06. Juli 2020 | Breitensport | von Angela Baufeld, LRV Berlin

Streit um zehn Zentimeter

Es geht um zehn Zentimeter...

Der Umgang der Landesregierung mit dem Berliner Rudersport löst zurzeit in den Rudervereinen großen Unmut aus. Rudern im Vierer und Achter ist weiterhin verboten  - nur weil der Abstand in den Booten baulich bedingt 1,40 m beträgt und dadurch der geforderte Mindestabstand von 1,50 m nicht eingehalten werden kann.

Es gibt jedoch eine Ausnahme. Die Frauen des Frauen-Ruder-Club Wannsee (FRCW) können wieder im Mannschaftsboot rudern. Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung hat dem Eilantrag des Vereins am 12. Juni mit einer positiven Stellungnahme für das Teamrudern beschieden. Grotesk ist, dass sich der FRCW mit den beiden benachbarten Vereinen – Potsdamer RC Germania und BRC Welle-Poseidon – einen Steg teilt, diese beiden Vereine aber nicht im Vierer oder Achter rudern dürfen.

Immer noch keine Antwort auf den LRV-Eilantrag
Auch der Landesruderverband hat einen Eilantrag zur Zulassung des Mannschaftsruderns an die Senatsverwaltung für Inneres und Sport gestellt – zuletzt am 15. Juni. Auf eine Antwort wird immer noch gewartet. Dem Antrag liegt ein Nutzungs- und Hygienekonzept bei, das der LRV gemeinsam mit dem Deutschen Ruderverband und dem Landessportbund (LSB) ausgearbeitet hat. Sowohl Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jürgen Michael Steinacker, Präsident der medizinischen Kommission des Weltruderverbandes FISA, als auch Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention sowie Leitender Olympiaarzt des DOSB, bestätigen, dass das Konzept die Grundlage für die Wiederaufnahme des Rudersports sein kann.

Ernüchterndes Schreiben des Sportstaatssekretärs
Der LSB unterstützt den LRV und hat inzwischen in einem Schreiben an Aleksander Dzembritzki, Staatssekretär für Sport, erneut auf das besondere Problem des Mindestabstands im Rudersport aufmerksam gemacht und um Klärung gebeten.

Das Antwortschreiben ist ernüchternd. Der Sportstaatssekretär bekräftigt die unbedingte Einhaltung des Mindestabstandes von 1,50 m. Außerdem sei seine Verwaltung gar nicht zuständig dafür, Ausnahmeregelungen beim Mindestabstand zu genehmigen. Zuständig sei die Gesundheitsverwaltung. 

Er deutet in diesem Schreiben als auch in einem persönlichen Gespräch mit LSB-Präsident Thomas Härtel und dem LRV-Vorsitzenden Karsten Finger an, dass den Frauen vom FRCW die Genehmigung zum Mannschaftsrudern sogar wieder entzogen werden könne. Das Schreiben an den FRCW sei nicht mit der Hausleitung der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung abgestimmt.

„Jetzt ist Eigenverantwortung gefragt“
Kein Wunder, dass sich die Ruderinnen und Ruderer fragen, ob die Zusammenarbeit der Senatsverwaltungen im Interesse der Berlinerinnen und Berliner und der Sportmetropole Berlin noch gewährleistet ist. Für den Landesruderverband steht die Antwort des Staatssekretärs außerdem im Widerspruch dazu, dass inzwischen bei der Eindämmung der Pandemie an die Eigenverantwortung appelliert wird. Wörtlich sagte der regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, in seiner Ansprache an die Berlinerinnen und Berliner am 22. Juni: „Jetzt ist Eigenverantwortung gefragt.“

Der Landesruderverband nimmt diese Aufforderung sehr ernst und ist auch in der Lage, diese umzusetzen. Die Berliner Rudervereine handeln als Betreiber ihrer Bootshäuser seit Beginn der Corona-Krise verantwortungsvoll, um die Pandemie einzudämmen. Sie haben Hygiene- und Nutzungskonzepte entwickelt und laufend aktualisiert.

Rudersaison 2020 bedroht
Statt der Eindämmungsverordnung gibt es nun eine Infektionsschutzverordnung, die bis zum 24. Oktober 2020 gültig ist. Wenn also der Eilantrag des Landesruderverbands und die Gespräche, die der LRV und der LSB mit dem Senat führen, keinen Erfolg haben, fällt die Rudersaison 2020 aus. Das bedeutet: Beinahe 90 Prozent der Mitglieder in den Berliner Rudervereinen dürfen nicht rudern. Keine Anfängerausbildung. Keine Ferienprogramme für Kinder und Jugendliche. Keine Zukunftsperspektive.

Dem Landesruderverband ist bewusst, dass die Folgen der Coronakrise für alle Bereiche der Gesellschaft schwierig und für viele existenziell sind. Dennoch ist es nicht zu verstehen, dass Berlin inzwischen das einzige Bundesland ist, wo Teamrudern nicht gestattet ist.

In dieser für den Berliner Rudersport ausweglosen Situation hat sich jetzt der Landesruderverband mit einem Schreiben an den regierenden Bürgermeister, Michael Müller, gewandt. Der LRV appelliert darin an die Gesamtverantwortung des Berliner Senats und bittet darum, die Ungleichbehandlung des Berliner Rudersports innerhalb des deutschen Rudersports zu beenden.