09. Okt. 2012 | Wettkampfsport | von Matthias Auer

Die Tour du Lac Léman à l´Aviron 2012 – The Legend strikes back!

Ein etwas anderer Regattabericht eines unmittelbar Beteiligten

Lange Zeit standen die Ampeln hinsichtlich des Wetters bei der diesjährigen Tour du Lac Léman à l´Aviron auf grün. Zwar waren sich die verschiedenen Wetterdienste bzw. deren Modelle nicht einig, ob und bei welchen Temperaturen es nun sonnig und trocken oder doch eher feucht werden sollte, so herrschte in einem Punkt der Vorsage bis 2 Tage vor der Regatta große Einigkeit: es würde nur marginalen Wind geben. Es sollte jedoch ganz anders kommen...

23 Teams mit Teilnehmern aus 6 Ländern - Deutschland, England, Frankreich, Schweiz, Niederlande und erstmals auch aus Russland (St. Petersburg) - hatten sich am letzten Septemberwochenende bei der veranstaltenden Societé Nautique de Genève (SNG) eingefunden, um sich der ultimativen Herausforderung für Langstreckenruderer stellen: der Genfersee-Regatta, die dieses Jahr mit ihrer 40. Edition ein kleines Jubiläum feierte. Bei den langwierigen, von den Protagonisten geradezu zelebrierten Bootspräparationsarbeiten am Freitag machte dann aber schnell die schlechte Nachricht die Runde, dass die Seeumrundung aufgrund der meteorologischen Verhältnisse am nächsten Tag stark gefährdet war. Beim abendlichen feierlichen Empfang wurden diese Befürchtungen von "Monsieur Meteo" Phillippe Janneret bestätigt: für den späteren Samstagnachmittag war stark aufkommender Wind aus nördlicher Richtung zu erwarten, der sich am Abend noch steigern sollte. An ein Rudern entlang der zentralen Südküste war bei solchen Bedingungen kaum zu denken. Bei der anschaulichen Darstellung der Chance auf eine reguläre Seerunde ging der Abstand zwischen "Monsieur Meteos" Fingern gegen infinitesimal - Scheibe! Dieser Vorhersage Rechnung tragend wurde eine Verschiebung des Starts um eine Stunde auf 8 Uhr bekanntgegeben. Dies sollte zum einen die Ruderzeit bei guten Bedingungen verlängern und zum anderen dem Veranstalter mehr Zeit geben, die endgültig zu fahrende Strecke unter Berücksichtigung der aktuellen Wetterbedingungen zu optimieren, unter Gewährung der Sicherheit von Mensch und Material. Trotz leichter Niedergeschlagenheit ob dieser unschönen Nachrichten ließen sich die Ruderer den Appetit nicht verderben. Das Personal mit den Tabletts mit deftigen und süßen Häppchen hatte einen arbeitsamen Abend.

Im Rahmen dieser Vorabend-Veranstaltung wurden einige Teams, i.w. Neuteilnehmer mit speziellem Hintergrund, kurz vorgestellt und andere Teams für ihre Leistungen/Rekorde bei der Vorjahresregatta geehrt. Christian Klandt vom Bonner Ruderverein wurde als vierter Ruderer, der die 25. Tour-Teilnahme feiern durfte, geehrt und durfte eine Flasche Champagner in Empfang nehmen. Weil besondere Anlässe besonders gefeiert werden wollen, hatte er sich für eine Regattateilnahme im C-Einer entschieden. Alter schützt vor Torheit nicht, und gemachte Erfahrungen ganz offenbar ebenfalls nicht: er hatte vor 11 Jahren solch eine Ochsentour schon einmal hinter sich gebracht...

Am Rennmorgen wurden die Vorhersagen leider bestätigt: es war keine reguläre Tour du Lac Léman von 160 km möglich sondern lediglich eine verkürzte Ausgabe entlang der Nordküste bis Lausanne und auf demselben Wege zurück über insgesamt "nur" etwa 110 km. Pünktlich eine Viertel Stunde vor Rennbeginn wurde angesichts dieser Beschneidung der Tour dann ganz offensichtlich auch Petrus sehr traurig und begann zu weinen - und er weinte lang und ausgiebig...

Hinsichtlich des Rennens waren die Rollen klar verteilt. Die Renngemeinschaft RC Hamm/Mainzer RV/RC Nürtingen, die in unterschiedlichen Kombinationen die Genfersee-Regatten der letzten Jahren dominiert hatte, war klarer Favorit. Die alten Haudegen und mehrfache MDA40-Rekordverbesserer vom Ludwigshafener RV waren ebenso klar auf den zweiten Platz gebucht. Dahinter gab es in Form von Teams aus Bonn, Hamburg, Köln und Neuwied mehrere Anwärter auf den dritten Platz, die Ihre Stärke und Leistungsfähigkeit auf Augenhöhe zuletzt bei der KCfW-Regatta von Lahnstein nach Köln bewiesen hatten.

Im Rennen bestätigten sich diese Vorhersagen rasch. Das nur auf einer Position veränderte Rekordteam des letzten Jahrs mit Henning und Björn Osthoff, Christian Maus (alle RC Hamm), Markus Neumann (Mainzer RV) und Matthias Auer (RC Nürtingen) zog unaufhaltsam davon und brachte stetig Wasser zwischen sich und das Verfolgerfeld. Dies wurde wiederum klar vom Ludwigshafener Tourlegenden-Boot mit den Decker-Brüdern Matthias und Michael, den Hock-Brüdern Gerhard und Jürgen sowie Andreas Orth angeführt wurde. Dahinter waren die Positionskämpfe deutlich dynamischer, auch weil die darin involvierten Mixed-Boote naturgemäß stärkere Geschwindigkeitsvariationen in Abhängigkeit von den Konstellationen auf den Ruder-/Steuerplätzen aufweisen.

Spannender als das Rennen an der Spitze (zumindest zunächst, s.u.!) entwickelte sich für die Führenden die Streckenwahl. Denn entgegen der Erwartung des mittlerweile 14 Minuten vorn liegenden Favoritenteams kam nach 4h 08min Ruderzeit in Lausanne nicht der Umkehrbefehl, sondern man wurde durchgewunken. Petrus weinte zu diesem Zeitpunkt immer noch (die Phrase "some light showers" hatte sich mittlerweile zum Running Gag entwickelt...), und so ein bisschen Traurigkeit oder eher Sorge kam bei den Ruderteams auch auf - eigentlich hatte man sich sowohl seelisch-moralisch als auch versorgungstechnisch auf jene 110 km eingestellt, und nun schien die Wetterlage doch eine längere Tour zuzulassen. Eigentlich schön, aber es war halt so überhaupt nicht klar, wohin und wie lange die Reise gehen würde. Kurz vor dem nächsten Kontrollpunkt in Rivaz bei 70 km, der vom Führungsteam nach 5h 15min erreicht wurde, wurde zur allgemeinen Erleichterung dieses Rätsel in Form des bereits um 6 Uhr gestarteten, im Gegenverkehr befindlichen Christian Klandt gelöst, der mit großem Hallo begrüßt wurde.

Nach der Wende eröffnete sich auf dem Weg retour eine Situation, die es bei normalen Genfersee-Regatten für einsam Führende nie gibt: die direkte Inaugenscheinnahme des Regatta-Zwischenstandes: Zur Halbzeit war Ludwigshafen etwa 20 Minuten zurück, während es um Platz 3 erwartungsgemäß eher eng zuging mit dem Männerteam der RGM Neuwieder RG/GTRV Neuwied, dem Mixed-Team des Kölner CfW und dem Masters-Team von Lufthansa SV Hamburg/RV Wandsbek innerhalb Tuchfühlungsdistanz von 7 Minuten, aber schon 30 und mehr Minuten hinter dem Spitzenreiter. Die Mixed-Mannschaft des ARC Rhenus Bonn wendete nach genau 6h in hartem Kampf gegen das zu diesem Zeitpunkt schnellste nichtdeutsche Boot, den Tourneulingen aus Delft/Laak, das nur eine Minute zurück lag. So war in der zweiten Rennhälfte definitiv für Spannung beim Kampf um die Plätze gesorgt. Dass es jedoch auch noch um den Platz an der Sonne noch dramatisch werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen...

Bis Rolle, nach 107 geruderten Kilometern, lief es wie gehabt weiter: Hamm/Mainz/Nürtingen weit vorne weg vor Ludwigshafen, während die drei Aspiranten um den dritten Platz noch näher zusammen gerückt waren und innerhalb von 3 Minuten lagen, inzwischen mit dem KCfW vorn und den Hamburgern nur 20 Sekunden zurück. Nach diesem vorletzten Kontrollpunkt machten sich die angekündigten/befürchteten schwierigeren Ruderbedingungen infolge des aufkommenden Windes zunehmend bemerkbar. War es zunächst nur eine unangenehme Erschwerung der Rudersportausübung, so wurden die Bedingungen sukzessive herausfordernder für Mensch und, noch mehr und letztendlich entscheidender, für das Material. Hier trennte sich dann - in bootsbautechnischer Hinsicht - die Spreu vom Weizen: Der Spitzenreiter hatte mit massiver Wasserübernahme zu kämpfen und musste die Ruderintensität mehr und mehr reduzieren. Ab 20 km vor dem Ziel war man in akuter Absaufgefahr, die durch den Ausfall der elektrischen Pumpen nicht wirklich reduziert wurde. Für die RGM sollte bis auf einen 300m-Lenz-Zwischensprint in einer Bucht kein einziger normaler Ruderschlag mehr folgen. Anstelle dessen gab das vormals souveräne Favoritenteam ein eher bemitleidenswertes Bild ab: in Paaren vorsichtig piddelnd und schöpfend, geschoben durch den Wind, versuchte es nur noch, nicht Beute Neptuns zu werden und dabei dem stundenlang begleitenden Boot des Regatta-Fotographen die spektakulären Bilder des Tages zu liefern. Die Ludwigshafener, ebenfalls mit einem nicht ganz so wellentauglichen Boot ausgestattet, fällten derweil zum Entsetzen ihres Begleitboots die wagemutige Entscheidung, ihr Glück auf der Südseite des Sees zu versuchen, wo sie angesichts der Wellenlaufrichtung bessere Bedingungen erwarteten. Allerdings war eben vorher die Kleinigkeit einer Seeüberquerung von ca. 4 km Breite zu absolvieren. Diese brachten die Tour-Legenden mit Geschick und ihrer Erfahrung in der Größenordnung von 100 individuellen Teilnahmen erfolgreich hinter sich und konnten in der Folge noch mal richtig Gas geben.

Zum Schluss kam es so, dass Ludwigshafen nach 11h 45min als Erste im Ziel ankamen, die RGM Hamm/Mainz/Nürtingen 12 Minuten später. Groteskerweise hatten beide Teams nichts voneinander mitbekommen. So wurde beiden erst nach der Zieldurchfahrt die wirkliche Platzierung bewusst, was bei den Ludwigshafenern naturgemäß zu größerer Freude führte als bei der RGM, die sich aber mit dem nicht mehr erwarteten Erfolg des regulären Ankommens gut trösten konnte. Der Kölner CfW in der Besetzung Moni Ehrle, Karin Otto, Christoph Ehrle, Ulrich Westendorf und Stefan Verhoeven gewannen das "kleine Finale" gegen Neuwied mit einem Vorsprung von 2 Minuten in einer Ruderzeit von 12h 15min. Lufthansa SV Hamburg/RV Wandsbek, zwischenzeitlich mal auf dem 3. Platz vorgerückt, konnte mit dem vorhanden Bootsmaterial im schweren Wasser der letzten Kilometer nicht mehr folgen und sahen sich mit der bitteren Erfahrung des Sinkens nur 500m vor dem Ziel konfrontiert. Den 5. Platz erbte somit unverhofft das Mixed-Team des ARC Rhenus Bonn, das in 12h 45min zuletzt deutlich vor der schnellsten nichtdeutschen Mannschaft, dem einzigen Riemenboot der Konkurrenz aus dem englischen Monmouth, lag. Das russische Team aus St.Petersburg kam, an 17. Stelle liegend, der Ziellinie noch mal 300 m näher als Lufthansa Hamburg/Wandsbek, wobei nach fast 140 geruderten Kilometern schlussendlich aber auch nur ein DNF in der Ergebnisliste heraus sprang - sehr bitter! Dasselbe Schicksal erlitten die Tour-Novitzen aus Lausanne als Träger der roten Laterne vor Versoix kurz nach 1 Uhr nachts. Die einzige rein schweizerische Mannschaft war das dritte Team, welches das Ziel gefrustet, aber immerhin wohlbehalten, leider nur auf dem Landweg erreichte.

Den traditionellen, stilvollen Ausklang der Tour du Lac Léman bildeten wie immer die Siegerehrung, Gruppenfoto und das Abschlussbankett. Neben dem Ludwigshafener RV als Gesamtsieger und dem Kölner CfW als Gewinner der Mixed-Klasse wurde die RGM Doncaster RC/Thames Valley Skiff Club/Bedford RC/Weybridge RC für den Sieg in der Frauen-Konkurrenz geehrt (Gesamtplatz 14), die in einem rein englisch Duell ihre Landsfrauen vom Vesta RC (17. im Gesamtklassement) hinter sich ließen. Die RGM Delft/Laak, in der Gesamtwertung 10., wurde als bester Newcomer geehrt. Den bei weitem stärksten, gar nicht enden wollenden Applaus erhielt jedoch Christian Klandt für seine herausragende Leistung im C-Einer, die ihn in 14h 27min auf den 15. Gesamtrang führten, womit er 5 der regulär im Ziel angekommenen 4x+ hinter sich lassen konnte!

Das 3-gängige Mittagessen am Sonntagmittag war einmal mehr exzellent und ein würdiger Veranstaltungsabschluss; ganz im Gegensatz zum Wetter, denn nachdem gnädigerweise die Abrigger- und Verladearbeiten im Trockenen durchgeführt werden konnten, setzte während des Mittagessens der nächste "light shower" in Form wolkenbruchartigen Dauerregens ein... Großer Respekt und Dank gebührt dem Chef-Organisator Stéphane Trachsler und seinem Team, die in wirtschaftliche schweren Zeiten ohne Hauptsponsor und bei genereller Sponsoren-Zurückhaltung den gewohnt erstklassigen Event mit nur geringen Einschränkungen im Vergleich zu vergangenen Jahren auf die Beine gestellt haben. Es wäre wünschenswert, wenn diese einzigartige Veranstaltung in 2013 sowohl die irdische (= finanzielle) als auch himmlische (= meteorologische) Unterstützung bekommen würde, die sie verdient.