns nach der U23-WM in Poznan mit dem 50-jährigen Auswanderer unter anderem über das australische Rudersystem, die Unterschiede zu Deutschland und das Talent seines Neffen Oliver Zeidler unterhalten.

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Bronzemedaille deines Athleten Sean Murphy im leichten Männer-Einer!
Vielen Dank, das hat uns natürlich auch sehr gefreut. Leider war es die einzige Medaille für den australischen Ruderverband. Wir haben, wie die Deutschen, viele vierte Plätze geholt.

Rudern scheint in eurer Familie eine lange Tradition zu haben…
Ja das stimmt. Meine Frau Judith wurde unter anderem 1988 mit dem Frauen-Achter Olympiasiegerin und auch auf meinem Konto stehen einige WM-Titel. Unsere Kinder haben wir aber nicht zum Rudern gezwungen, die wollten das von sich aus. Wir haben so lange gewartet, bis sie selbst auf die Idee kamen. Sie haben vorher auch anderen Sport gemacht. Und dann ist da natürlich noch die andere Hälfte der Zeidler-Familie mit den beiden erfolgreichen Ruderern Oliver und Marie-Sophie.

In Australien ist Schulrudern sehr populär. Wie funktioniert das System bei euch?
Das stimmt. In Australien wird Rudern an vielen Privatschulen angeboten. Bereits 1883 wurde in Sydney der Verbund der GPS-Schulen gegründet, das ist ungefähr vergleichbar mit den Eton-Schools in England, also alles etwas elitärer. Seitdem wird in jedem Jahr um die Trophäe gerudert.

Wir haben im Jahr 2011 selbst ein Ruder-Schulprogramm am St. Augustine College, einer römisch-katholische Jungenschule in Sydney, ins Leben gerufen. Das Team besteht aus 45 Jungs der Klassen acht bis zwölf. Die ersten Athleten kommen jetzt auch in die Nationalmannschaft hoch. Der Sean, der Bronze bei der U23-WM geholt hat, den trainiere ich seit fünf Jahren, also seit er 16 Jahre alt ist. Wir bauen praktisch die Leute auf, damit diese erfolgreich in der Juniorenklasse rudern können. Da wir viele Athleten einer Altersklasse haben, können wir die Boote auch stark zusammensetzen.

Wie finanziert ihr das?
In Australien fällt für den Schulsport, in diesem Fall Rudern, eine zusätzliche Gebühr zu den allgemeinen Schulgebühren an. Damit können wir dann alles bezahlen – vom Training über die Boote bis hin zu den Wettkämpfen und Reisen. 

Findet Rudern das ganze Jahr über statt?
Nein und das ist auch das Problem. Unser Schulsportsystem ist in einen Winter- und einen Sommersport unterteilt ist. Im Sommer rudern sie alle, im Winter spielen alle Rugby. Dadurch ist es schwierig, eine gute Juniorenmannschaft aufzubauen. Als Folge kommt Australien erst im U23- und im Seniorenbereich so richtig aus den Pötten. Das ist aber in Ländern wie Canada oder Südafrika ähnlich.
Ein weiteres Problem ist der Zeitpunkt des Abiturs – in Australien finden die Abschlussprüfungen im September und Oktober statt. Das bedeutet für die Junioren, dass sie ihre Abiprüfungen nach den Regatten ablegen müssen. Da sagen viele Eltern, wir zahlen so hohe Schulgebühren, lass unsere Kinder erstmal das Abi machen, das internationale Rudern machen wir dann lieber an der Uni. Dadurch gehen uns natürlich einige Talente verloren bzw wir können nicht mit der stärksten Mannschaft zu den Weltmeisterschaften reisen.

In Australien wurde der Seniorenbereich vor einem Jahr zentralisiert. Wie viele Stützpunkte gibt es bei euch?
Unsere Mission nennt sich „CampaignNumberOne“, die zum Ziel hat, Australien zur Ruder-Nation Nummer eins zu machen. Es gibt insgesamt zwei Zentren - eins für Männer, eins für Frauen. Das für die Männer ist am Reinhold Batschi NTC in Canberra, wo auch das Australia Institute of Sports stationiert ist. Dort können wir alle Anlagen mit nutzen. Die Frauen sind in Penrith, Sydney, am Hancock Prospecting National Training Centre untergebracht und rudern auf dem Napean River. Die deutschen Athleten kennen das Ruderrrevier ganz gut, da sie dort selbst immer trainieren wenn sie in Australien sind. Und die Olympiastrecke ist auch um die Ecke. Von daher haben wir optimale Bedingungen.

Wie haben die Vereine auf dieses Konzept reagiert?
Bei uns ist das Geschrei auch groß, aber es wurde keine IGL wie in Deutschland gegründet. Die Vereine haben natürlich die Köpfe zusammengesteckt und gesagt, dass sie ihre Vorbilder verlieren und wir diese kaputt machen. Wir haben dann aber dagegen argumentiert, dass es vor allem für die Großboote notwendig ist. Für den Kleinbootbereich haben wir ihnen sogar die Möglichkeit geboten, auch einen anderen Trainer zu wählen. Der Sean, den ich trainiere, der war das letzte Jahr im Zentrum und ihn hat es extrem weit nach vorne gebracht. Physisch dreimal am Tag zu trainieren, das fühlt sich an wie ein unendliches Trainingslager. Aber die Athleten mögen das Programm und wenn dann auch der Erfolg da ist, sind alle super zufrieden.

Und die Modelle in Neuseeland und auch Großbritannien haben es uns doch allen vorgemacht, der Erfolg auf dem Wasser gibt ihnen Recht. Erste Erfolge zeigen sich bei uns auch schon im Senior-Vierer und Achter sowie beim Frauen-Vierer ohne. Beim Frauen-Achter ist noch nicht die Breite da, um das Ganze anzugehen.

Wir haben durch das System aber leider auch Athleten verloren. Zum Beispiel Olympiateilnehmer von 2016, die eigentlich weiter gemacht hätten, aber schon im Beruf standen oder Familie haben. Für die war die Zentralisierung unmöglich. Wir haben auch U23-Athleten verloren, die aus ihrem Bundesstaat nicht weg wollten. Bei uns sind Entfernungen natürlich auch noch anders als in Deutschland – wenn ein Sportler mal eben 3.500 km in den Süden ziehen soll, ist dieser verständlicherweise nicht sofort begeistert. Aber in Deutschland sie die Distanzen ja viel näher, da ist es etwas anderes. Auch die Zusammenarbeit mit den Unis ist bei euch besser.

Was passiert mit den Athleten, die sich gegen das Training am Zentrum entscheiden?
Die dürfen dann nicht für die Nationalmannschaft starten, egal wie gut die Athleten sind. Wir können das aber auch mit der Investition begründen. Wir haben Trainer aus Übersee, die wir an die Zentren holen. Wenn dann die Athleten sagen, nee, wir wollen da aber nicht rudern, dann ist das ganze Investment des Staates und des Hauptsponsors umsonst.

Gehen viele eurer Ruderer zum Studieren in die USA?
Ja, auch das ist ein großes Problem für uns, aber wir versuchen natürlich, diese zu integrieren. Früher haben wir drüben quasi Boote reserviert, um mit den Athleten bei den Trials dort zu starten und so zu testen. Aber die Kosten dafür sind immens. Denn die Trials sind in den Ferien und da müssen die Sportler aus ihren Colleges raus und woanders leben. Und die dann zusammenzuführen, das ist teuer.

Jetzt müssen sich die Sportler auf eigene Kosten ein Flugticket buchen und bei uns im Mai an den Trials teilnehmen. Und wenn die Sportler von der Ostküste kommen, dann wissen sie nicht genau, wer kommt noch zu den Trials, wird ein Achter oder Vierer gebaut, wer sind die anderen Sportler, schaffen wir die Qualifikationszeit? Irgendwann sagen sie sich dann, ich fahr lieber mit meinem College nach Henley oder ich mache Urlaub. Es ist also nicht einfach. Wir haben festgestellt, dass es letztlich nur ein einziger Athlet von dort geschafft hat, sich im Seniorteam zu etablieren. Wir sprechen immer von „Survival of the fittest“.

Welches sind deiner Meinung nach die zwei größten Unterschiede des deutschen und australischen Rudersystems?
Meiner Meinung nach spielt die Geographie da eine wichtige Rolle, um Mannschaften überhaupt erst einmal zusammenzubauen. Wir haben 22 Millionen Einwohner verteilt über einen ganzen Kontinent – das ist ungefähr so viel wie Nordrhein-Westfalen alleine hat. In Sydney, was in etwa vergleichbar mit Berlin ist, gibt es vier große Rudervereine für den Hochleistungssport.
Und dann ist da noch das Juniorsystem – wir arbeiten vermehrt mit den Schulen, da wir in dem Bereich nicht nur Vereine haben.

Übereinstimmung gibt es in der Verbands- und Trainerstruktur, auch was die Trainertalente angeht.

Und dann wäre da natürlich noch euer Sommerfahrplan. Während der Saison seid ihr fast gar nicht in Australien oder?
J
a das stimmt, im Sommer bzw. bei uns ist dann ja Winter, sind wir monatelang auf Tour. Wir können ja nicht mal kurz von Europa nach Hause fliegen. Deshalb haben wir in Varese unser europäisches Trainingscenter aufgebaut. Da ist quasi alles wie zuhause bei uns in Australien – das Essen, die Steckdosen, quasi eine kleine Aussie-Enklave. Nach dem Weltcup in Luzern haben wir unsere Athleten aber erst einmal nach Hause geschickt. Wobei nach Hause nicht ganz korrekt ist, sie sind wieder im Zentrum, aber nicht in ihrer Heimat, dafür sind die Distanzen wie gesagt zu groß.

Und jetzt zu dem aktuell größten Talent in eurer Familie, Oli. Ich habe gehört, deine Frau soll ihn vor zwei Jahren vom Rudern überzeugt haben?
Ich war bei dem Gespräch im Jahr 2016 nicht dabei, aber viele sagen, dass es wohl zu seiner Entscheidung beigetragen hat. Überredet ist da vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Aber danach hat Oli auf jeden Fall angefangen auf dem Ergo zu trainieren und hat da ja ziemlich schnell Erfolge einfahren können. Und dann hat sich das so aufgebaut.

Hattest du mit so einer schnellen, positiven Entwicklung gerechnet?
Nein und das habe ich und auch sonst glaube ich noch niemand so gesehen. Ich wusste immer, dass er physisch stark ist, aber hätte mich jemand vorher gefragt…Ich dachte, er würde etwas länger für die Umgewöhnung und die neue Belastung brauchen, da er ja von der 50 und 100-m-Strecke im Schwimmen kommt. Aber er hat relativ schnell das Bootsgefühl im Einer entwickelt und das Gefühl, wie er ein Rennen einteilt, das kennt er ja vom Schwimmen. Oli weiß, dass er an ganz vielen Sachen noch arbeiten muss und das machen sie auch. Als er beim Weltcup in Belgrad bei 1500 vor Synek lag, da hab ich meinen Augen nicht getraut. Das war schon Wahnsinn. Aber die Engländer haben ja auch einige Athleten, die aus anderen Sportarten kommen.

Gibst du ihm Trainingstipps oder hältst du dich da raus?
Ich halte mich da raus. Da sind ganz viele andere da, die das schon machen. Aber ich bin natürlich schon daran interessiert, wie es ihm geht und was er so macht,

Wie schätzt du seine Chancen bei der WM ein?
Im Einer ist das immer schwierig. Aber so, wie er gerad drauf ist, glaube ich schon, dass er Medaillenchancen hat. Er muss einfach nur locker bleiben und seinen Weg gehen. Dadurch, dass er jetzt in Anführungstrichen berühmt wird, muss er einen kühlen Kopf bewahren und das macht er. Er ist ziemlich relaxed, das ist auch ein großer Pluspunkt.

Ich hoffe jetzt nur, dass er die richtige Beratung bekommt, seinen Weg macht und nicht abgelenkt. Aber was ich so höre, ist er auf einem guten Weg. Das ist schon toll zu sehen.

Ruderst du selbst noch?
Nee, ich gebe nur noch Training. Ich habe mehrere Jahre Surfbootrudern gemacht. Der einzige Zeitpunkt, an dem ich selbst gern Sport machen würde, ist der Morgen-Time-Slot von 5-8 Uhr – und da muss ich immer Training geben.  

Vielen Dank für das Interview.