16. Febr. 2021 | Nationalmannschaft | von DOSB-Presse

Kathrin Borons Muster-Karriere im „Wendekreis des Ruderbootes“

Kathrin Boron blickt auf eine erfolgreiche Karriere als Athletin zurück.

Von der Sporthilfe zur Sporthilfe: Job in der Athletenförderung
Etwa um diese Zeit muss es gewesen sein, als die 1.500 besten ostdeutschen Athleten vor 30 Jahren erstmals in den Genuss eines monatlichen Bonus von der Stiftung Deutsche Sporthilfe kamen. Die frischgebackenen Neu-Bundeskader hatten fortan einen Anspruch auf diese Art finanzieller Unterstützung. Die Sporthilfe hatte für die Förderung der „Zugänge“ damals eigens eine Außenstelle in Berlin gegründet. Zu den bedachten Athletinnen gehörte ebenfalls Kathrin Boron, die heute bei derselben Stiftung in Main-Frankfurt als Athleten-Managerin tätig ist. Für die 51-Jährige ein historischer Kreisschluss, in dem sich eine herausragende sportliche Laufbahn spiegelt. Möglich wurde diese Muster-Karriere im „Wendekreis des Ruderbootes“ nicht zuletzt dank eines Partners aus der Privatwirtschaft, ohne den Kathrin Borons Vita ganz sicher anders verlaufen wäre als leistungssportlich überaus gelungen und im Sinne der „dualen Karriere“ nachgerade vorbildlich und als großes Beispiel für Protagonisten des olympischen Sports.

Der Name hatte im Januar 1991 von „Dynamo“ zu „Ruder-Gesellschaft“ gewechselt. Ansonsten änderte sich im Leben von Kathrin Boron seinerzeit kaum etwas. Die Weltklasse-Ruderin war zu einem Bundeskader mutiert wie 1499 andere Spitzenathleten aus der knapp drei Monate zuvor verschwundenen DDR. Doch sonst? Blieb sportlich für die 21-Jährige alles beim Alten. Ihr Bootshaus, ihre Trainerin Jutta Lau, ihre schweißtreibenden Einheiten auf dem Wasser und zu Lande, die vertraute heimische Umgebung in Potsdam. „Wir Sportler wurden ohne irgendwelche Einschränkungen übernommen, es hat keine Abstriche gegeben“, blickt Kathrin Boron zurück. „Wir waren in der Förderung den Athleten aus den alten Bundeskadern absolut gleichgestellt. Wahrscheinlich ist das der einzige Bereich im Osten gewesen, für den man so etwas sagen kann.“

Neuer „Übergriff“ und neue Narben
Dramatische Veränderungen für die sportlich klar überlegenen Skull-Ruderinnen aus den neuen Ländern folgten erst nach den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Plötzlich zwang ihnen der Verband eine neue Technik auf. Statt die beiden Skulls an den Griffen vor dem Bauch wie gewohnt „rechts vor links“ über- und aneinander vorbeizuführen, mussten die oberen Enden der beiden Ruder von nun an in dieser Millimetersache „links vor rechts“ passieren. Damit praktizierte der Deutsche Ruder-Verband (DRV) die „deutsche Einheit“ auf sehr spezielle Weise. Zur Standard-Technik wurde der bundesdeutsche „Übergriff“ ausgerufen und das erfolgreiche DDR-Strickmuster – gewissermaßen ausgebootet.

Bei Kathrin Boron und den rudernden „Neu-Bundeskadern“ von 1991 sind die Erinnerungen an die neue Methode im Wortsinn schmerzlich. Trainings-Einheiten mit blutigen Händen hat es für sie mehr als genug gegeben. „Das war für uns so, als ob wir das Rudern noch einmal lernen. Über Jahre automatisierte Bewegungsabläufe zu verändern, das ist äußerst schwierig.“ Just nach ihrem ersten Olympia-Sieg war die neue Technik über sie gekommen. Die rudertechnische Klippe hat sie bravourös umschifft und im Trikot des DRV gelang ihr eine einzigartige Karriere, die Narben an ihren Händen sind Zeuge. Viermal in Folge gewann die Spezialistin für Zweier- und Vierer-Boote bei Olympischen Spielen jeweils eine Goldmedaille und zum Abschluss 2008 in Peking noch einmal Bronze. Ihre insgesamt zehn WM-Titel nicht zu vergessen, davon 1986 und 1987 zwei bei den Juniorinnen. In ihrem Metier zählt sie zu den ganz Großen, für ihre einzigartige sportliche Karriere erhielt sie 2009 vom internationalen Ruderverband die selten vergebene Thomas-Keller-Medaille.

Drei Jahre als Azubine „die härtesten überhaupt“
Was im Boot auf dem Rollsitz zwischen Dolle und Ausleger mit Schufterei und Leidensfähigkeit bis zur Quälerei gelang, war auf dem Trockenen von glücklichen Umständen begleitet. Für die Spitzensportlerin hatte sich mit dem Ende der DDR zwar nichts geändert, doch für die Frau und den Menschen enorm viel. Wenige Monate nach ihrer Immatrikulation an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig fiel die Mauer. Die Weltmeisterin von 1989 geriet ins Grübeln, ob Trainerin oder Sportlehrerin im Angesicht dramatischer Veränderungen ringsum noch die richtige berufliche Perspektive für sie bleiben sollte. In Kathrin Boron überwog in unruhiger Wendezeit ihr „Sicherheits-Naturell“. Sie schmiss ihr Studium und setzte beruflich lieber auf eine kaufmännische Lehre.

Ein Dutzend Bewerbungen verschickte sie – und gewann mit der einzigen Einladung zum Vorstellungsgespräch den Jackpot. Ohne dies vorausahnen zu können, heuerte sie bei einer Firma an, die sie über ihre gesamte sportliche Laufbahn hinweg unterstützte und ohne die sie es unter den neuen gesellschaftlichen Vorzeichen im Boot nie und nimmer so weit gebracht haben würde. Selten war das Wort vom Glücksfall treffender als bei Kathrins Borons Ausbildung zur Bankkauffrau und ihrer anschließenden Tätigkeit in der Filiale der Deutschen Bank in Potsdam. Die drei Jahre als Azubine seien „die härtesten überhaupt“ gewesen. „Früh immer die erste zum Training und abends immer die letzte.“ Doch von Beginn an sei das berufliche Pensum abgestimmt gewesen auf die Anforderungen des Leistungssports.

„Zusatz-Olympiade“ zur beruflichen Orientierung
So ist es geblieben, unbürokratisch, zum Teil mit halben Arbeitstagen zum halben Lohn, zum Teil sogar großzügig mit Lohnausgleich fürs harte Training. Als sie eine Pause brauchte, der Körper sich meldete, als sie 2002 Mutter wurde und eine Auszeit vom Spitzensport nahm, habe „ein Gespräch“ beim Arbeitgeber für unkomplizierte Lösungen genügt. Das Beste hob sich der „Sponsor ohne Logo“ für den Schluss auf. Am Rande der WM 2007 in München, als Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann ihr Rennen im Auto parallel zur Regattastrecke begleitete, wurde vereinbart: Nach dem Karriere-Ende werde ihr eine finanziell abgesicherte „Orientierungsphase“ ermöglicht. Denn „beruflich etwas im Sport machen“, das sei über all die Jahre ihr innerster Wunsch geblieben.

Diese „Zusatz-Olympiade“ nach Ende ihrer Laufbahn 2008 nutzte die Brandenburgerin, um den Sport aus neuen Perspektiven kennenzulernen. Im Vorfeld der Sommerspiele 2012 in London betätigte sie sich zuhause am Olympiastützpunkt in der Presse- und PR-Arbeit. Danach gab sie ein kürzeres Gastspiel als Trainerin und lernte als Mitglied im Gutachter-Ausschuss die Arbeit der Stiftung Deutsche Sporthilfe kennen. Seit fünf Jahren arbeitet sie nun bei der Stiftung als Athleten-Managerin. Sie betreut Leichtathleten, Eisschnellläufer, Short-Tracker und Curler und kümmert sich darüber hinaus um alles, was mit „dualer Karriere“ zu tun hat. Im Zweiklang von Sport und Ausbildung, Qualifikation und Beruf kennt sie sich bestens aus. Natürlich wünscht sie ihren Schützlingen am liebsten Glückstreffer, wie sie mit der Deutschen Bank selbst einen landete und wie sie noch immer zu selten und so dringend vonnöten sind im bundesdeutschen olympischen und paralympischen Leistungssport. „Das war wirklich ein großer Zufall damals. In der DDR war man als Spitzensportler bestens umsorgt, musste sich um nichts kümmern – und dann brach das von einem Tag auf den anderen weg.“

Die frühere Weltklasse-Ruderin weiß aus eigenem Erleben, wie vor dreißig Jahren DDR-Sport-Karieren unter völlig veränderten Verhältnissen „abrupt endeten“. Umso stolzer ist sie, ihr Schicksal in dieser Phase in die eigene Hand genommen, sich selbständig und engagiert durchgerungen oder besser: durchgerudert zu haben. Mit ihren Erfahrungen ist sie für Kader-Athleten neuerer Generationen eine authentische und qualifizierte Ratgeberin. Für ihren Job in der Athletenförderung hat sie sogar ihr geliebtes Seen-Revier verlassen und ist in die Nähe von Frankfurt am Main umgezogen. Rudern auf dem Main ist für sie allerdings keine Option. Wegen der vielen Wellen und des Geschaukels auf dem Fluss und wegen des eintönigen Kurses „nur hin oder her“. Kein Vergleich zu den heimischen Gewässern rund um die Havel.