Geschichte des Bootsbaus

Ruderboote, wie wir sie heute z.B. als Gigs kennen, sind noch nicht einmal 200 Jahre alt. Ihre Entwicklung begann um 1840, als in England das erste Mal Ausleger an den damals noch sehr breiten Ruderbooten befestigt wurden. Diese technische Veränderung ging einher mit einem neuen Selbstverständnis vom Ruderboot. Es wurde Anfang des 19. Jahrhunderts an den englischen Universitäten nicht mehr nur als Mittel zur Fortbewegung, sondern auch als Sportgerät begriffen. Von 1824 ist die erste bildliche Darstellung eines ausschließlich für den Sport gebauten Bootes – das „Weiße Boot“ des Exeter College of Oxford – erhalten. Aber: Ausleger und Rollsitze waren zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte Dinge. Sie sollten erst 20 Jahre später eingeführt werden. Ebenfalls erhalten ist das Boot, welches die Universitätsmannschaft von Oxford 1829 im ersten „Boatrace“ gefahren hat.

Das erste in Deutschland gezeigte Sportruderboot war 1836 der Sechser Wherry „Victoria“ des „Hamburger Ruder-Clubs 1836“, der es „second hand“ in England erworben hatte (siehe Abb.3). Die Ruderer saßen in diesem 14 Meter langen Boot, ähnlich wie in einer Barke, in zwei Reihen nebeneinander. Allerdings saßen sie „verschränkt“, man könnte auch sagen "auf Lücke“. Das Boot durfte ja nicht zu breit werden und der Ruderer brauchte aufgrund der Hebelgesetze auch seinen Abstand zur Dolle, die als nach oben offenes Loch in der Bordwand eingelassen war. Dieser Abstand war natürlich nicht auf allen Plätzen gleich. So kam es, dass der Riemen von Nr. 1–411 cm lang war und einen Innenhebel von 109 cm aufwies, der Riemen von Nr. 4 aber 466 cm lang war und einen Innenhebel von 128 Zentimetern hatte. Das Gewicht des Bootes maß übrigens stolze 440 kg.

Verglichen mit der Gig von 1829 war dieses „Wherry“ schon ein schnittiges Boot mit Mahagoni-Dollbord und hellen Eichen-Planken. Es hat viel Ähnlichkeit mit den heutigen Seegigs.

Ein entscheidender Schritt war die Erfindung des Auslegers durch den Engländer Caspers 1844. Er versah einen Vierer mit Auslegern, dessen Abmessungen überliefert sind. Er hatte eine Länge von 11,50 m, eine Breite von 61 cm und eine Tiefe von 32 cm. Das Gewicht betrug 66 kg. Damit war dieses Boot einer heutigen Gig schon recht ähnlich. Der Drehpunkt zwischen Innen- und Außenhebel wurde durch Metallstreben über die Bordwand außerhalb des Bootes verlagert. Dadurch war es möglich, die Breite des Bootes im Verhältnis zur Länge erheblich zu verkleinern. Es bewies sich erstmals die Bootsbauerregel „Länge läuft“. Aus dem Jahr 1854 ist der erste Renn-Vierer mit Luftkästen erhalten.

Eine weitere geradezu revolutionäre Entwicklung des Bootsbaus wurde mit der Einführung des Gleitsitzes auf Gleitschienen 1857 in den USA eingeleitet. Bis dahin hatte man ausnahmslos mit festem Sitz gerudert. Der Gleitsitz lief auf zwei festen Schienen ohne Räder. Um den Gleiteffekt zu erhöhen, wurden deshalb die Ruderhosen auch eingefettet. 1878 wurde aus dem Gleitsitz schließlich der Rollsitz mit seinen bekannten Vorteilen: Wesentlich längerer Arbeitsweg beim Durchzug, zusätzlicher Einsatz der Beine, höhere Geschwindigkeit. Auch diese Erfindungen stammten übrigens aus England.

Lange Zeit waren die Rollbahnen die Stiefkinder des Bootsbaus. Noch vor gut vier Jahrzehnten, der Rollsitz war da schon 70 Jahre alt, wurden alle Boote mit 65 Zentimeter langen, nicht verstellbaren Rollbahnen ausgestattet, die zum Bug hin um ein bis zwei Zentimeter anstiegen und für fast alle Boote (mit Ausnahme der Einer und Rennzweier) eine genormte Spurweite von 28 cm besaßen. Da erkannte man, dass die richtige Ausnutzung der Rollbahnlänge und des Anstiegs der Rollbahn auch eine bessere Ausnutzung der Rollweite von kleineren Ruderern erlaubten. Ein weiterer Vorteil war und ist, dass in der Rückenlage der Zug voll ausgezogen werden kann, ohne dass der Ruderer bis zum Hals hinaufziehen muss. Mit der veränderten Rudertechnik wurden Rollbahnlängen bis 82 cm üblich. Doch wie so oft hatten es die Neuerungen und ihre Schöpfer schwer, sich gegen überholte und veraltete Vorstellungen zur Bootstechnik durchzusetzen. Erst als die neue Rudertechnik ihre Vorteile im Rennsport unter Beweis stellte, wurde sie akzeptiert und angewendet.

Im gleichen Jahr, in dem der Rollsitz eingeführt wurde, kam es zu einer weiteren epochalen Neuerung. Die Drehdolle kam auf den Markt. Man stelle sich einmal vor, wie das Rudern ohne Drehdol1e und Rollsitz ausgesehen haben muss. Riemen bzw. Skulls lagen in festen Dollen auf der Bordwand. Damit überhaupt ein wenig Bewegung möglich war, waren die Dollen sehr weit im Vergleich zum Schaft des Ruders. Vortrieb erhielt das Boot ausschließlich durch den Arm- und Körperzug. Die Länge der Arme war wiederum für die Länge des Schlages verantwortlich, der zudem von der festen Sitzposition begrenzt wurde. Die später entwickelten Kastendollen hat der Redakteur noch 1950 in einem Achter des Mindener R.V. gerudert.

1868 hatte es eine weitere wesentliche Veränderung im Bootsbau gegeben: Die Einführung des Fußsteuers. Mannschaftsboote hatten bis dahin ausnahmslos Steuerleute. Nun entstanden zunächst der Vierer ohne Stm. und später weitere steuermannslose Bootsgattungen.

Unabhängig von diesen Neuerungen, die vor allem die Rudertechnik beeinflussten, entwickelte sich der Bootsbau auch bei so elementaren Dingen wie dem Rumpf weiter. Das Bestreben der Konstrukteure war darauf gerichtet, immer leichtere und haltbarere Werkstoffe in den Bootsbau zu integrieren. Neben Leicht- und Edelhölzern, Leichtmetallen und Kunststoffen fanden zuletzt auch Kohlefaserwerkstoffe Eingang, was zu einer weiteren Gewichtsminderung bei gleichzeitiger Erhöhung der Festigkeit geführt hat.

Ursprünglich wurden die Rümpfe in Klinkerbauweise gebaut. Schon die Wikinger kannten diese Technik und wir finden sie noch heute an vielen alten Ruderbooten in den Vereinen. Der Nachteil dieser Bauweise: Sie ist sehr arbeitsintensiv (es müssen 2500 Nieten von Hand eingezogen werden) und, zumindest ältere Ruderer wissen es, die Boote sind auf Dauer nicht besonders dicht. Vor allem wegen des hohen Zeitaufwandes beim Bau wurde deshalb die Karweel-Bauweise entwickelt. Hier werden die Planken stumpf aufeinander gesetzt. Probleme gab es jedoch auch hier mit der Dichtigkeit.

Das änderte sich erst durch die Schalenbauweise mit gebogenen Zedern- und später Sperrholzbootshäuten. Formverleimte Sperrholzboote brachte Gustav Gehrmann um 1950 erstmals auf den Markt. Um 1960 tauchten die ersten GFK-Kunststoffgigs auf, die noch ernorm schwer waren und durch Wasseraufnahme der Glasmatten ständig an Gewicht zunahmen. Auch die Rennboote baute man zunächst nach diesem Verfahren, ersetzte die Polyester-Harze jedoch durch Epoxid-Harze und die Glasmatten durch Glasseide oder Kevlar-Gewebe. Das brachte schon eine deutliche Gewichtsersparnis. Noch leichter wurden die Boote dann durch die Sandwichbauweise mit Waben oder Hartschaum als Zwischenschicht und eingelagerten Kohlenstofffasern. Dadurch konnten die Bootsgewichte so weit heruntergedrückt werden, dass sich die FISA aus Gründen der Chancengleichheit im Wettkampf genötigt sah, mit der Festlegung von Mindestgewichten für international eingesetzte Wettkampfboote erstmals Einfluss auf Entwicklungstendenzen zu nehmen.

Das setzte sich mit dem Verbot des Rollauslegers fort. Dessen Einführung hätte zwangsläufig zur kurzfristigen Erneuerung des gesamten Bestandes an Wettkampfbooten geführt, da diese infolge der geringen Massenverlagerung kürzer und damit widerstandsgeringer zu gestalten waren, wie die Praxis und auch Schleppversuche zeigten. Auch der in England erprobte Einsatz von Tragflügeln unter dem Boot hätte den Rudersport grundsätzlich verändert. Um die Chancengleichheit für die Ruderer aller Nationen zu gewährleisten, wurden Entwicklungen in dieser Richtung durch die „Definition Rudern“ in §1 der Rules of Rowing des internationalen Regelwerks Grenzen gesetzt.

Alle Entwicklungen, die z.B. durch den Einsatz neuer Materialien unsere Boote für längere Zeiträume formbeständiger machen oder ihre Steifigkeit erhalten und damit die Einsatzdauer erhöhen, wurden und werden auch zukünftig schnell übernommen. Ebenso ist die Anpassung unseres Sportgeräts, z.B. der Bootsform oder der Ruderblätter, an unterschiedliche Mannschaften und Rudertechniken ein weites Feld für Entwicklungen. Für die FISA sollte auch weiterhin unter dem Prinzip der Fairness und Sicherheit weitestgehende Regelfreiheit für das Rudermaterial gelten.

Erstellt nach einer Vorlage von Wilhelm Reuß und Klaus Filter.

Das könnte Sie auch interessieren