14. Dez. 2021 | Nationalmannschaft | von Judith Garbe

Sportdirektor Mario Woldt im Interview: "Es wird eine extrem große Herausforderung"

Ein – nicht nur aus leistungssportlicher Sicht - turbulentes Jahr 2021 liegt hinter uns. Wir haben mit Sportdirektor Mario Woldt über die personellen und administrativen Veränderungen, die Ziele und Herausforderungen für den aktuellen Zyklus Paris 2024 sowie LA 2028 gesprochen.

Mit Christian Felkel hatte der DRV zu Jahresbeginn einen neuen leitenden Cheftrainer an Bord geholt. Nach nur einem halben Jahr im Amt kündigte Felkel aufgrund der Rahmenbedingungen und föderalen Gegebenheiten wieder. Kam das für dich überraschend?
Auf der einen Seite kam es überraschend. Auf der anderen Seite war das, was er für sich festgestellt hat, keine große Überraschung. Wir haben viele intensive Gespräche geführt und die Rahmenbedingungen und das Umfeld erläutert. Wir können die Umstände – warum es so ist, wie es ist - ja nicht weg reden. Felkel hat daraus dann für sich die Konsequenzen gezogen, auch sein privates Umfeld spielte eine erhebliche Rolle.

Brigitte Bielig als Nachfolgerin war schnell gefunden. Was zeichnet sie aus und wie unterscheidet sie sich von Felkel?
Brigitte ist die erfahrenste Trainerin, die wir an Bord haben. Sie kennt den DRV und das Leistungssportumfeld. Brigitte weiß um die Gegebenheiten, Limitierungen und Herausforderungen, und wie sie damit umzugehen hat. Ihre Erfolge über alle Bereiche – sie hat als Trainerin sowohl bei Olympia als auch im U23- und U19-Bereich viele Medaillen gewonnen – sprechen für sich. Und es zeigt auch, dass man durchaus erfolgreich durch die Bereiche wechseln kann – wenn man diese Aufgabe annimmt.

Bis Paris 2024 sind es keine drei Jahre mehr. Die Konzentration an den Leitstützpunkten wurde – damit sich die Olympioniken im kommenden Jahr dem Studium bzw. Beruf widmen können – bis Oktober 2022 pausiert. Reicht die verbleibende Zeit für eine optimale Vorbereitung?
Nein. Ausreichend Zeit verbleibt nicht, weil der Zyklus mit einem Jahr weniger Vorbereitungszeit zu kurz ist. Zudem stehen wir vor einem großen Umbruch. Viele Olympioniken haben ihre Leistungssportkarriere beendet, andere benötigen ein Pausen- bzw. Erholungsjahr. Das limitiert natürlich die Gesamtvorbereitung, denn dann bleibt uns nur noch ein Jahr bis zur Quali-WM 2023. Das wird eine extrem große Herausforderung, da gut vorbereitet an den Start zu gehen.

Du hast es gerad schon angesprochen. Viele Athletinnen und Athleten haben nach Olympia ihre Leistungssportkarriere beendet. Damit findet ein großer Umbruch in der Nationalmannschaft statt. Was traust du den „Nachrückern“ zu?
Ich traue ihnen zu, dass sie sich mit größtmöglichem Einsatz einbringen. In Medaillen und Platzierungen kann ich es aber nicht ausdrücken, weil wir fast komplett neue Bootsbesetzungen mit einer hohen Beteiligung an U23-Athletinnen und Athleten sehen werden. International können wir das erst einschätzen, wenn wir auch gefahren sind. Nach ersten Einschätzungen wird es aber sehr ambitioniert Richtung Paris. Deshalb würde ich diesen Zyklus unter das Motto Neujustierung stellen.

Neben den personellen gibt es aber auch viele externe, strukturelle Veränderungen im Rahmen der Leistungssportreform. Zum Beispiel die Neueinteilung der Disziplinen, eine zunehmende Projektorientierung in der Finanzierung, den damit verbundenen deutlichen höheren administrativen Aufwand und ein Wegfall der Flexibilität. Zudem gibt es Veränderungen im olympischen Programm. In Paris werden insgesamt 24 Sportlerinnen und Sportler weniger am Start sein als in Tokio. Das bedeutet eine Überarbeitung des olympischen Qualifikationsmodus und weniger Qualifikationsplätze in einigen Bootsklassen. Das neue Olympiaprogramm wird im Februar entschieden.

Wie kann der deutlich höhere administrativen Aufwand gestemmt werden?
Wir haben diesbezüglich erhebliche Personalknappheit. Wir wollen unseren Sportlern und Vereinen den besten Service anbieten und beste Bedingungen gewährleisten. Dabei versuchen wir, unsere Arbeitsabläufe immer zu optimieren, aber am Ende brauchen wir zusätzliches Personal. Die Mittel unseres Verbandes sind aber endlich und bereits jetzt gut eingesetzt; nun brauchen wir bundesseitig weitere Unterstützung. Wir haben dies bereits beantragt, aber es wurde uns noch nichts zugesprochen. Was ich in den vergangenen Jahren auch festgestellt habe ist, dass sich die Rahmenbedingungen sehr verändert haben und es immer anstrengender wird. Die Arbeit mit dem direkten Sport wird immer weniger, weil die Anforderungen administrativer Natur exponentiell zugenommen haben. Das ist schon sehr bedauerlich und für den Leistungssport nicht zielführend.

Zurück zum sportlichen. Wie wird die Road to Paris denn jetzt angegangen?
Wir gehen sie mit Hochdruck und Konsequenz an. Anfang 2022 starten wir direkt mit den Trainingslagern für die A-Mannschaft. Insgesamt wollen wir konsequenter sein in dem was wir einfordern und uns an der Leistungsfähigkeit orientieren. Gleichzeitig wird es aber auch ein Balanceakt, die individuellen Belange mit zu berücksichtigen. Die Zielorientierung aber ist klar und die heißt Olympia. Wie bauen wir die Boote so auf, dass sie 2024 in Paris dabei und in LA dann auch erfolgreich sind.  

Welche weiteren Hürden gilt es dabei zu meistern?
Wir müssen auch an Land an uns arbeiten. So stehen wir vor allem vor internen Herausforderungen. Wir wollen intern intensiver zusammenarbeiten und als Team agieren – dabei müssen Eigeninteressen in den Hintergrund gestellt werden. Das übergeordnete Ziel lautet olympische Medaillen und nicht, wer sich für Olympia qualifiziert.  

Um das zu erreichen, wollen wir den Prozess im Trainerkreis gemeinsam mit der DOSB-Führungsakademie angehen. Wir haben aufgrund neuer Anstellungsverhältnisse insgesamt 30 % an Bundestrainern dazugewonnen. Jetzt gilt es, daraus eine gemeinsame Mannschaft zu formen und das Wir-Gefühl zu stärken. Mal schauen, wie schnell uns das gelingt und wie weit wir diesen Olympiazyklus kommen.

Der neue Vorsitzende Moritz Petri sagte zuletzt, dass er nicht erwarte, dass in Paris schon Bäume ausgerissen werden. Man aber als größter Mitgliederverband innerhalb der FISA den Anspruch habe, in Los Angeles 2028 die erfolgreichste Nation zu sein. Ist das realistisch?
Diesen Anspruch sollten wir schon haben. Es ist nur die Frage, wie wir dahinkommen. Den Begriff „erfolgreichste Nation“ kann man auf unterschiedliche Art und Weise messen: Anzahl an qualifizierten Booten, Anzahl an Sportlerinnen und Sportler oder auch an Platzierungen und Medaillen. Am Ende zählen nur die Medaillen. Das ist die Währung, in der wir gemessen werden. Wir werden nicht daran gemessen, ob wir Boote paritätisch besetzen, ob sich einzelne Stützpunkte dort wiederfinden oder andere individuelle Interessen befriedigt sind, um bei Olympia dabei zu sein.

Hinsichtlich LA 2028 stehen uns ja noch weiteren Änderungen bevor. So müssen wir unsere Trainingsmethodik auf die sich ändernde Renndistanz von 1500 m anpassen.

Aktuell gibt es mit Berlin, Dortmund und Hamburg/Ratzeburg drei Leitstützpunkte für die jeweiligen Disziplinbereich. Hinzukommen viele Bundesstützpunkte.. In anderen Ländern wird hauptsächlich an nur einem Standort trainiert. Welchen Weg will der DRV denn jetzt bestreiten?
Es gibt eine ganz klare Erwartung: als Mannschaftssport ist es notwendig, dass wir zusammen trainieren. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir viel gemeinsam trainieren – insbesondere in der aktuellen Umbruchphase mit vielen neuen Sportlerinnen und Sportlern. Es muss eine gemeinsame Handschrift erarbeitet werden – das funktioniert aber nicht, wenn alle an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen technischen Ansätzen trainieren. Ich weiß aber auch, dass wir an diesem Punkt noch nicht sind, in unserem Verband muss ein großes Umdenken stattfinden. Das versuchen wir, voranzutreiben. Andere Nationen machen es uns ja vor.

Gemeinsames Training sollte nicht wie bei uns mit Widerstand verbunden sein. Zwingen wollen wir aber auch keinen. Wir machen uns das Leben einfach selbst schwer. Jeder sollte für sich entscheiden, ob er den großen Traum von Olympia hat. Wenn ja, dann muss jetzt für die nächsten Jahre das Gaspedal getreten werden.
Generell sind wir aber auch gerade dabei, unsere eigene Struktur zu überdenken. Wir haben die Nominierungsrichtlinien überarbeitet und wollen für mehr Transparenz und Klarheit sorgen. Wir verfolgen einen intensiveren Austausch im TrainerRat und versuchen, eine gemeinsame auf mehrere Schultern verteilte Linie zu fahren. Wir schauen jetzt erwartungsvoll in die neue Saison und hoffen, dass wir über die Trainingslager und nationalen Wettkämpfe sehen, wo wir stehen. Einfach wird es nicht, aber wir arbeiten mit Hochdruck dran.

Von außen wird auch immer wieder Kritik an deiner Person laut. Wie gehst du damit um?
Es kursieren immer viele Gerüchte, unter anderem, dass ich auswandern will. Das ist aber nicht der Fall. Und natürlich gibt es auch immer wieder Kritik, das gehört dazu. Für sachliche Kritik bin ich immer offen und versuche, die Dinge zu optimieren. Mit persönlicher Kritik habe ich über die Jahre gelernt umzugehen und diese einzuordnen.

Im Großen und Ganzen müssen wir die jeweils verantwortlichen Personen in die Pflicht nehmen – das gilt für alle, auch für die Trainerinnen und Trainer. Auch sie müssen eine klare Position innerhalb ihrer Trainingsmannschaft einnehmen und klare Selektionsprozesse ermöglichen.