27. Mai 2021 | Nationalmannschaft | von Hans Strauß

Auf dem Weg nach Tokio mit: Frieda Hämmerling und Carlotta Nwajide

Frieda Hämmerling und Carlotta Nwajide aus dem Frauen-Doppelvierer waren zu Gast in unserer zweiten Folge: "Auf dem Weg nach Tokio".

Die Olympischen Spiele von Tokio rücken näher. Sieben Boote des Deutschen Ruderverbandes haben sich für die olympische Regatta vom 23. bis 30. Juli 2021 auf dem Sea Forest Waterway qualifiziert. In Doppel-Interviews stellen wir bis dahin alle DRV-Olympia-Boote vor.

In der zweiten Ausgabe des Formats haben wir uns mit Frieda Hämmerling (Rudergesellschaft Germania Kiel von 1882) und Carlotta Nwajide (Deutscher Ruder-Club von 1884 Hannover) unterhalten. Die beiden gehören zum in Berlin angesiedelten Doppelvierer, dem derzeit stärksten DRV-Trumpf bei den Frauen. Beim Weltcup-Rennen auf dem Luzerner Rotsee wurden beide zuletzt nur von China bezwungen. Frieda und Carlotta sprechen darüber, was sie in Tokio erreichen wollen, die Belastung durch ständigen Druck und ihr leicht unterschiedliches Verständnis von Pünktlichkeit.

Ihr kennt Euch schon ziemlich lange – wie lange genau?

Frieda Hämmerling: Da muss ich überlegen. Carlotta ist zwei Jahre älter als ich. Als meine Freundinnen 2013 das erste Mal zu einer Junioren-WM gefahren sind, war sie auch dabei.

Carlotta Nwajide: Und ich habe Frieda zum ersten Mal wahrgenommen, als sie etwas später dann selbst bei der Junioren-WM dabei war. So richtig kennen wir uns aber erst seit 2017, als wir beide in den A-Kader gekommen sind.

Ihr wart beide schon im Doppelvierer, der 2018 Vizeweltmeister wurde. 2019 wurdest du, Carlotta, dann allerdings in den Doppelzweier versetzt. Du bist mit Leonie Menzel gleich Europameisterin geworden, dann stoppte dich eine Thrombose und die Saison war beendet. War das eine ziemlich harte Zeit für dich?

Carlotta: Trainingsmäßig war es ein Rückschlag, ich musste drei Monate pausieren und die Zeit bis zur Olympiaqualifikation war knapp. Mein Ziel war es ja auch, wieder in den Vierer zu kommen, der im Unterschied zum Doppelzweier bereits für Tokio qualifiziert war. Während der Zwangspause habe ich versucht, mich nicht verrückt zu machen und das Leben auch zu genießen. Nach der Thrombose war es dann eine sehr trainingsintensive Zeit, ich musste den Rückstand aufholen, aber es hat ja funktioniert. Seit dem vergangenen Jahr bin ich wieder im Vierer.


„Menschlich kriegen wir es ganz gut hin. Auch in Phasen, als es nicht so gut lief, haben wir zusammengehalten.“

Frieda Hämmerling über das Besondere am Doppelvierer der Frauen


Gibt es etwas, dass Euer Boot mit Franziska Kampmann, Daniela Schultze und Euch beiden besonders macht?

Frieda: Menschlich kriegen wir es ganz gut hin. Auch in Phasen, als es nicht so gut lief, haben wir zusammengehalten. Alle sind dem Ziel treu geblieben. Letztlich ist es auch eine mentale Stärke, die uns ausmacht.

Carlotta, siehst Du es ähnlich?

Carlotta: Ja. Dazu kommt, dass wir physisch eine sehr starke Mannschaft sind. Wenn wir das umsetzen, dann brauchen wir uns vor niemandem zu verstecken.

Carlotta, ein Trainer hat kürzlich gesagt, Eure Mannschaft sei in ihrer Motivation etwas überschäumend. Was könnte er damit gemeint haben?

Carlotta: Vielleicht, dass wir unsere Ansprüche immer sehr hoch setzen und uns vielleicht manchmal etwas zurücknehmen müssten. Die Ansprüche werden aber auch von außen an uns herangetragen. Der Frauen-Doppelvierer war in den vergangenen Jahren immer erfolgreich, da ist schon Druck da. Aber in Wahrheit zählt nicht nur der erste Platz, auch der zweite und dritte Rang sind gut. Wir müssen noch lernen, das anzunehmen und auf guten Platzierungen aufzubauen.

Um Euer Ziel macht Ihr beide kein großes Geheimnis: Bei Euren ersten olympischen Spielen in Tokio soll eine Medaille herausspringen. Woran müsst Ihr noch besonders arbeiten, damit das gelingt?

Frieda: Es stimmt, wir wollen eine Medaille. Fit sind wir, wie Carlotta schon gesagt hat. Nun geht es noch um die technische Feinabstimmung. Die müssen wir, auch mit der nötigen Lockerheit, hinbekommen.

Der Frauen-Doppelvierer sicherte sich beim vergangenen Weltcup Silber. Foto: DRV/Seyb

Lockerheit ist ein gutes Stichwort. Bootsbesatzungen unterliegen potenziell einem ständigen Wechsel. Wie kommt Ihr mit dem Druck klar, belastet der Euch auch?

Frieda: Das tut es auf jeden Fall. In den letzten Jahren hatten wir praktisch Dauerselektion, da ist jeder mit jedem gefahren, es wurde ständig durchgetauscht und keine hatte ihren Platz sicher. Im letzten Jahr wurde die Gruppe für den Doppelvierer stärker eingegrenzt. Wenn man eine von fünf ist statt eine von zwölf, fühlt man sich ein bisschen sicherer. Man möchte ja ohnehin jede Trainingseinheit so gut wie möglich abliefern. Aber das Hintergrundwissen, dass man abliefern muss, setzt einen unter Druck.

Carlotta: Ich habe das selbst erlebt, wie es ist, wenn man rausgesetzt und reingesetzt wird. Es ist schwierig damit umzugehen, wenn man sich nicht sicher ist, ob einen der Trainer im Boot haben will.

Frieda: Es gibt Phasen, da ist man mit sich selbst nicht ganz zufrieden. Die sind dann besonders schwer, wenn man selbst an sich zweifelt und dann noch Kritik vom Trainer kommt. Dann denkt man schnell: Ich habe eh keine Chance mehr. Sich da wieder rauszuarbeiten, ist harte Arbeit.

Und es ist ja auch viel Training, das Ihr leisten müsstet. Bitte schildert doch einmal einen typischen Tag während der Olympia-Vorbereitung bei Euch im Sportkomplex Hohenzollerndamm.

Frieda: Wir treffen uns um 7.45 Uhr. Dann erwärmen wir uns kurz und gehen um 8 Uhr rudern. Meist so 90 Minuten lang. Dann ist Frühstückspause. Es folgt Balance-, Stabilitäts- oder Koordinationstraining. Nach der Mittagspause ist entweder Krafttraining, langes Radfahren oder nochmal Rudern, das variiert. Gegen 17.30 Uhr ist Schluss, gegen 18 Uhr sind wir dann zu Hause.

Ein langer Tag also. Und wie oft habt Ihr frei?

Frieda: Ganz frei gibt es selten. Wenn, dann haben wir mal einen Tag, an dem wir nur locker Radfahren sollen oder so. Ganz ohne Sport, das kommt kaum vor.

Das heißt, Ihr habt fast eine Sieben-Tage-Woche?

Carlotta: Ja, schon irgendwo. Einmal die Woche haben wir nur eine Trainingseinheit statt der üblichen drei. Dann gibt es den Tag mit geringer Belastung, aber einen ganzen Tag zum Durchatmen haben wir nicht wirklich.

Ihr studiert ja beide, wie läuft es mit der Uni so nebenbei (beide lachen schon)? Und wie geht es nach Tokio weiter?

Frieda: Ich studiere in Hamburg Lehramt für Primar- und Sekundarstufe 1, also bis zur zehnten Klasse, aber ich möchte später an der Grundschule arbeiten. Durch Corona findet an der Uni alles online statt, das kommt uns zugute. Aber ich schaffe nebenbei trotzdem nur einen Kurs in der Woche, der in der Mittagspause liegt. Da man im Lehramt das Bundesland nicht so leicht wechseln kann, überlege ich, von Berlin wieder nach Hamburg zu ziehen.

Carlotta: Bei mir sieht es ähnlich aus, es läuft auch nicht viel. Momentan studiere ich noch physische Geographie, wechsele aber im Herbst zu Kultur- und Sozialgeographie. 2019 hatte ich in der Vorbereitung auf die dann verschobenen Spiele sogar ein Urlaubssemester genommen.  Wir haben eben die festen Trainingszeiten als Team, wir sind keine Individualsportler. Jetzt liegt der Fokus auf den Olympischen Spielen, aber langfristig wollen wir natürlich mit dem Studium vorankommen. Dort wird der Fokus nach Tokio liegen.

Frieda, womit kann Dich Carlotta auf die Palme bringen (große Erheiterung bei beiden)?

Frieda: Ich muss erst einmal etwas zu mir sagen. Ich bin relativ organisiert und überpünktlich. Carlotta ist manchmal ein bisschen unorganisiert und kommt immer auf den letzten Drücker.

Carlotta: … aber meistens noch pünktlich…

Frieda: Stimmt. Aber ich hätte da schon Panik, dass ich zu spät komme. Wenn wir bei Regatten oder im Trainingslager auf einem Zimmer sind, dann wartet man ja auch aufeinander. Und ich fühle mich gestresst, wenn Carlotta dann nicht da ist.

Carlotta: Ich fühle mich auch gestresst, wenn Frieda 15 Minuten vor der Abfahrt schon fertig angezogen ist. Aber das bringt uns auch immer wieder zum Lachen, wenn Training ist, ich in die Umkleide gehe und Frieda mir schon fertig umgezogen entgegenkommt. Ich denke aber, wir haben schon voneinander gelernt.

Frieda, dein Partner ist der Kanute Max Hoff. Ihr habt eine Fernbeziehung: du in Berlin, er in Essen. Max war 2016 Olympiasieger und hat die Qualifikation für Tokio in einem dramatischen Weltcuprennen auf den letzten Drücker geschafft. Sprecht Ihr manchmal darüber, dass es schön wäre, wenn Ihr in Tokio Beide Grund zum Feiern hättet?

Frieda: Wir sprechen schon darüber, dass wir das gerne zusammen erleben würden. Durch Corona kann es aber sein, dass wir uns in Tokio gar nicht sehen können, denn Rudern ist in der ersten Woche der Spiele dran und Kanu in der zweiten. Das wäre schade, aber trotzdem haben wir dieses gemeinsame Ziel, erfolgreich zu sein.

Carlotta: Die beiden haben sich damit richtig gepusht in den letzten Jahren.


„Das ist natürlich viel Arbeit neben dem Leistungssport und dem Studium, aber ich habe das Gefühl, ich muss es machen.“

Carlotta Nwajide über ihr Engagement gegen Rassismus


Carlotta, das Motto deines Instagram-Accounts lautet: Rudern und Aktivismus. Viele wissen, dass Du dich, gerade durch eigene Erfahrungen als Afrodeutsche, dich gegen Rassismus engagierst. Begleitet dich dieses Thema genauso intensiv wie der Sport?

Carlotta: Ja, auf jeden Fall. Als schwarze Person in der weißen Dominanzgesellschaft begleitet dich das immer. Und sich damit auseinanderzusetzen, auch. Als Sportlerin habe ich eine Stimme, die gehört wird, das möchte ich nutzen.

Die ZDF-Serie „Germania“, die Menschen vorstellt, die mit und zwischen mehreren Kulturen leben, hat Dir einen Beitrag gewidmet. Wie fandest Du ihn und wie war das Echo darauf?

Carlotta: Ich war ausgesprochen zufrieden mit dem Beitrag. Ich bekam etliche Anfragen. Seitdem habe ich noch mehr Projekte, an denen ich beteiligt bin.

Kannst du Beispiele nennen?

Carlotta: Ich habe verschiedene Podcasts aufgenommen, die spannend waren. Und ich habe an einem Buchprojekt mitgeschrieben, das noch nicht veröffentlicht ist. Es gibt nun mehr Veranstaltungen, auf denen ich rede. Das ist natürlich viel Arbeit neben dem Leistungssport und dem Studium, aber ich habe das Gefühl, ich muss es machen.

Zu den Personen

Frieda Hämmerling (24) kommt aus Kiel und studiert Lehramt in Hamburg. 2018 wurde sie mit dem Doppelvierer WM-Zweite. 2020 wurde sie zu Schleswig-Holsteins Sportlerin des Jahres gewählt. Beim Weltcup II in Luzern kehrte sie auf die Schlagposition im Doppelvierer zurück. 

Carlotta Nwajide (25) kommt aus Hannover und ist Geographie-Studentin. 2018 holte sie zusammen mit Hämmerling WM-Silber im Doppelvierer. 2019 wurde sie zusammen mit Leonie Menzel Europameisterin im Doppelzweier. In ihrem gesellschaftlichen Engagement steht der Kampf gegen Rassismus im Vordergrund.

 

Bereits erschienene Interviews:

Oliver und Heino Zeidler.