29. Juni 2021 | Nationalmannschaft | von Hans Strauß

Auf dem Weg nach Tokio mit: Annekatrin Thiele und Leonie Menzel

Annekatrin Thiele und Leonie Menzel in der fünften Ausgabe von "Auf dem Weg nach Tokio".

Die Olympischen Spiele von Tokio rücken näher. Sieben Boote des Deutschen Ruderverbandes haben sich für die olympische Regatta vom 23. bis 30. Juli 2021 auf dem Sea Forest Waterway qualifiziert. In Doppel-Interviews stellen wir bis dahin alle DRV-Olympia-Boote vor. Für die fünfte Folge der Serie haben wir uns mit Annekatrin Thiele (SC DHfK Leipzig) und Leonie Menzel (RC Germania Düsseldorf) unterhalten. Die beiden schafften im Mai mit ihrem zweiten Platz bei der finalen Olympiaqualifikation in Luzern mit dem Doppelzweier der Frauen noch den Sprung nach Tokio. Für Thiele, die neben Gold im Doppelvierer 2016 auch bereits zwei SilbermedailIen gewonnen hat, werden es die vierten Olympischen Spiele sein. Im Interview geht es um mutige Taktik, einen weiten Weg in das aktuelle Boot und eine besondere Beziehung zur Serie „Rote Rosen“.

Normalerweise spricht man zum Start eines Interviews nicht übers Alter. Ich hoffe, ich darf aus gegebenem Anlass mal eine Ausnahme machen. Der Altersunterschied zwischen Euch beiden beträgt 14 Jahre. Wie äußert sich das, zum Beispiel beim Musikgeschmack, Leonie?

Leonie Menzel (lacht): Oh ja, das geht schon morgens mit Annes Weckmelodie am Handy los.

Und was ist das?

Annekatrin Thiele: Hulapalu, von Andreas Gabalier.

Der Alpenrocker… Ich verstehe, dass das für Leonie jedes Mal eine harte Prüfung ist. Ruderisch scheint Ihr aber gut zusammenzupassen.

Annekatrin: Ja, die Unbekümmertheit von Leonie und mein Erfahrungsschatz ergänzen sich gut.

Leonie: Ein Beispiel: Anne ist sehr endzugbetont, da habe ich noch einigen Nachholbedarf, da kann ich von ihr lernen.

Bei den beiden Europameisterschaften zum Ende des letzten und zu Beginn dieses Jahres wart Ihr jeweils Fünfte. In den Finals bei der Olympia-Qualifikation in Luzern und beim Weltcup in Sabaudia habt Ihr Euch für eine mutige Herangehensweise entschieden und seid zum Start vorneweg gefahren. Der Lohn war jeweils der zweite Platz. Bleibt das jetzt die Taktik?

Annekatrin: In Luzern haben wir gemerkt, dass wir das können, aber wir mussten das auch so fahren. Schließlich haben sich nur zwei Boote für Olympia qualifiziert. Wir haben gesagt, wir haben nichts zu verlieren und fahren mutig los. Das sollte auch unser Ziel für Tokio sein, den Kontakt zu den anderen Booten zu halten.

Annekatrin, Du bist mit einer olympischen Goldmedaille und zwei Silbermedaillen eine der erfolgreichsten deutschen Ruderinnen. Setzt das bei Dir zusätzliche Energie frei, dass Du an deinen vierten Spielen teilnehmen darfst?

Annekatrin: Ich sehe das als Privileg an, dass ich noch gesund bin und zu meinen vierten Spielen fahren darf. Es war ein weiter Weg bis dahin, mit dem Jahr Corona-Pause dazwischen, das mir aber geholfen hat, an meiner Leistung zu arbeiten. Es ist eine wunderschöne Aufgabe, die jetzt auf uns wartet, und ich hoffe, dass wir die mit Spaß und zu unserer Zufriedenheit erledigen. Die Spiele werden nur anders werden, und das ist schade. Auch mal zu anderen Sportarten zu gehen, in Kontakt mit anderen Athleten zu treten, das wird wegen der Corona-Verhältnisse wohl wegfallen.

Je älter man wird, umso mehr muss man trainieren, um das Leistungsniveau zu halten – kannst Du das bestätigen, Annekatrin?

Annekatrin: Ich bin einfach aus meiner Karriere gewohnt, sehr viel zu trainieren. Und wenn ich das nicht mehr tue, dann kann keine Leistungsentwicklung mehr stattfinden. 2019 habe ich mich nach der WM in das zentrale Training in Berlin einklinken müssen und dabei festgestellt, dass das dort für mich zu wenig ist. Mit Leonie und Thomas Affeldt, der uns betreut, habe ich besprochen, dass ich zusätzlich etwas für mich mache. Jetzt bin ich mit meiner Leistung wieder zufrieden und auch eine Unterstützung für die Mannschaft. Die Pausen nutze ich dann eben zum Schlafen.

Du machst dann mehr, oder macht der Zweier mehr?

Annekatrin: Beides. Wenn wir zusammen auf dem Wasser sind, dann zieht Leonie auch mal mit durch. Wenn wir aber im Einer unterwegs sind, auf dem Rad oder beim Kraftprogramm kann man es einfach individuell gestalten.


„Ich traue uns zu, das Finale zu erreichen, das sollte unsere Aufgabe sein. Und wenn man im Finale ist, dann ist alles möglich. Da werden dann manchmal besondere Kräfte freigesetzt.“

Annekatrin Thiele


Bisher hast Du von Olympia immer Edelmetall mitgebracht. Kann diese Serie in Tokio weitergehen oder wäre es schon ein großer Erfolg für Euch, das Finale im Doppelzweier zu erreichen?

Annekatrin: Schon um den Druck von Leonies Schultern zu nehmen: Für mich ist entscheidend, dass wir zufrieden sind mit unseren Rennen. Ich traue uns zu, das Finale zu erreichen, das sollte unsere Aufgabe sein. Und wenn man im Finale ist, dann ist alles möglich. Da werden dann manchmal besondere Kräfte freigesetzt. Bei meinen ersten Olympischen Spielen 2008 hatte uns im Doppelzweier auch keiner zugetraut, dass wir nur ganz knapp an Gold vorbeifahren.

Die Konkurrenten sind wegen der Umstände der Pandemie wahrscheinlich schwerer einzuschätzen als in anderen Jahren. Trotzdem die Frage: Wer sind die Favoriten in Eurer Bootklasse und wen gilt es, hinter sich zu lassen?

Leonie: Die Rumäninnen werden um die Medaillen fahren. Neuseeland wurde 2019 Weltmeister, ist aber keinen einzigen Weltcup gefahren, ist aber sicher stark. Die Russinnen, die uns bei der Qualifikation geschlagen haben, nehmen wir uns noch mal vor. Wir würden gerne vor ihnen bleiben. 

Sicherten sich in Luzern bei der Nachqualifikation das Ticket für Tokio. Foto: DRV/Schurwanz

Leonie, für Dich ging es in den letzten Jahren steil bergauf. 2019 wurdest Du schon überraschend Europameisterin im Doppelzweier zusammen mit Carlotta Nwajide. Aber die Olympia-Qualifikation bewertest Du wahrscheinlich als deinen größten sportlichen Erfolg.

Leonie: Das ist schwer zu vergleichen. Die EM war meine erste internationale Regatta im A-Bereich, und gleich der Titel, das war super. Olympia ist auf jeden Fall ein großer Erfolg und über den freue ich mich sehr.

Hattest Du als Jugendliche den Traum, mal bei den Olympischen Spielen zu starten?

Leonie: Nein. Ich habe im Kinder- und Junioren-Bereich gerudert, weil es mir Spaß machte. Auch wenn die Erfolge da waren, war das Thema viel zu abstrakt. Der Gedanke kam erst in den letzten Jahren auf, als ich in den A-Bereich gewechselt war und gemerkt habe: Wenn jetzt Olympia wäre, dann hätte ich gute Chancen, dabei zu sein. So hat sich das dann entwickelt.

Anfang 2020 ist die Idee geboren worden, aus Euch beiden den Doppelzweier zu bilden. Anne, Du warst nach dem Olympiasieg mit dem Doppelvierer in Rio drei Jahre lang im Einer unterwegs. Wie standest Du der Idee gegenüber?

Annekatrin: Eigentlich war mein Plan ja, den Einer bei der WM 2019 für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Das hat nicht geklappt, weil einiges Negatives zusammenkam. Ich war im Frühjahr verletzt, ich hatte mir eine Rippe gebrochen, und bei der WM musste meine Trainerin aus privaten Gründen abreisen. Ich hatte trotzdem den Gedanken, im Einer noch bei der Nachqualifikation anzutreten.  Aber bei unserem nationalen Ausscheid Anfang 2020 bin ich zum ersten Mal seit Jahren nicht unter die besten Sechs gekommen. Ich war nicht auf den Punkt fit, damit hatte sich das Thema Einer erledigt. Einen Tag später bin ich mit Leonie mal in den Zweier gestiegen und hatte das Gefühl, das wäre ausbaufähig. Und Zweierfahren macht mir vom Prinzip her einfach Spaß.


„Letztes Jahr hätten wir nur einen guten Monat Zeit bis zur Olympia-Nachqualifikation gehabt. Jetzt rudern wir viel besser zusammen als vor einem Jahr. Die zusätzliche Zeit war ein Geschenk.“

Leonie Menzel


Die Olympiaverschiebung hat niemand so richtig in den Kram gepasst, aber wahrscheinlich seid Ihr als Boot jetzt besser, als Ihr es vor einem Jahr gewesen wärt?

Leonie: Letztes Jahr hätten wir nur einen guten Monat Zeit bis zur Olympia-Nachqualifikation gehabt. Jetzt rudern wir viel besser zusammen als vor einem Jahr. Die zusätzliche Zeit war ein Geschenk, wir konnten uns sowohl zusammen im Boot als auch individuell weiterentwickeln.

Annekatrin: Als die Verschiebung kam, habe ich schon darüber nachgedacht, ob es das jetzt war für mich. Die Pause danach hat mir aber wieder Schwung gegeben. Und ich bin auch niemand, der die Partnerin im Stich lässt.

Euer Boot wird von Thomas Affeldt betreut, der Leonie bereits seit 2017 unter seinen Fittichen hat. Aber wenn Du zu Hause in Leipzig bist, Anne, arbeitest Du immer noch mit deiner langjährigen Wegbegleiterin Angelika Noack zusammen.

Annekatrin: Das hilft mir, weil sie noch mal einen anderen Blick auf meine Technik hat. Wir arbeiten schließlich schon seit 20 Jahren zusammen.

Leonie, Du studierst parallel zum Leistungssport medizinische Biologie. Wie gut klappt das und wie weit bist Du?

Leonie: Im letzten Jahr konnte ich an der Uni einiges schaffen, weil alles online war. So hat das trotz der vielen Trainingslager funktioniert. Bis zum Bachelor brauche ich noch ein Jahr. Dann geht es mit dem Master weiter.

Anne, Du hast schon gesagt, dass die olympischen Spiele in Tokio deine letzten sein werden. Kann es sein, dass es für Dich mit dem Rudern trotzdem noch etwas weiter geht oder widmest Du dich dann deiner beruflichen Karriere bei der Bundespolizei?

Annekatrin: Ich möchte mir das noch offenhalten. Die WM in Shanghai im Herbst ist aus beruflichen Gründen wegen der Fortbildung bei der Bundespolizei keine Option, aber die European Games in München nächstes Jahr wären vielleicht interessant für mich. 

Wie man hört, bist Du ein großer Fan der ARD-Soap „Rote Rosen“. Hast Du tatsächlich alle 14 bisherigen Staffeln gesehen?

Annekatrin: Daran ist Manu Lutze schuld. Mit ihr habe ich 2008 bei meiner ersten Olympia-Vorbereitung das Zimmer geteilt. In der Mittagspause hat sie immer um 14.10 Uhr den Fernseher angemacht, und dann wurde „Rote Rosen“ geguckt. Seitdem schaue ich das. Ich finde nicht jeden Charakter toll, aber es ist schön zum Berieseln lassen. Wegen Corona konnten zeitweise keine neuen Folgen gedreht werden, dann wurden alte wiederholt. Auch die habe ich mir angesehen. Ich habe mit meiner Familie auch schon mal die Schauplätze der Serie in Lüneburg besichtigt. Aber im Trainingslager am Weißensee habe ich Leonie noch nicht mit „Rote Rosen“ belästigt.

Leonie, Trainer Affeldt muss Dir vor dem Ablegen immer zwei Mal aufs Blatt klopfen. Woher kommt dieser kleine Aberglaube?

Leonie: Das hat er am Anfang mal gemacht, das Rennen war gut, und dann musste er es einfach weitermachen.

Zu den Personen

Annekatrin Thiele ist 36 Jahre alt, kommt aus Wiehe (Thüringen) und startet für den SC DHfK Leipzig. Sie hat bereits drei olympische Medaillen geholt: 2008 Silber mit dem Doppelzweier und 2012 Silber mit dem Doppelvierer, ehe sie 2016 Olympiasiegerin im Doppelvierer wurde. Zweimal wurde sie zudem Weltmeisterin, dreimal holte sie einen EM-Titel. Thiele ist Vollzugsbeamtin bei der Bundespolizei.

Leonie Menzel ist 22 Jahre alt, kommt aus Düsseldorf, wohnt in Dortmund und startet für den RC Germania Düsseldorf. 2019 wurde sie im Doppelzweier zusammen mit Carlotta Nwajide Europameisterin. Sie studiert medizinische Biologie an der Universität Duisburg-Essen. In den letzten drei Jahren wurde sie jeweils zu Düsseldorfs Sportlerin des Jahres gewählt.

 

Bereits erschienene Interviews: Oliver und Heino Zeidler, Frieda Hämmerling und Carlotta Nwajide, Jonathan Rommelmann und Jason Osborne, Malte Jakschik und Olaf Roggensack.