07. Okt. 2015 | Wettkampfsport | von Matthias Auer, RC Nürtingen

Die (sehr spezielle Mini-)Tour du Lac Léman à l´Aviron 2015

Über einen ungewöhnlich langen Zeitraum waren die Wetterprognosen für die 43. Ausgabe der Tour du Lac Léman à l´Aviron am letzten Septemberwochenende sehr konstant. Leider konstant schlecht, denn eine stabile Großwetterlage führte in ganz Mitteleuropa zu anhaltend kräftigem Wind aus nördlichen bis östlichen Richtungen. Auf einem Riesensee wie dem Lac Léman ein klares Ausscheidungskriterium für das Abhalten einer Langstreckenruderregatta. Da die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, machten sich 17 unentwegte Teams nach Genf auf, um sich der ultimativen Langstrecken-Herausforderung der 160 km rund um den Genfersee in gesteuerten C-Vierern zu stellen. Den Hauptanteil machten einmal mehr die Teilnehmer aus Deutschland aus, in diesem Jahr allerdings recht dicht gefolgt von Ruderern aus Frankreich. Weitere vertretene Nationen waren die Niederlande, Großbritannien, die USA und natürlich das Gastgeberland Schweiz.

Entsprechend der zu erwartenden Bedingungen wurden am Regattavortag die Aufbau- und Abklebearbeiten an den Booten noch intensiver und akribischer durchgeführt als sonst. Eine Probefahrt überzeugte das eine oder andere Team von der Notwendigkeit, noch mehr Pumpenkapazität einzubauen. Der durchaus noch vorhandene Optimismus, dass es zu einer regulären Regatta über die Volldistanz kommen könnte, wurde bei der Teilnehmereinweisung am späten Freitagnachmittag deutlich reduziert: Die Nordküste zwischen Nyon und Lausanne würde am nächsten Tag mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht ruderbar sein! Es wurde jedoch auf die abendliche Wettervorhersage des Meteorologen Philippe Jeanneret vom Schweizer Fernsehen im Rahmen der Empfangsveranstaltung verwiesen, die letzte Klarheit über das samstägliche Rennprogramm geben sollte.

Ehrengast des diesjährigen Sektempfangs war Lucas Tramèr, der nach zwei WM-Titeln im leichten 2- gerade mit Gold aus Aiguebelette im leichten 4- der Eidgenossen zurückgekehrt war. Während im Hintergrund die glorreichen bewegten Bilder liefen, stand er Stéphane Trachsler, SRV-Präsident und Organisator der Tour du Léman, Rede und Antwort. Nach der Begrüßung besonderer Gäste - u.a. dem US-amerikanischen Team aus New York, das für die Krebshilfe startete und sammelte - brachte die mit nervöser Anspannung erwartete Wettervorsage dann leider keine gute Nachrichten für die Ruderwilligen. Die Wahrscheinlichkeit, die Regatta überhaupt starten zu können, wurde von Philippe Jeanneret mit 30 Prozent angegeben; und wenn überhaupt ein Rennen möglich sein sollte, dann definitiv nur im Bereich des "Petit Lac", da ab 11 Uhr eine Auffrischung des Windes zu erwarten war und bis dahin alle Boote zurück sein sollten. So wurden die Ruderinnen und Ruderer mit einem um eine Stunde auf 7 Uhr vorverlegten Start und viel Ungewissheit bezüglich des schlussendlichen Rennens etwas betrübt in die Nacht entlassen. Da konnten auch die wie immer sehr leckeren Häppchen nur bedingt trösten. Die definitive Verkürzung der Strecke hatte am Regatta-Vorabend dann allerlei taktische Überlegungen zur Folge: Das normalerweise obligatorische Durchwechseln war angesichts der Kürze der Strecke nicht notwendig, so dass sich die eine oder andere Mannschaft über Nicht- oder Ein-Wechselstrategie sinnierte, um dadurch die Chancen zu verbessern. Aber vielleicht machten die Bedingungen ja auch diese Überlegungen überflüssig...

Am Regattamorgen gab es zum einen die gute Kunde, dass das Rennen trotz aller Widrigkeiten gestartet werden würde. Zum anderen herrschte jedoch die kuriose Situation, dass irgendwann alle Teams auf Wasser waren, diese aber - abgesehen von der Angabe einer Streckenverkürzung auf 30 bis 45 km - nicht so richtig wussten, was schlussendlich genau auf sie zukommen würde. Mit leichter Verspätung erfolgte um 7:15 Uhr der Startschuss, und die 17 Teams machten sich entgegen der normalen Fahrtrichtung entlang der Südküste gen Frankreich auf. Das Boot aus Bonn/Leverkusen/Siegburg, das sich vor Monatsfrist beim souveränen Sieg bei der Lahnstein-Köln-Regatta in eine klare Favoritenposition gerudert hatte, ließ von Beginn an keine Fragen aufkommen, dass der Sieg nur über sie laufen würde. Die Rgm. Kleinmachnow/Kleve/Köln/Neuwied/Stuttgart-Cannstatt, das Vereinsboot aus Morges und die Rgm. Bonn/Hamm/Nürtingen/Stuttgart-Cannstatt waren die einzigen, die das Tempo mitgehen konnten. Dahinter tat sich schnell eine deutliche Lücke auf, mit dem Boot aus Ludwigshafen/Mülheim als klarer "Best of the Rest", die allerdings über die gesamte Strecke ein recht einsames Rennen "in the Middle of Nowhere" fahren sollten. Auf dem Weg zur Schweiz-Französischen Grenze blieb die Reihenfolge an der Spitze gleich mit etwas vergrößernden Abständen zwischen den Plätzen 1 und 2 sowie 3 und 4. Bei zunehmend welligeren Bedingungen nach etwa 40 Minuten Ruderzeit wurde das Rudern dann etwas unangenehmer ohne grenzwertig zu werden. Jedoch hatten die Pumpen immer wieder ordentlich Arbeit zu verrichten auf den letzten 2 bis 3 Kilometern bis zur Wendeboje. Deren genaue Position gehörte dann allerdings auch zum Überraschungspaket des Wochenendes: Das unangefochten führende Boot der Renngemeinschaft aus dem Rheinland stürmte an der unscheinbaren, in hohen Wellen tanzenden Boje vorbei und wurde erst auf den Fehler aufmerksam, als die Zweitplazierten - ebenfalls leicht verzögert - die Wende einleiteten. Lachende Dritte und Vierte waren Morges und die Rgm. Bonn/Hamm/Nürtingen/Stuttgart-Cannstatt, welche die Wendeboje mit nur geringem Umweg passierten und sich nach knapp einer Stunde und 14 geruderten Kilometern plötzlich auf Platz 2 und 3 wiederfanden. Bonn/Leverkusen/Siegburg war hingegen auf Platz 4 zurückgefallen und der hart erarbeitete Vorsprung von ca. 150 m hatte sich an der ersten Wende in einen Rückstand von etwa 250 m umgewandelt! Entsprechend motiviert und wütend-engagiert ging das Favoritenteam den Rückweg an. Bonn/Hamm/Nürtingen/Cannstatt konnte während/nach deren Wechselpause gleich wieder überholt werden. Letztere konnten jedoch dieses Mal im Schlepptau mitfahren und machten sich ebenfalls auf die Verfolgung der 2 Führungsteams. Das Boot aus Morges wurde von Bonn/Leverkusen/Siegburg ca. nach der Hälfte des Rückwegs eingeholt und überholt. In der Folge entwickelte sich ein heißer Zweikampf um die Spitze, der sich auf den (vermeintlich) letzten Kilometer zum extensiven/intensiven Zielsprint entwickelte. Bonn/Leverkusen/Siegburg hatte nach hartem Kampf schließlich den Bug wieder vorn, als spät, aber nicht zu spät, die Ansage kam, dass nicht das Ziel nahte sondern noch eine weitere, 14 km lange Runde zu absolvieren sei. Nutznießer der harten Positionskämpfe des verstrichenen Rennens war die Rgm. Bonn/Hamm/Nürtingen/Stuttgart-Cannstatt, die, auf diese zweite Runde spekulierend, mit den Kräften hausgehalten hatten und nun die Wende mit nur knapp einer Minute Rückstand hinter dem Führungsduo absolvierten. Morges war an dieser Stelle bereits aus dem Rennen um die drei Podestplätze und musste der Hatz der ersten zwei Renndrittel Tribut zollen. Ludwigshafen/Mülheim war nach der ersten 28km-Runde weiterhin ungefährdet auf 5. Platz, bereits 10 Minuten hinter der Spitze aber 4 Minuten vor einem Doppelpack aus einer Niederländisch-Schweizer und einer Schweiz-Britischen Renngemeinschaft. Das schnellste Mixed-Boot des Feldes, das Team aus Oldenburg/Bremen, folgte auf Platz 8.

Kurz nach der Wende waren erste Ausfallerscheinungen im Spitzentrio zu verzeichnen: Bei einem Ruderer der zweitplatzierten Rgm. Kleinmachnow/Kleve/Köln/Neuwied/Stuttgart-Cannstatt "machte der Rücken zu", so dass sich die Ein-Steuermann-Strategie als nicht mehr durchführbar erwies. Der zweite Platz konnte nach zeitaufwendigerer da ungeplanter Auszieh-und-Wechsel-Prozedur nur noch für kurze Zeit gehalten werden. Mit neuer Motivation machte sich der neue Zweite, die Rgm. Bonn/Hamm/Nürtingen/Stuttgart-Cannstatt, auf die Verfolgung des Teams Bonn/Leverkusen/Siegburg, die ihrerseits an den Folgen der Verfolgungsjagd und der harten Bord-an-Bord-Kämpfe zu knabbern hatten. An der letzten Wende, einmal mehr etwas überraschend schon nach 6 anstatt 7 Kilometer, war der Vorsprung auf weniger als 2 Bootslängen geschrumpft. Dieses Mal verpatzten allerdings die Zweitplatzierten die Wende und handelten sich 2 weitere Bootslängen ein. Auf den letzten Kilometern variierte der Rückstand immer zwischen diesen 4 und eineinhalb Längen. Bonn/Leverkusen/Siegburg hatte aber auf jede Aktion eine bessere Antwort und es war zu jederzeit Wasser zwischen den Teams. Die Favoriten mit viel Rennruder-Power/Technik im Boot setzten sich letztendlich nach 2:48:55 h mit einem Vorsprung von 10 Sekunden zwar nur knapp, aber verdient durch, hatte das Team das Rennen doch eigentlich schon frühzeitig vorentschieden gehabt und erst durch das Wendebojendrama die anderen Teams wieder ins Spiel um den Gesamtsieg gebracht. Die zweitplatzierte Crew der Langstreckenspezialisten aus Bonn/Hamm/Nürtingen/Stuttgart-Cannstatt war angesichts des Rennverlaufs und der Kürze der Strecke auch nicht enttäuscht und konnte sich zudem mit dem Gewinn der Masters-Klasse (MDA 40) trösten. Die Rgm. Kleinmachnow/Kleve/Köln/Neuwied/Stuttgart-Cannstatt folgte mit einem Abstand von 1:20 Minuten auf Platz 3. Das Vereinsboot Morges belegte mit einem Rückstand von ca. 11 Minuten Platz 4 und konnte sich über den Gewinn in der Novizenwertung freuen. Ludwigshafen/Mülheim war zuletzt noch einmal näher an sie herangekommen und erreichte in 3:06 h den 5. Platz. Hinter den Renngemeinschaften aus Laak/Vésenaz und Genf/London belegte Oldenburg/Bremen den 8. Platz im Gesamtklassement und gewann mit einer Ruderzeit von 3:18 h wie im Vorjahr die Mixed-Kategorie. Nach etwas mehr als 4 Stunden war dann auch das letzte Boot im Ziel und es konnte zufrieden festgestellt werden, dass alle Teams wohlbehalten über die stark verkürzte Strecke gekommen waren.

Anstatt am späten Abend bis Nachmitternacht wurde das post-Regatta-Essen bei dieser Tour du Lac light-Version bereits zur Mittagszeit serviert. Ein netter Nebeneffekt der Streckenverkürzung war, dass endlich einmal genug Zeit für einen Stadtbummel in Genf oder die Erforschung der Umgebung war. Das Sonntagsprogramm fand schließlich wie ursprünglich geplant statt: Prize-Giving Ceremony, gemeinschaftliches Abschlussbild und feierliches 3-Gänge-Abschlussbankett. Eine etwas andere 43. Edition der Tour du Lac Léman war zu Ende, die viel Spezielles mit sich brachte: Mehr taktisches Geplänkel, überraschende Streckenführungen und Wendungen im Rennen, enge, langanhaltende Bord-an-Bord-Situationen und ein Kampf um den Gesamtsieg bis zur Ziellinie mit der bisher knappsten Entscheidung auf den ersten 3 Plätzen. Aus einer schwierigen Situation hat das Orga-Team um Stéphane Trachsler das Beste gemacht: Alle waren froh, dass ein Ruderwettkampf ermöglicht wurde; nicht ohne auf mehr Wetterglück und eine komplette Seerunde im nächsten Jahr zu hoffen...