06. Juli 2021 | Nationalmannschaft | von Hans Strauß

Auf dem Weg nach Tokio mit: Stephan Krüger und Marc Weber

Stephan Krüger und Marc Weber in der sechsten Ausgabe von "Auf dem Weg nach Tokio".

Die Olympischen Spiele von Tokio rücken näher. Sieben Boote des Deutschen Ruderverbandes haben sich für die olympische Regatta vom 23. bis 30. Juli 2021 auf dem Sea Forest Waterway qualifiziert. In Doppel-Interviews stellen wir bis dahin alle DRV-Olympia-Boote vor. Für die sechste Folge der Serie haben wir uns mit Stephan Krüger (Frankfurter Rudergesellschaft Germania) und Marc Weber (Gießener Ruder-Club Hassia) unterhalten, die den Doppelzweier der Männer bilden. Für Zweier-Spezialist Krüger sind es zum Abschluss seiner Leistungssport-Karriere die vierten Spiele, Weber steht vor seiner ersten Olympia-Teilnahme. Beide sprechen über die Suche nach dem perfekten Schlag, den belastenden Selektionsprozess und einen schwer zu toppenden Oberschenkelumfang.

Stephan, Du bist so etwas wie der „Mr. Doppelzweier“ im deutschen Rudern. 2009 schon bist Du Weltmeister in dieser Bootsklasse geworden, 2015 dann Europameister. Für die Olympischen Spiele in Tokio wolltest Du dich aber eigentlich im Einer qualifizieren. Aber dann kam der Neueinsteiger Oliver Zeidler dazwischen…

Stephan Krüger: Das stimmt, er ist damals wie der Phönix aus dem Schwimmbecken aufgetaucht. Das muss man so akzeptieren. Wäre Olli nicht da gewesen, hätte ich gerne versucht, mich im Einer zu beweisen. Das mit dem Doppelzweier hat sich so entwickelt, weil ich einfach gut war. In all den Jahren hat es keiner in Deutschland geschafft, mich da zu schlagen. 2015 hätte ich mich schon mal umentscheiden können, als ich deutscher Meister im Einer geworden bin. Aber damals dachte ich, meine Chancen international wären nicht so groß wie im Zweier mit Marcel Hacker. Wir sind dann auch Europameister geworden.

„Du gehst jeden Tag raus aufs Wasser und versucht dich dem Bild von dem perfekten Schlag, dass Du im Kopf hast, zu nähern. Wenn er tatsächlich dann einmal gelingt, wenn Du ihn einmal geschafft hast, dann versuchst Du Ihn zu replizieren.“

Stephan Krüger

Stephan, die „FAZ“ hat im letzten Jahr geschrieben, die Suche nach dem perfekten Schlag bestimme nach 15 Jahren Leistungssport noch immer dein Leben. Trifft es das und wenn ja, wie oft hast Du ihn erlebt?

Stephan: Du gehst jeden Tag raus aufs Wasser und versucht dich dem Bild von dem perfekten Schlag, dass Du im Kopf hast, zu nähern. Wenn er tatsächlich dann einmal gelingt, wenn Du ihn einmal geschafft hast, dann versucht Du Ihn zu replizieren. Das macht einfach Spaß. Ich könnte das mein Leben lang machen.

Suchst Du auch nach dem perfekten Schlag, Marc?

Marc Weber: Ja klar, aber man wird den nie so richtig finden. Selbst wenn ich etwas in meinen Augen perfekt mache, dann geht es immer noch einen Tick besser. Wenn ich in der Rücklage bin, dann gehe ich den Schlag noch Mal blitzschnell durch, aber selbst wenn er gut war, denke ich: Und das machst Du jetzt noch mal einen halben Schlag höher. Man muss nach der Perfektion streben, um so schnell wie möglich zu sein, aber letztendlich bleibt sie eine Fantasie, die man nie wirklich erreichen kann. Das ist aber auch der Grund, warum Rudern trotz der immer gleichen Bewegung nie langweilig wird.

Der zehnte Platz bei der WM 2019 in Linz durch Tim Ole Naske und Dich, Stephan, hat dem Doppelzweier das Olympia-Ticket gebracht. Danach wurde Tim Ole in den Doppelvierer abberufen. Trotz der Olympia-Verschiebung gab es ein stressiges 2020 für Euch. In einem monatelangen Ausscheidungsprozess mit mehreren Kandidaten musstest Ihr um Eure Plätze im Boot kämpfen. Erst kurz vor der EM im Herbst 2020 stand fest, dass Ihr beide das neue Paar seid. Das alles war nicht einfach, oder?

Stephan: Es war eine ganz schön harte Zeit. Wir waren ein Jahr unter Strom, bis wir nominiert wurden. Das hat schon ein paar Körner gekostet, man merkt es jetzt noch.

Marc: Wir hatten fast ein Jahr lang Selektion, direkt danach die Europameisterschaft 2020. Danach hieß es, jetzt seid Ihr gesetzt, aber bei der nächsten Europameisterschaft 2021 entscheiden wir neu. Das heißt, wir mussten ein halbes Jahr genauso fokussiert weiterarbeiten. Wir standen, wie es Stephan schon sagte, immer unter Strom, in dem Bewusstsein, dass Du austauschbar bist. Erst nach der EM in Varese, die ganz gut lief, konnte wir durchatmen.


„Wir haben die olympische Saison gestuft aufgebaut, um in Tokio dann am Leistungshöhepunkt zu sein. Ich denke, dass wir uns in den kommenden Wochen noch so gut entwickeln werden, dass sich das bei Olympia auszahlt.“

Marc Weber


Ihr hattet bisher vier gemeinsame Regatten. Wie weit seid Ihr als Boot?

Stephan: Wie schon beim idealen Schlag beschrieben, es geht immer besser. Aber ich würde sagen, wir sind auf einem soliden Niveau.

Marc: Im Doppelzweier darf man sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Bist Du ein My (µ) schlechter, fährst Du auf Platz acht. Bist Du ein My (µ) besser, kann es sein, dass Du gewinnst. Wir haben die olympische Saison gestuft aufgebaut mit dem Ziel, von Rennen zu Rennen besser zu werden, um in Tokio dann am Leistungshöhepunkt zu sein. Ich denke, dass wir uns in den kommenden Wochen noch so gut entwickeln werden, dass sich das bei Olympia auszahlt.

Marc, was kann man von Stephan lernen?

Marc: Ich bin gerade in den letzten Zügen meiner Bachelorarbeit. Wenn ich vom Trainingslager am Weißensee zurückkomme, gebe ich sie ab. Stephan hat seine Bachelorarbeit vor fünf Jahren auch parallel zur Olympiavorbereitung geschrieben und jetzt seine Doktorandenstelle. Mir hat das geholfen, dass er meine Probleme kennt und mir auch den einen oder anderen Tipp geben konnte. Wenn er im Trainingslager an den Rechner für die Uni ging, dann habe ich das auch gemacht. Und ruderisch ist er natürlich ein Monster im Doppelzweier. Ich komme da ein bisschen blauäugig rein. Ich kenne die Gegner meistens gar nicht, gegen die wir fahren.

Krüger/Weber beim Weltcup I in Zagreb. Foto: DRV/Seyb

Und was bringt Marc Positives mit in Euer Boot, Stephan?

Stephan: Was er gerade beschrieben hat: Seine Unvoreingenommenheit. Loszufahren und sich nicht um die Gegner zu scheren, nach dem Motto: Ich will schneller sein und versuche das. Bei mir geistert dann doch im Kopf herum: Der war mal da schnell, der war mal dort schnell, das wird bestimmt ein harter Brocken. Ich versuche mich da eher nach Marc auszurichten. Dann ist die Vita der Gegner eben gelöscht, denn jedes Rennen geht von vorne los. Das ist ein cooler Gedanke.

Euer Zweier gilt als physisch sehr stark. Marc, an Stephans imposanten Oberschenkelumfang – ich schätze mal, locker über 70 Zentimeter - kommst Du aber nicht ganz heran, oder?

Marc (lacht und schaut auf Stephans Beine): Naja, fast. Wenn Du mit Stephan im Boot sitzt, musst Du dich damit abfinden, dass Du nicht den definierteren Körper haben kannst – niemals. Neben ihm sieht man immer aus wie ein speckiges Kind.

Marc, Du hast Deine U23-Zeit vor zwei Jahren als Weltmeister im Einer abgeschlossen und bist dann zum Skuller-Team nach Hamburg gewechselt. Eine große Umstellung?

Marc: Ich bin nicht umgezogen, sondern zu den Trainingsveranstaltungen hingefahren. Das Leben auf der Straße war in den letzten eineinhalb Jahren schon ein Stressfaktor, aber ich habe es ganz gut verkraftet. Die schwierigste Veränderung war der Trainingsumfang. In Frankfurt gibt es eine ganz andere Trainingsstruktur, dort werden eher kürzere Einheiten gefahren und es wird immer Vollgas geballert. In Hamburg gibt es lange Einheiten, viel Grundlage, aber nur zwei Mal die Woche Belastung. Aufgenommen worden von der Gruppe bin ich gut, obwohl ich der Einzige war, der nach der WM in Linz noch dazu gekommen war.

Marc, bei der Rotsee-Regatta im Mai in Luzern gab es einen Schreckmoment, als Du nach dem Halbfinale noch am Steg medizinisch behandelt werden musstest. Das B-Finale bestritt Stephan dann mit Ersatzmann Stephan Riemekasten. Wie geht es Dir jetzt, bist Du wieder voll leistungsfähig?

Marc: Ich hoffe es. Mir ging es nach Luzern noch zehn Tage lang ziemlich schlecht durch die Nierenentzündung. Teilweise konnte ich keine Minute lang stehen, ohne dass mir schwindelig wurde. Dann ging es relativ schnell bergauf, ich bin dann auch hoch nach Ratzeburg gefahren und wieder ins Training mit Stephan eingestiegen. Dass ich nach ein paar Tagen die Ratzeburger Regatta mitgefahren bin, war keine so gute Idee. Nach 500 Metern war ich platt. Jetzt dürfte ich belastungstechnisch aber wieder auf meinem Niveau vor Luzern sein, vielleicht sogar etwas besser.

Stephan, Du warst schon Welt- und Europameister, eine olympische Medaille aber fehlt Dir noch. Wie realistisch ist es, dieses Ziel bei Deinen vierten Spielen zu erreichen?

Stephan: Wir müssen erst mal in den Wettkampf reinkommen und dann ein supergeiles Halbfinale fahren. Im Doppelzweier gibt es acht, neun Boote, die alle um die Medaillen mitfahren können. Das ist ein viel, viel härterer Wettkampf als teilweise in anderen Bootklassen. Für uns ist das Halbfinale schon ein Finale. Ich denke in keiner Weise an die Medaille. Vielleicht ergibt es sich, dass wir eine holen, aber wir können uns sie nicht zum Ziel machen. Das wäre vermessen.

Marc, was erhoffst Du Dir von deiner ersten Teilnahme an Olympischen Spielen?

Marc: Für mich ist Olympia etwas Besonderes, aber eher wie eine WM, die nur alle vier Jahre stattfindet und bei der alle super fit dabei sind. Und ein Rennen, bei dem ich wie immer vorne sein möchte. Von daher stört es mich nicht so, dass die Spiele durch Corona nicht so stattfinden können, wie sie sonst stattfinden. Das sage ich aber aus der Perspektive eines Sportlers, der sie noch nicht erlebt hat.

Wie geht es nach Tokio für Dich weiter, Stephan?  Hörst Du auf mit dem Rudern und widmest Dich deiner Promotion?

Stephan (lächelt): Sollten wir Olympiasieger werden, würde ich vielleicht sogar noch ein Jahr machen. Ansonsten wäre es Zeit für mich, sich umzuorientieren. Ich würde meine Stelle mit mehr Leben erfüllen als bisher. Ich strebe die Promotion in maritimer Logistik an. Als Thema habe ich mir die Verkehrssteuerung im Ostseehafen ausgesucht. Ich komme aus Rostock und finde das spannend.

Wirst Du versuchen, nach Tokio Dein Psychologie-Studium stärker in den Vordergrund zu schieben, Marc? Ansonsten bleibst Du wohl voll dabei, der nächste Olympia-Zyklus dauert ja nur drei Jahre.

Marc: Im Bachelor fehlt mir noch ein Fach, dass ich erst im nächsten Jahr belegen kann. Mein Plan ist, dann mit dem Master weiterzumachen, im nacholympischen Jahr möglichst weit voranzukommen und das auch noch in Gießen zu machen. Wahrscheinlich werde ich für die beiden Jahre vor Paris dann fest in Ratzeburg trainieren müssen. Ich würde dann nach Lübeck ziehen, hoffe aber, dass der DRV bezüglich des Findens einer Wohnung und der Organisation des Studiums in Hamburg behilflich sein kann.

Zu den Personen

Stephan Krüger ist 32 Jahre alt, kommt aus Rostock, ist 1,87 m groß und 87 kg schwer, und startet für die Frankfurter Rudergesellschaft Germania. Bei seinen bisherigen Olympia-Teilnahmen belegte er jeweils im Doppelzweier die Plätze sechs (2008), neun (2012) und acht (2016). Weltmeister im Doppelzweier wurde er 2009 zusammen mit Eric Knittel, Europameister 2015  mit Marcel Hacker. Krüger ist bei der Bundeswehr beschäftigt, ausgebildeter Wirtschaftsingenieur und strebt über eine Assistentenstelle an der Technischen Universität Hamburg die Promotion an.

Marc Weber ist 23 Jahre alt, kommt aus Butzbach (Hessen), ist 1,91 m groß und 90 kg schwer. Und startet für den Gießener Ruder-Club Hassia. 2019 wurde er U23-Weltmeister im Einer. Weber studiert Psychologie mit den Schwerpunkten Arbeits- und Organisationspsychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

 

Bereits erschienene Interviews: Oliver und Heino Zeidler, Frieda Hämmerling und Carlotta Nwajide, Jonathan Rommelmann und Jason Osborne, Malte Jakschik und Olaf Roggensack, Annekatrin Thiele und Leonie Menzel.